Deutschland: Der heißeste Tag für die „Klimakanzlerin“
Die Regierung schnürt ein 54 Milliarden Euro teures Klimapaket. Doch den Protest heizt das sogar an. Warum?
Vor dem Brandenburger Tor starren Schüler am Freitagvormittag auf einen Galgen. Drei erwachsene Aktivisten haben ihre Köpfe in Schlingen gelegt. Sie stehen auf einem Eisblock. Schmilzt er, hängen sie. „Das ist eine gute Aktion“, findet Anton, 13 Jahre jung, „denn man sollte ja in Panik geraten“.
Ein paar hundert Meter weiter, vor dem Kanzleramt, halten Schüler ein Transparent: Die MerkelRaute hat sich um den Erdball gelegt, der Schriftzug sehnt die „Rückkehr der Klimakanzlerin“herbei. Draußen wird also demonstriert und drinnen verhandelt. Es war eine „schlaflose Nacht“in der Waschmaschine, wie die Berliner das Kanzleramt nennen. Es geht ja auch um viel in diesen Stunden, um das Gelingen der Energiewende, um Merkels Vermächtnis, um die Frage, ob sie den Titel „Klimakanzlerin“behalten darf.
Fliegen und Benzin wird teurer
Irgendwann gibt draußen der Versammlungsleiter, ein Mann mit Dreadlocks, den Schülern das Signal weiterzuziehen, ins Herz des Protests, zum Brandenburger Tor, wo sich mehr als 200.000 Menschen drängen werden. „Falls ihr Müll hinterlassen habt, sammelt ihn auf.“Der Mann bedankt sich durchs Megafon auch bei der Polizei. „Das ist so deutsch, wie peinlich“, entfährt es einer Dame, die zur 68er-Generation zählt, heute wie zigtausende Ältere mit den Jungen protestiert und sich wohl nie bei der Polizei bedankt hat.
Nach einem 19-stündigen Verhandlungsmarathon steigt schließlich über dem Kanzleramt weißer Rauch auf. Das großkoalitionäre Klimapaket ist geschnürt. Es ist 54 Milliarden Euro schwer – und laut Finanzministerium gegenfinanziert. Die „schwarze Null“steht. Das Paket enthält einen bunten Strauß an Förderungen und Anreizen. Bahnfahren wird künftig niedriger, Fliegen höher besteuert. Und die Kfz-Steuer soll ab 2021 für Autos mit höherem CO2-Ausstoß steigen. Aber das Herzstück der Reform ist die Bepreisung von CO2 für Verkehr und Gebäude über einen Zertifikate-Handel. Zunächst soll ein Festpreis gelten, der 2021 mit zehn Euro pro Tonne startet und bis 2025 auf 35 Euro steigt. Ein Liter Sprit würde so 2021 um drei Cent, 2025 um zwölf Cent teuer.
Experten halten den neuen CO2-Preis allerdings für zu niedrig. „Und da die CO2-Menge nicht beschränkt wird, geht der eigentliche Vorteil eines Emissionshandelssystems verloren“, warnt das Münchner ifo-Institut am Freitag.
Aber die Regierung will es sich auch nicht mit den Autofahrern verscherzen. Die Bilder der Gelbwesten-Proteste in Frankreich sind noch in den Köpfen. Sie hatten sich an der Spritsteuer entzündet, weshalb die Koalition die Pendlerpauschale erhöht und über eine niedrige Stromsteuer entlasten will.
Dass eine Tonne CO2 nur zehn Euro kosten soll, empört indes die Anführer der „Fridays-for-Future“Bewegung. „Das ist kein Durchbruch, das ist ein Skandal“, schimpft Luisa Neubauer, die so etwas wie die deutsche Greta Thunberg ist.
Kurzer Blick in den Rückspiegel: Noch im Juli 2018 wäre die Koalition beinahe am Flüchtlingsstreit zerbrochen. Das Klimathema lief unter dem Radar. Dann wurde es heiß: der Hitzesommer 2018. Die „Fridays for Future“-Bewegung trug ihren Protest auf die Straße. Die Grünen verdreifachten sich. Deutschland bekam Klimaangst: Am Freitag erschien eine Umfrage, wonach eine Mehrheit dem Klimaschutz Vorrang vor dem Wirtschaftswachstum geben würde.
Als die Koalition schließlich am Freitagnachmittag zur Vorstellung ihres Klimapakets ausrückt, haben einige müde Augen. Auch wenn die Kanzlerin von sich selbst sagt, sie könne Schlaf speichern wie ein Kamel Wasser. „Politik ist das, was möglich ist“, sagt Merkel zum Klimapaket. Es klingt wie eine Rechtfertigung gegenüber den „ungeduldigen jungen Menschen“. Seine Klimaziele für 2020 hat Deutschland schon verfehlt. „Wir schämen uns alle ein bisschen dafür“, erklärt SPD-Interimschefin Malu Dreyer. Das soll sich mit den Vorgaben für 2030 nicht wiederholen, weshalb hier auch fast jeder betont, dass die Wirksamkeit dieses Pakets jährlich überprüft werden soll.
Es gibt auch viel Lob für die jungen Klimaaktivsten, die Kanzlerin zitiert Greta Thunberg: „Unite behind science“. Und Finanzminister Olaf Scholz meint: Die Protestbewegung „hat uns alle wachgerüttelt“. Aber das sehen nicht alle so.