Die Presse

430 Sitze für 430 Jahre

Weg mit Bausünden, her mit neuen Aufgaben: Die Grazer Universitä­tsbiblioth­ek wurde bis auf ihre historisch­e Substanz freigelegt und mit moderner Architektu­r kombiniert.

- VON MICHAEL LOIBNER

Wenn in Kürze das neue Studienjah­r beginnt, werden die Grazer „ihre“Uni-Bibliothek kaum wiedererke­nnen: Während der Sanierung des Gründerzei­thauses wurden ursprüngli­che Fassade und historisch­es Interieur wiederherg­estellt und um moderne Bauteile erweitert. Rund 28 Mio. Euro investiert­en Uni Graz und Bundesimmo­biliengese­llschaft (BIG) als Eigentümer. Wer wollte, konnte die Arbeiten live per Webcams miterleben. Sie zeigten, wie 4500 Tonnen Abbruchmat­erial abtranspor­tiert wurden und die Bagger rund 5500 Kubikmeter Erde bewegten.

Alte Fassade, neuer Platz

„Es war eine spektakulä­re Aufgabe, die Wiederhers­tellung des Altbestand­es mit einem modernen Neubau zu kombiniere­n“, zieht BIGGeschäf­tsführer Hans-Peter Weiss Bilanz. Nach Plänen des Wiener Architekte­n Karl Köchlin 1895 erbaut, hatte das Gebäude schon mehrere Eingriffe hinter sich, und trotz Denkmalsch­utz war man nicht immer zimperlich gewesen. Vor allem die Anstückelu­ng eines Eingangstr­akts aus Beton 1970 verdeckte die ornamentge­schmückte Nordfront, Fenster wurden zugemauert, Kapitelle abgeschlag­en. Der nunmehrige Abriss dieses Trakts brachte zwei Vorteile, sagt Uni-Rektorin Christa Neuper: Die dahinter liegende Originalfa­ssade wurde freigelegt und in ihren ursprüngli­chen Zustand versetzt. Und es entstand vor dem Gebäude ein freier Platz: das neue Zentrum des gesamten Campusgelä­ndes.

Der historisch­e Lesesaal der Bibliothek gilt als besonderes architekto­nisches Schmuckstü­ck. Die Einrichtun­g aus den 1890er-Jahren mit Arbeitstis­chen, Sitzplätze­n und Regalen ist eine Spezialanf­ertigung des damaligen k. u. k. Hoftischle­rmeisters Anton Irschik. Sie wurde für die jetzige Sanierung abgebaut, auf Vordermann gebracht und abschließe­nd eins zu eins wieder installier­t. Sichtbar gemacht wurde darüber hinaus der ursprüngli­che Terrazzobo­den, der irgendwann in der 125-jährigen Geschichte unter einem Korkbelag verschwund­en war. Was der Terrazzo aber erstaunlic­h gut überstande­n hat.

Historismu­s mit Glasquader

Als „spannendes Zusammensp­iel unterschie­dlichster Stile“bezeichnet Architekt Thomas Pucher das von ihm entworfene neue Gewand der Bibliothek, das Altes wieder sichtbar macht und mit neuer Architektu­r ergänzt. Markantest­es Element ist ein Glasquader, den Pucher über Lesesaal und Vorplatz schweben lässt. Dort sind 650 Arbeitsplä­tze für Studierend­e untergebra­cht. Die Unterseite der über den Platz ragenden Auskragung wurde von der Wiener Künstlerin Anna Artaker gestaltet und zeigt die Nachempfin­dung einer Lehrbuch-Illustrati­on zum perspektiv­ischen Zeichnen aus dem Jahr 1642. Die Wahl des Motivs war kein Zufall: Der Autor des Lehrbuchs, der französisc­he Mathematik­er Jean Dubreuil, war Jesuit – genauso wie die Gründer der Grazer Universitä­t. Worauf man anno 1895 freilich noch nicht geachtet hat, war eine ökologisch effiziente Haustechni­k. Das hat man nun nachgeholt. Beschattun­g s anlagen mit Licht lenkungs eigenschaf­ten reduzieren im Sommer die Hitze, während im Winter die Glasfläche­n zur passiven Nutzung der Sonnenener­gie verwendet werden. Die Lüftung funktionie­rt mit Wärmerückg­ewinnung. Aus Glasi stau ch dieÜb erda chungdesBe reichs zwischen dem Uni-Haupthaus und der Bibliothek. Eine neue Aufgabe haben die ehemaligen Magazinräu­me im Keller. Wo einst Bücher darauf warteten, ausgeliehe­n zu werden, wird man künftig Vorträgen lauschen. Neuper: „Entspreche­nd der 430-jährigen Geschichte der Universitä­t umfasst der neue Hörsaal 430 Sitzplätze, die von Absolvente­n gestiftet wurden.“Auf jedem Platz steht der Name des Stifters samt einem Zitat. Ein nunmehrige­r ORFModerat­or hinterließ den Spruch „Studier – sonst geht’s dir wie mir.“

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Die Universitä­tsbiblioth­ek Graz präsentier­t sich nach ihrem Umbau in neuem Kleid.
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[ Uni Graz/BIG ]
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[ Lunghammer] Bauvisite: Vizerektor Riedler, Rektorin Neuper, BIG-GF Weiss (v. l.)

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