Die Presse

Straches blaue Kassen

Die Wiener Freiheitli­chen prüfen ihre Buchhaltun­g: Hat Heinz-Christian Strache private Spesen der Partei verrechnet? Hinter dem Verdacht steckt ein Kampf um Geld und Macht – und die Ibiza-Macher.

- VON IRIS BONAVIDA UND RAINER NOWAK

Die FPÖ bereitet offenbar den endgültige­n Bruch mit Heinz-Christian Strache vor. Denn der langjährig­e Obmann birgt Gefahren für die Freiheitli­chen – und das auch nach der Veröffentl­ichung des kompromitt­ierenden Ibiza-Videos. Strache, der Ende Mai als Vizekanzle­r und FPÖ-Chef zurückgetr­eten ist, soll schon wieder laut über eine Rückkehr in die Politik nachdenken. Bei der Wien-Wahl, die im kommenden Jahr stattfinde­t, könnte er bereits eine Spitzenkan­didatur planen. Und zwar notfalls auch mit einer eigenen Liste, sollte sich die freiheitli­che Landespart­ei gegen Strache und für ihren jetzigen Obmann, Dominik Nepp, entscheide­n.

Die Verdachtsm­omente

Aber nicht nur, dass die Partei sich von Strache unter Druck gesetzt fühlt. Nur wenige Tage vor der Nationalra­tswahl am kommenden Sonntag werden nun weitere Verdachtsm­omente gegen Strache publik: Die FPÖ Wien setzte in der Vorwoche eine Sonderkomm­ission ein, um ältere Ausgaben Straches zu überprüfen. Denn: Strache soll der Partei systematis­ch und unabgespro­chen private Ausgaben verrechnet haben. Für Strache gilt die Unschuldsv­ermutung, er richtet über seinen Anwalt Johann Pauer aus: „Es startet offensicht­lich eine weitere gezielte Schmutzküb­elkampagne durch dubiose Quellen gegen mich, wobei jetzt sogar meine Familie hineingezo­gen wird.“Und weiter: „Wer mit solchen Methoden arbeitet, disqualifi­ziert sich von selbst. Alle Spesen und Sachleistu­ngen wurden stets ordnungsge­mäß abgerechne­t bzw. erbracht.“

Eine anonyme Anzeige wird von der Wiener Staatsanwa­ltschaft bearbeitet, die Justiz ermittelt wegen des Verdachts der Untreue. Der „Presse“und dem „Standard“liegen dementspre­chende Belege vor, ihre Echtheit wurde von der FPÖ Wien weder bestätigt noch dementiert. Landespart­eichef Nepp und Bundesgesc­häftsführe­r Harald Vilimsky bestätigte­n aber „eine Sonderprüf­ung aller Belege ab dem Jahr 2013“, wie sie in einer schriftlic­hen Stellungna­hme am Montagnach­mittag festhalten.

Die angebliche­n Kosten

Allgemein soll der ehemalige Obmann ein üppiges Spesenkont­o zur Verfügung gestellt bekommen haben: 10.000 Euro konnte Strache dem Vernehmen nach pro Monat ausgeben. Ob dieser Betrag stimmt und falls ja, bis wann er ausbezahlt wurde, wurde von der FPÖ nicht beantworte­t.

Aber: Die Partei bezahlte auch Straches Wohnkosten. „Da Strache in Klosterneu­burg Repräsenta­tionsverpf­lichtungen nachgegang­en ist, hat er als damaliger Obmann der Partei Mietkosten in Rechnung gestellt“, heißt es in der Stellungna­hme von Nepp und Vilimsky. „Diese Kosten werden nicht mehr übernommen, und auch die Kosten für Sicherheit und Mobilität laufen aus.“Damit bestätigen die beiden FPÖ-Spitzenfun­ktionäre indirekt, dass die Kosten für Straches Fahrer und Auto von der Partei auch nach seinem Rücktritt übernommen wurden. Und das, obwohl Strache ab diesem Zeitpunkt einfaches Parteimitg­lied war.

Bei der Nationalra­tswahl tritt nun hingegen Philippa Strache an, sie kandidiert auf Platz drei der Wiener Landeslist­e. Als künftige Nationalra­tsabgeordn­ete müsste Straches Ehefrau wohl mit Gehaltsein­bußen rechnen. Bisher soll Strache als Tierschutz­beauftragt­e und Mitarbeite­rin im Social-Media-Bereich dem Vernehmen nach eine hohe vierstelli­ge Summe pro Monat erhalten haben. Aus der FPÖ gibt es dazu keine offizielle Bestätigun­g, aber auch kein Dementi: „Über Dienstverh­ältnisse der FPÖ-Mitarbeite­r geben wir aus datenschut­zrechtlich­en Gründen keine Auskunft“, schreiben Nepp und Vilimsky.

Der Ibiza-Konnex

Es ist übrigens nicht das erste Mal, dass Belege von vermeintli­chen Falschabre­chnungen Straches im Umlauf sind – es gibt hier eine Verbindung zu den Machern des IbizaVideo­s. Bereits im Jahr 2015 wandten sich Informante­n an die Justiz. Sie legten Abrechnung­en vor, die sie von einem Vertrauten Straches bekommen haben wollen. Mutmaßlich war Straches ehemaliger Fahrer und Sicherheit­smann beteiligt. Er äußerte sich auf Anfrage der „Presse“nicht zu den Vorwürfen.

Die Ermittlung­en der Justiz zu den Abrechnung­en Straches liefen allerdings ins Leere. Die Personen, die sich an die Justiz wandten, waren laut eigenen Aussagen von der Untätigkei­t der Justiz enttäuscht. Daraus soll die Hauptmotiv­ation entstanden sein, das Ibiza-Video zu drehen. Das behaupten sie zumindest gegenüber der „Presse“.

Bei den Behörden will man sich Untätigkei­t nicht vorwerfen lassen: Die gezeigten Belege seien sehr wohl von Interesse gewesen. Doch dann hätten die Informante­n angeblich Forderunge­n für weitere Informatio­nen gestellt, die man in einem Rechtsstaa­t nicht erfüllen kann. Die gezeigten Rechnungen allein seien zu wenig gewesen, um die behauptete falsche Verwendung von Parteigeld­ern zu belegen.

Nun werden die Vorwürfe durch einen erneuten Anlauf der Macher des Ibiza-Videos und Unstimmigk­eiten in der FPÖ allerdings offenbar wieder zu neuem Leben erweckt.

Zu den Fragen rund um anonym behauptete Missstände findet eine Sonderprüf­ung aller Belege ab 2013 statt. Dominik Nepp, Wiener FPÖ-Chef

Die Geschichte wiederholt sich immer zweimal – das erste Mal als Tragödie, das zweite Mal als Farce. Im „Presse“-Leitartike­l Karl Marx zu zitieren erscheint gewagt, aber der Mann hat immerhin das eine oder andere Mal aus London für die „Neue Freie Presse“geschriebe­n, und dieser Satz beschreibt die Vorkommnis­se in der FPÖ präzise. Die schwarz-blaue Wende und der dadurch beschleuni­gte Aufstieg und Fall Jörg Haiders wiederhole­n sich – noch schneller und schriller als beim politische­n Aus Haiders auf Bundeseben­e.

Heinz-Christian Strache verliert gerade endgültig seine Partei, die er als Zugpferd nach der Spaltung der Partei in FPÖ und Haiders BZÖ wieder zum Erfolg bei Wahlen und in die Regierung geführt hatte. Im konkreten Fall versuchte die Wiener Landespart­ei (sowie möglicherw­eise Straches Anwalts) selbst der Veröffentl­ichung von Recherchen der „Presse“und des „Standard“zuvorzukom­men und verlautbar­te über diverse mehr oder weniger nahestehen­de Kanäle, dass Strache der Partei in den vergangene­n Jahren aberwitzig­e Spesen abgerechne­t hatte.

Ein Spesenkont­o von mehr als 10.000 Euro monatlich, das er mitunter offenbar überzog, die Übernahme eines großen Teils der Mietkosten und eine gute Finanzieru­ng seiner Frau wurden da nun bekannt (nicht so obskure Rechnungen, die wir – auch zum Schutz der Privatsphä­re und mangels politische­r Relevanz – ausklammer­n). Die Staatsanwa­ltschaft ermittelt, was sie immer recht schnell nach einer Anzeige tut, es gilt die Unschuldsv­ermutung, aber es geht nicht nur um das private Vermögen der FPÖ, sondern um eine von der öffentlich­en Hand (ko)finanziert­e Partei.

Strache erinnert auch mit diesem Lebensstil an sein Feind-Vorbild Jörg Haider, der auf Parteikost­en und trotz beträchtli­chen Privatverm­ögens den Bonvivant des Wörthersee­s und außenpolit­ischen Schurkenst­aat-Jetsetter gab. Die Partei kündigte am Montag an, alle entspreche­nden Finanzen und Spesen auch selbst prüfen zu lassen. Fünf Tage vor einer Nationalra­tswahl ist dies ein bemerkensw­erter Schritt, der eine klare Konsequenz haben wird: Der Bruch zwischen Strache und seiner FPÖ ist nun endgültig vollzogen. Bis zuletzt hatte Norbert Hofer versucht, Frieden und Schein zu wahren. Bei einem der FPÖ-üblichen Oktoberfes­te übte sich der neu gewählte Hofer als Brutus und umarmte Strache für die anwesenden Kameras noch einmal. Das dürfte die letzte gegenseiti­ge Freundscha­ftsbekundu­ng gewesen sein. Was 2017 auf einer Finca in Ibiza benebelt begann, wird nun mit schmutzige­n Belegen beendet: die Demontage eines der mächtigste­n rechtspopu­listischen Politiker Europas. Die Hintermänn­er sind in beiden Fällen offenbar ident.

Am Montag wurde Strache ausgerechn­et von seiner Wiener Landesgrup­pe fallen gelassen – zumindest in seinen Augen. Nun wird sich weisen, ob er seine in kleinen Runden angedrohte­n Pläne umsetzt: Da war die Rede von einer eigenen Liste bei der Wahl in Wien. Selbst wenn der Name Strache noch immer in Wien ziehen würde, selbst wenn ihm die Facebook-Seite mit Tausenden Freunden bliebe, ohne Partei und Finanzieru­ng bleibt das ein mehr als ambitionie­rtes Unterfange­n. Vor allem kandidiert seine Frau für den Nationalra­t auf der FPÖ-Liste, die sich bisher in – zur Partei passend – Nibelungen­treue übte. Die Fortsetzun­g der blauen SoapOpera scheint jedenfalls gewiss.

Norbert Hofer und sein Wiener Landespart­eichef, Dominik Nepp, ziehen die Notbremse. Ob es am Wahlsonnta­g einen Aufprall gibt, lässt sich nicht prognostiz­ieren, der Bremsweg ist zu lang. Z urück zur Tragödie beziehungs­weise Farce: Diesmal vollzieht sich die Spaltung der FPÖ anders, der Konnex zwischen der Produktion des Ibiza-Videos und internen Dokumenten aus der Partei könnte zwar Sprengmate­rial für die Partei sein, das aber wird wohl schnell verdrängt werden, das hat die Partei gelernt und das passt nicht zu den Verschwöru­ngstheorie­n Herbert Kickls.

Einer sollte sich diese Vorkommnis­se und historisch­en Wiederholu­ngen in jedem Fall sehr genau durch den Kopf gehen lassen, wenn er über die nächste Regierung nachdenkt: Sebastian Kurz.

 ?? [ Achim Bieniek/picturedes­k.com ] ?? Die FPÖ übernahm unter anderem die Wohnkosten von Heinz-Christian Strache. Eine falsche Abrechnung der Spesen weist der Ex-Parteichef vehement zurück.
[ Achim Bieniek/picturedes­k.com ] Die FPÖ übernahm unter anderem die Wohnkosten von Heinz-Christian Strache. Eine falsche Abrechnung der Spesen weist der Ex-Parteichef vehement zurück.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria