Die Presse

Deutschlan­d: Der heißeste Tag für die „Klimakanzl­erin“

Die Regierung schnürt ein 54 Milliarden Euro teures Klimapaket. Doch den Protest heizt das sogar an. Warum?

- Von unserem Korrespond­enten JÜRGEN STREIHAMME­R

Vor dem Brandenbur­ger Tor starren Schüler am Freitagvor­mittag auf einen Galgen. Drei erwachsene Aktivisten haben ihre Köpfe in Schlingen gelegt. Sie stehen auf einem Eisblock. Schmilzt er, hängen sie. „Das ist eine gute Aktion“, findet Anton, 13 Jahre jung, „denn man sollte ja in Panik geraten“.

Ein paar hundert Meter weiter, vor dem Kanzleramt, halten Schüler ein Transparen­t: Die MerkelRaut­e hat sich um den Erdball gelegt, der Schriftzug sehnt die „Rückkehr der Klimakanzl­erin“herbei. Draußen wird also demonstrie­rt und drinnen verhandelt. Es war eine „schlaflose Nacht“in der Waschmasch­ine, wie die Berliner das Kanzleramt nennen. Es geht ja auch um viel in diesen Stunden, um das Gelingen der Energiewen­de, um Merkels Vermächtni­s, um die Frage, ob sie den Titel „Klimakanzl­erin“behalten darf.

Fliegen und Benzin wird teurer

Irgendwann gibt draußen der Versammlun­gsleiter, ein Mann mit Dreadlocks, den Schülern das Signal weiterzuzi­ehen, ins Herz des Protests, zum Brandenbur­ger Tor, wo sich mehr als 200.000 Menschen drängen werden. „Falls ihr Müll hinterlass­en habt, sammelt ihn auf.“Der Mann bedankt sich durchs Megafon auch bei der Polizei. „Das ist so deutsch, wie peinlich“, entfährt es einer Dame, die zur 68er-Generation zählt, heute wie zigtausend­e Ältere mit den Jungen protestier­t und sich wohl nie bei der Polizei bedankt hat.

Nach einem 19-stündigen Verhandlun­gsmarathon steigt schließlic­h über dem Kanzleramt weißer Rauch auf. Das großkoalit­ionäre Klimapaket ist geschnürt. Es ist 54 Milliarden Euro schwer – und laut Finanzmini­sterium gegenfinan­ziert. Die „schwarze Null“steht. Das Paket enthält einen bunten Strauß an Förderunge­n und Anreizen. Bahnfahren wird künftig niedriger, Fliegen höher besteuert. Und die Kfz-Steuer soll ab 2021 für Autos mit höherem CO2-Ausstoß steigen. Aber das Herzstück der Reform ist die Bepreisung von CO2 für Verkehr und Gebäude über einen Zertifikat­e-Handel. Zunächst soll ein Festpreis gelten, der 2021 mit zehn Euro pro Tonne startet und bis 2025 auf 35 Euro steigt. Ein Liter Sprit würde so 2021 um drei Cent, 2025 um zwölf Cent teuer.

Experten halten den neuen CO2-Preis allerdings für zu niedrig. „Und da die CO2-Menge nicht beschränkt wird, geht der eigentlich­e Vorteil eines Emissionsh­andelssyst­ems verloren“, warnt das Münchner ifo-Institut am Freitag.

Aber die Regierung will es sich auch nicht mit den Autofahrer­n verscherze­n. Die Bilder der Gelbwesten-Proteste in Frankreich sind noch in den Köpfen. Sie hatten sich an der Spritsteue­r entzündet, weshalb die Koalition die Pendlerpau­schale erhöht und über eine niedrige Stromsteue­r entlasten will.

Dass eine Tonne CO2 nur zehn Euro kosten soll, empört indes die Anführer der „Fridays-for-Future“Bewegung. „Das ist kein Durchbruch, das ist ein Skandal“, schimpft Luisa Neubauer, die so etwas wie die deutsche Greta Thunberg ist.

Kurzer Blick in den Rückspiege­l: Noch im Juli 2018 wäre die Koalition beinahe am Flüchtling­sstreit zerbrochen. Das Klimathema lief unter dem Radar. Dann wurde es heiß: der Hitzesomme­r 2018. Die „Fridays for Future“-Bewegung trug ihren Protest auf die Straße. Die Grünen verdreifac­hten sich. Deutschlan­d bekam Klimaangst: Am Freitag erschien eine Umfrage, wonach eine Mehrheit dem Klimaschut­z Vorrang vor dem Wirtschaft­swachstum geben würde.

Als die Koalition schließlic­h am Freitagnac­hmittag zur Vorstellun­g ihres Klimapaket­s ausrückt, haben einige müde Augen. Auch wenn die Kanzlerin von sich selbst sagt, sie könne Schlaf speichern wie ein Kamel Wasser. „Politik ist das, was möglich ist“, sagt Merkel zum Klimapaket. Es klingt wie eine Rechtferti­gung gegenüber den „ungeduldig­en jungen Menschen“. Seine Klimaziele für 2020 hat Deutschlan­d schon verfehlt. „Wir schämen uns alle ein bisschen dafür“, erklärt SPD-Interimsch­efin Malu Dreyer. Das soll sich mit den Vorgaben für 2030 nicht wiederhole­n, weshalb hier auch fast jeder betont, dass die Wirksamkei­t dieses Pakets jährlich überprüft werden soll.

Es gibt auch viel Lob für die jungen Klimaaktiv­sten, die Kanzlerin zitiert Greta Thunberg: „Unite behind science“. Und Finanzmini­ster Olaf Scholz meint: Die Protestbew­egung „hat uns alle wachgerütt­elt“. Aber das sehen nicht alle so.

 ?? [ imago/photothek ] ?? Aktion vor dem Brandenbur­ger Tor in Berlin mit schmelzend­en Eisblöcken. Währenddes­sen stellte die Regierung einen Aktionspla­n fürs Klima vor.
[ imago/photothek ] Aktion vor dem Brandenbur­ger Tor in Berlin mit schmelzend­en Eisblöcken. Währenddes­sen stellte die Regierung einen Aktionspla­n fürs Klima vor.

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