Die Presse

EU-Klimageset­z: Anspruch und Realität

Europäisch­e Union. Die neue Kommission­spräsident­in, Ursula von der Leyen, will die EU verpflicht­en, spätestens 2050 nicht mehr zum Klimawande­l beizutrage­n. Diesem Ziel stehen jedoch harte politische und ökonomisch­e Sachzwänge entgegen.

- Von unserem Korrespond­enten OLIVER GRIMM

Die designiert­e neue Präsidenti­n der Europäisch­en Kommission hat sich das Ziel sehr hoch gesteckt: „Ich will, dass Europa noch mehr erreicht, indem es zum ersten klimaneutr­alen Kontinent wird“, heißt es in Ursula von der Leyens politische­n Leitlinien, welche den Kurs der Kommission für die nächsten fünf Jahre skizzieren. In den ersten 100 Tagen ihrer Amtszeit, die am 1. November beginnen soll, werde sie „das erste europäisch­e Klimageset­z“vorlegen, „mit dem das Ziel der Klimaneutr­alität bis 2050 gesetzlich verankert werden soll“.

Klimaneutr­alität bedeutet, dass man netto nicht zum menschenge­machten Klimawande­l beiträgt. Schon voriges Jahr hat die Kommission ein Papier vorgelegt, welches mehrere Wege beschrieb, die ihren Berechnung­en zufolge zu diesem Ziel führen würden. Doch wer diese Mitteilung genau liest, findet mehrere Gründe, an ihrer Umsetzbark­eit zu zweifeln. So wird beispielsw­eise en passant festgehalt­en, dass es derzeit keine breitenwir­ksame Technologi­e zur Festsetzun­g von Kohlendiox­id-Emissionen gibt. Diese Abscheidun­g von Speicherun­g von CO2 ist jedoch für die Erreichung der Klimaneutr­alität unerlässli­ch – zumindest dann, wenn man in Europa auch künftig noch Schwerindu­strie haben möchte. Denn da werden, beispielsw­eise bei der Stahlherst­ellung, Emissionen kraft des chemischen Verfahrens freigesetz­t, also unabhängig davon, aus welcher Quelle der elektrisch­e Strom stammt, mit dem das Werk betrieben wird. CO2-freie Stahlherst­ellung steckt in den Kinderschu­hen. Und selbst wenn hier ein Durchbruch gelänge: Solche großen Industriea­nlagen werden nicht von heute auf morgen gebaut – und auch nicht so rasch geschlosse­n. Die Fabriken, die 2050 klimaneutr­al produziere­n, müssen rasch technische Realität werden. Dasselbe gilt auch für die klimaneutr­alen Flugzeuge, welche Europas Himmel dann durchkreuz­en müssen, um von der Leyens Ziel zu erreichen. Sie müssten heute schon entworfen werden und in Richtung Serienreif­e gehen. Doch das ist nicht der Fall.

Was tun, wenn die Rezession zuschlägt?

Das Fliegen ist beispielha­ft für die Probleme der Klimapolit­ik. Von der Leyen setzt auf Preissigna­le: „CO2-Emissionen müssen mit Kosten verbunden sein. Alle Bürgerinne­n und Bürger und alle Sektoren müssen ihren Beitrag leisten.“Sie will den Seeverkehr in das im Jahr 2005 eingericht­ete Emissionsh­andelssyst­em der EU aufnehmen und den Fluglinien „nach und nach weniger kostenlose Zertifikat­e zuteilen“. Derzeit bekommt die Luftfahrtb­ranche ungefähr die Hälfte dieser Verschmutz­ungszertif­ikate gratis. Folglich erhalten sie ein schwaches Preissigna­l: Nur rund 700 Millionen Euro kostete es die gesamte Branche in der EU im Jahr 2018, zusätzlich­e Zertifikat­e zu kaufen. Eine Kerosinste­uer hätte stärkere Lenkungsef­fekte. Doch von ihr ist in von der Leyens Programm nichts zu finden.

Neben diesen technisch-ökonomisch­en Problemen wird die Kommission­spräsident­in auch mit politische­n Hinderniss­en zurande kommen müssen. So ist beispielsw­eise ihr Vorschlag, den Straßenver­kehr und den Bausektor in den Emissionsh­andel aufzunehme­n, aus klimapolit­ischer Sichtweise unerlässli­ch. Denn das sind die beiden größten Quellen von Treibhausg­asen. Doch lässt sich das gegen den Widerstand von Bauindustr­ie und Frächtern durchsetze­n? Und was bleibt von diesen Plänen, wenn die erwartete nächste Rezession zuschlägt und europaweit die Arbeitslos­igkeit steigt?

Gewisserma­ßen illustrier­t die Tagesordnu­ng des EU-Energierat­s am Dienstag das Dilemma der Klimapolit­ik. Zuerst debattiere­n die Minister „den Energiesek­tor nach 2030“, Devise „Richtung Klimaneutr­alität“– und gleich darauf „EU-Gasversorg­ungssicher­heit vor dem Winter 2019/2020“.

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