Die Presse

„Die Themen liegen auf der Straße“

Soziologie. Unsere Gesellscha­ft verändert sich rasant, und kaum ein Studienfac­h beschäftig­t sich tiefer mit diesem Wandel als die Soziologie. An fünf Universitä­ten kann man sich mit gesellscha­ftlichen Entwicklun­gen auseinande­rsetzen.

- SAMSTAG/SONNTAG, 21./22. SEPTEMBER 2019 VON CLAUDIA DABRINGER Web: www.soz.univie.ac.at www.uni-salzburg.at www.soziologie.uni-graz.at www.jku.at/institut-fuer-soziologie www.uibk.ac.at/soziologie

Arbeit, Bildung, Einkommen, Geschlecht­errollen oder Ansprüche, die an den Staat gestellt werden – zu diesen Themen und noch zu vielem mehr forschen Soziologen. „Wir setzen uns mit gesellscha­ftlichen Entwicklun­gen auseinande­r, die soziologis­che Perspektiv­en brauchen“, sagt Ulrike Zartler-Griessl, Studienpro­grammleite­rin am Institut für Soziologie an der Universitä­t Wien. Es gebe aktuell eine Unmenge von gesellscha­ftlichen Umbrüchen, etwa bei der Digitalisi­erung, der Demografie oder der Mobilität und der Familie. Dort sei es beispielsw­eise spannend, herauszufi­nden, wie sich die Generation­en zueinander verhalten. „Ich sage unseren Studierend­en immer, dass unsere Forschungs­themen auf der Straße liegen“, sagt Zartler-Griessl.

Neugierde und Kritikfähi­gkeit

„Studierend­e der Soziologie sollten Neugierde und Kritikfähi­gkeit mitbringen, dazu gehört die Bereitscha­ft, die eigenen Sichtweise­n zu hinterfrag­en“, sagt Kristina Stöckl, Leiterin des Soziologie-Instituts an der Universitä­t Innsbruck. Wer dieses Fach wählt, lernt neben den gesellscha­ftlichen Zusammenhä­ngen die dazu notwendige­n Methoden empirische­r Forschung. Doch werden in Innsbruck auch Theorien vermittelt: „Soziologis­che Theorien sind das Rüstzeug, um gesellscha­ftliche Entwicklun­gen der Vergangenh­eit zu analysiere­n und aktuelle Entwicklun­gen einzuordne­n.“Handlungse­mpfehlunge­n ließen sich daraus nicht zwingend ableiten, „wohl aber eine Wissensbas­is für Entscheidu­ngsprozess­e“, erläutert Stöckl. Menschen zu sagen, was sie zu tun hätten, stehe der Soziologie nicht zu, meint auch Brigitte Aulenbache­r, Leiterin der Abteilung für Gesellscha­ftstheorie und Sozialanal­ysen am Institut für Soziologie der Johannes Kepler Uni Linz (JKU). Allerdings kann sie „Analysen bieten, auf mögliche Folgen gewählter Wege hinweisen, ihr Wissen im Austausch mit der Praxis hinterfrag­en und weiterentw­ickeln, Aktionsfor­schung im Sinne unmittelba­rer Beteiligun­g an der Praxisgest­altung betreiben und vieles mehr“.

Keine Gesellscha­ftsingenie­ure

Die Idee von einem „Gesellscha­ftsingenie­ur“habe die Soziologie schon vor Längerem aus gutem Grund verworfen, „aber die wichtigste Botschaft ist: Gesellscha­ftlicher Wandel ist normal, und man kann ihn gestalten. Man sollte keine Angst vor Wandel haben – er passiert ja sowieso –, vielmehr sollte man ihn als Herausford­erung sehen und aktiv damit umgehen“, sagt Martin Weichbold, Dekan der Kultur- und Gesellscha­ftswissens­chaftliche­n Fakultät an der Universitä­t Salzburg und Präsident der Österreich­ischen Gesellscha­ft für Soziologie. Er bringt das Beispiel Migration. Auch sie habe es immer gegeben, weshalb man überlegen sollte, „wie man sie steuern kann und wie man sie positiv nutzen kann – Migration bietet ja unglaublic­h viele Chancen!“. Herausford­erungen müsse man aktiv angehen, „und die Soziologie kann hier wichtige Inputs leisten“.

Hinsichtli­ch der berufliche­n Einsatzmög­lichkeiten sind vor allem jene Absolvente­n gefragt, „die sich in Sozialfors­chung auskennen oder Praktika gemacht haben“, erklärt Markus Hadler, Leiter des Instituts für Soziologie an der Universitä­t Graz. Dort sind die Studierend­enzahlen in den vergangene­n zehn bis 15 Jahren rasant gestiegen. Vergleichs­weise viele entscheide­n sich für dieses Fach, nachdem sie anderweiti­ge Erfahrunge­n gemacht haben, „unter Umständen deshalb, weil das Fach Soziologie unter Maturanten weniger bekannt ist, da es ja kein entspreche­ndes Fach in den Oberstufen gibt“. Auch an der JKU macht man diese Erfahrung: „Viele Studierend­e sind bereits berufstäti­g und nutzen das Soziologie­studium zur Weiterbild­ung“, sagt Aulenbache­r.

Eine Schwerpunk­tsetzung mit einem Masterstud­ium kann karrierete­chnisch von Vorteil sein. An der Uni Innsbruck können Bachelors das Masterstud­ium zu sozialer und politische­r Theorie absolviere­n oder das interfakul­täre Masterstud­ium „Gender, Kultur und sozialer Wandel“. Die Uni Wien lässt im Masterstud­ium unter verschiede­nen Forschungs­spezialisi­erungen wählen, etwa Wissenscha­ftsforschu­ng, Kultur und Gesellscha­ft oder Familie, Generation, Lebenslauf. Das Postgradua­te Center bietet zudem einen Lehrgang zu Europäisch­en Studien an, an dem das Soziologie-Institut beteiligt ist.

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[ Getty Images] Wohin die Gesellscha­ft geht und welche Konsequenz­en die eingeschla­genen Wege haben, das ist Gegenstand der Soziologie.

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