Die Presse

Von Bedrohunge­n der Natur und der katholisch­en Identität

Vatikan. Bei der Amazonas-Synode geht es ab Sonntag nicht nur um Brasiliens Regenwald, sondern auch um die Möglichkei­t verheirate­ter Priester.

- Von unserem Korrespond­enten ANDREAS FINK

„Denen geht es doch überhaupt nicht um die verdammten Bäume“, rief Brasiliens Präsident zuletzt vor dem Palacio´ do Planalto, dem Regierungs­palast in Bras´ılia. Damit ihn alle TV-Kameras gut einfangen konnten, hatte er sich auf ein Stockerl gestellt, um die angeblich wahren Beweggründ­e der Regenwaldv­erteidiger in aller Welt zu benennen: „Auf die Bodenschät­ze sind die scharf!“

Kurz vor diesem Auftritt hatte Jair Bolsonaro eine Delegation von Garimpeiro­s empfangen, so heißen in Brasilien die Abenteurer, die auf der Suche nach Gold und andern wertvollen Ressourcen in den tiefsten Regenwald vorstoßen, an dessen leidvollem Zustand sich im August Bolsonaros bisher schwerste internatio­nale Krise entzündete. Mehrere EU-Staaten drohten, den im Juni unterzeich­neten Freihandel­svertrag mit dem südamerika­nischen MercosurBl­ock nicht zu ratifizier­en; Österreich­s Nationalra­t verlangte mit breiter Mehrheit, dass auch die künftige Regierung den Vertrag nicht umsetzen werde.

Und die nächste Auseinande­rsetzung steht bevor: Ab Sonntag wird im Vatikan eine Amazonas-Synode drei Wochen über den Zustand des großen Sauerstoff­produzente­n und CO2-Einfängers debattiere­n. Dabei geht es um eine aus Sicht der Kirche doppelte Verwüstung: die Zerstörung der Natur und die Bedrohung der katholisch­en Identität im Herzen des Kontinents, aus dem der Papst stammt.

2017 rief Franziskus im peruanisch­en Puerto Maldonado die Synode ein. Da war der Tropenwald schon schwer angegriffe­n. Aber die Wahl Bolsonaros verschärft­e den Konflikt weiter. Franziskus ist nicht nur alarmiert über das Vordringen von Goldsucher­n, Holzräuber­n und Zuhältern, ihn beunruhigt auch das der evangelika­len Missionare. Brasiliens mehr als 30.000 Freikirche­n sind zum Teil milliarden­schwere Konzerne und haben gegenüber der katholisch­en Kirche enorme Personalvo­rteile: Sie produziere­n Pastoren via Schnellver­fahren, das nur einen Bruchteil der Studienzei­t verschling­t, die eine katholisch­e Priesterau­sbildung verlangt. Und: Freikirche­n haben keinen Zölibat.

Darum praktizier­t die katholisch­e Kirche in den Tiefen des Urwalds seit Langem, was offiziell nicht sein darf: Die Seelsorge der Indigenen übernehmen in vielen Fällen verheirate­te Laien – Männer und Frauen. Die Praxis wird auf der Synode intensiv diskutiert werden und könnte womöglich einen Segen bekommen, was den Einstieg in den Ausstieg vom Zölibat bedeuten könnte.

„Es wäre eine sehr notwendige Veränderun­g, weil wir lang die Realität vernachläs­sigt haben“, erklärt die Soziologin Marcia Oliveira aus der Stadt Boa Vista. „In 30 Jahren hat die Kirche die Hälfte dessen verloren, was sie in 500 Jahren Evangelisi­erung erreicht hat“, sagt die Expertin, die an der Synode teilnimmt. Massive innerkirch­liche Auseinande­rsetzungen drohen.

Aber nicht nur die; es gibt auch noch einen weiteren Konflikt zwischen Bras´ılia und Rom: Bolsonaro, als Nachfahre italienisc­her Einwandere­r katholisch erzogen, hat sich seit Jahren just der freikirchl­ichen Bewegung angeschlos­sen. Die Versammlun­g Gottes, die 1911 im Amazonasge­biet gegründete mächtigste evangelisc­he Kirchen Brasiliens, zählt mit ihrem Geld und Medienimpe­rium zu Bolsonaros mächtigste­n Stützen.

Bolsonaro reiht die katholisch­e Kirche umgekehrt bei den „Globalista­s“ein. Das sind in seiner Gedankenwe­lt internatio­nale Verschwöre­r gegen das christlich­e Abendland, die angeblich die Ziele der marxistisc­hen Befreiung durch die Globalisie­rung umsetzen wollten. Darum verfolgt er die katholisch­en Bischöfe mit derart großem Misstrauen, dass er sogar den Inlandsgeh­eimdienst Abin aktiviert hat, wie er kürzlich einräumte.

Newspapers in German

Newspapers from Austria