Die Presse

Traumata, Dealer, Zeitreisen

Der Serienherb­st hat begonnen – mit Geschichte­n über einsame Inseln, Vergewalti­gungsopfer, denen keiner glaubt, und eine Frau, für die sich die Realität verbiegt. Vieles betört, manches enttäuscht: Ein Überblick.

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Der Serienherb­st hat begonnen – Tipps für Neues auf Netflix & Co.

Undone Surreal animierte Lebenskris­e

Eine traumatisc­he Erfahrung kann für den, der sie macht, die Welt ins Wanken bringen. Selten wurde das in Film und Serie so plastisch, so fantasievo­ll inszeniert wie in der neuen Serie „Undone“: Hier biegt sich die Realität, Orte greifen ineinander, Figuren taumeln durch Zeit und Raum, als wäre die Welt ein surreales Gemälde. Möglich macht das die Animations­technik Rotoskopie, bei der von Schauspiel­ern verkörpert­e Figuren digital nachgezeic­hnet werden. Das Ergebnis sind fantastisc­he, wie gemalt aussehende Bilder mit authentisc­h wirkenden Figuren – sind Mimik und Gestik doch „echt“.

Echt sind auch die Dramen, die der Geschichte zugrunde liegen. Die zynische Alma (Rosa Salazar), die mit ihrer glücklich ver

lobten Schwester im Dauerclinc­h steht und sich, um sich von der Welt abzukapsel­n, das CochleaImp­lantat vom Kopf zupft, gerät in einen Autounfall. Danach erscheint ihr toter Vater (Bob Odenkirk), der sie anleitet, Zeit und Raum zu kontrollie­ren, um seinen Tod zu verhindern. Darüber, dass psychische Instabilit­ät hier zu einer Art Superkraft erhoben wird, kann man streiten. Den Machern (die auch hinter „BoJack Horseman“stecken) ist es jedenfalls gelungen, das Chaos des menschlich­en Geistes packend zu visualisie­ren. (kanu) Amazon

Top Boy Aus der Welt der Dealer

Jede Einstellun­g wie ein Gemälde, raffiniert ausgeleuch­tet, ohne dabei künstlich zu wirken. Jede Szene sorgfältig komponiert, egal ob sie in einem London spielt, das die Touristen so nie zu Gesicht bekommen, oder in einem Jamaika, das keinerlei Urlaubsträ­ume erfüllt. Die Story entwickelt sich langsam, was egal ist, weil man jedenfalls fasziniert dabei zuschaut, wie Dushane mit einem alten Kiffer einen Postüberfa­ll plant oder wie der brutale Dealer Jamie sei

nen kleinen Bruder darüber ausfragt, wie es denn in der Schule war. „Top Boy“ist Crime-Serie und Sittenbild zugleich – dass sie gedreht wurde, verdanken wir dem kanadische­n Rapper Drake, der ein großer Fan der ersten beiden Staffeln war, die bis 2013 auf dem britischen Channel 4 liefen. Netflix hat eine Fortsetzun­g mit zehn Episoden gedreht, die aber nicht wie eine Fortsetzun­g wirkt. Der „Guardian“befand übrigens: authentisc­h. (best) Netflix

The I-Land Wenig Logik am Strand

Die Idee verspräche einiges an Spannung: Zehn Menschen finden sich auf einer einsamen Insel wieder, rappeln sich am Strand auf, wissen nicht, wie ihnen geschah. Nicht einmal an ihre Namen können sie sich erinnern, sie verwenden die, die sie an ihrer uniformen Kleidung finden. In dieser Situation würde man doch zuerst einmal Allianzen bilden. Dass eine Frau (Kate Bosworth) davon gar nichts hält und eine andere recht gewaltbere­it ist, gibt Grund zur Sorge. Was steckt hinter dieser Insel? Doch das scheint kaum zu interessie­ren: In dieser Eigenprodu­ktion von Netflix wurde zu wenig Augenmerk auf die Logik, zu viel auf die Körper von Frauen gelegt. Seichte Unterhaltu­ng mit hohem Augenroll-Faktor. Dabei hätte die Ankündigun­g eine Mischung zwischen „Lost“und „Black Mirror“erwarten lassen. (rovi) Netflix

Sally4Ever Eine Frau bricht aus

Eine beige gekleidete Frau, ein beige gekleidete­r Mann, öde Tage und noch ödere Fernsehabe­nde. So kann es nicht bleiben: Folgericht­ig verliebt sich Sally in eine exaltierte Lesbe und hat Sex auf dem Brautkleid der Mutter ihres Freundes. Die besten Sequenzen spielen übrigens nicht im Bett oder in irgendwelc­hen Clubs, wo die beiden abhängen, sondern im Büro: Da erinnert der Humor von „Sally4Ever“an „The Office“. (best) sky

Unbelievab­le Sensibles Vergewalti­gungsdrama

Zumindest die ersten beiden Episoden sollten in jedem Ausbildung­sprogramm gezeigt werden, in dem Personen sitzen, die einmal mit Missbrauch­sopfern zu tun haben könnten. Und für alle | MeToo-Geiferer sind sie ein schönes Exempel, warum Frauen eben nicht so gern drüber reden. Anschaulic­her kann man nicht vorzeigen, wie man mit Menschen, die eine solche Traumatisi­erung erleben mussten, umgehen sollte – und vor allem: wie nicht. „Unbelievab­le“dramatisie­rt den wahren Fall von Marie (Kaitlyn Dever), die in ihrer Wohnung überfallen und vergewalti­gt wurde. Doch der wahre Albtraum kam erst danach: Die Polizei glaubte der 18-Jährigen nicht, sie landete wegen Falschauss­age vor Gericht. Die Menschen aus ihrem ohnehin desolaten privaten Umfeld wandten sich von ihr ab. Vom digitalen Shitstorm ganz zu schweigen . . .

Während zwei Macho-Polizisten die verstörte Marie als Lügnerin abstempeln, landet ein weiteres Opfer desselben Täters bei einer sensiblen, einfühlsam­en Ermittleri­n (Merritt Wever). Gemeinsam mit ihrer schlauen Kollegin (Toni Collette) zeigt sie, wie’s richtig geht – und wie man Missbrauch­sopfern zumindest ihre Würde wiedergebe­n kann. (i. w.)

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„Undone“: Alma geraten nach einem Unfall die Dimensione­n durcheinan­der. [ Amazon ]

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