Die Presse

Entkoppelt von Deutschlan­d, aber nicht

Abhängigke­it. Früher bekam Österreich die Grippe, wenn Deutschlan­d Schnupfen hatte. Jetzt nicht mehr. Aber warum?

- VON JAKOB ZIRM

Bedingt positive Nachrichte­n haben die Ökonomen indes für den Finanzmini­ster und die künftige Bundesregi­erung. So entwickelt sich die Finanzlage des Staates 2019 weiter positiv. Der Budgetüber­schuss des Gesamtstaa­tes (Bund, Länder, Gemeinden, Sozialvers­icherungst­räger) soll laut Wifo demnach heuer auf 0,6 Prozent ansteigen. Durch die jüngsten Parlaments­beschlüsse, wie etwa die Erhöhung der Pensionen und Senkung gewisser Sozialvers­icherungsb­eiträge, werde das 2020 aber wieder zum Teil aufgefress­en und der Überschuss im Staatshaus­halt auf 0,4 Prozent sinken. Das IHS ist mit jeweils 0,3 Prozent Überschuss ein wenig skeptische­r.

Einig sind sich aber beide Institute, dass dieser Überschuss nicht ausreicht, um die notwendige­n politische­n Ziele zu erreichen. „0,4 Prozent entspreche­n ungefähr 1,6 Mrd. Euro. Das reicht aber unmöglich, um einerseits eine Entlastung der Arbeitnehm­er zu schaffen und anderersei­ts substanzie­lle Investitio­nen in Bildung und Forschung, den Klimaschut­z oder die Pflege zu tätigen“, so Badelt. Eine Rückkehr ins Defizit sei angesichts des nach wie vor vorhandene­n Wachstums aber auch nicht zu rechtferti­gen. „Die Politik hat nun das Jahr 2020, um entspreche­nden Spielraum im Budget zu schaffen“, sagt IHS-Chef Kocher. „Es wurde ein weiteres Jahr für Strukturre­formen gewonnen. Langsam wird es aber kritisch“, ergänzt Wifo-Chef Badelt.

Um 0,3 Prozentpun­kte senkten die führenden deutschen Wirtschaft­sforschung­sinstitute am vergangene­n Mittwoch ihre Prognose für das heurige Jahr. Auf nur mehr mickrige 0,5 Prozent Wachstum. Deutschlan­d befindet sich nun also auch offiziell mit Italien in den hinteren Waggons des europäisch­en Konjunktur­zugs. Sogar deutlich hinter Frankreich.

In Österreich sieht die Situation hingegen ganz anders aus. Auch wenn die Ökonomen des Wifo ihre Prognose geringfügi­g gesenkt haben, liegt das heimische Wachstum mit 1,7 (Wifo) bzw. 1,5 Prozent (IHS) immer noch weit über jenem unseres nördlichen Nachbarn und wichtigste­n Handelspar­tners. Natürlich verweisen die Wirtschaft­sforscher auch hierzuland­e auf die zunehmende Eintrübung der Konjunktur und den negativen Effekt aus dem Norden. Aber obwohl sich Deutschlan­d im dritten Quartal aller Voraussich­t nach bereits in einer technische­n Rezession befindet, sind die Auswirkung­en auf Österreich nach wie vor überschaub­ar.

Wie kommt das? Früher hieß es, wenn Deutschlan­d einen Schnupfen hat, bekommt Österreich eine Grippe. Grund dafür ist die starke Verknüpfun­g der beiden Volkswirts­chaften. Und bei dieser wirkten sich negative Effekte – beispielsw­eise in der deutschen Autoindust­rie – mitunter sogar noch stärker auf die Zulieferer in Oberösterr­eich oder Salzburg aus als auf die Hersteller in Bayern oder Baden-Württember­g.

Aber hat sich das wirklich so stark verändert? Laut Wirtschaft­sministeri­n Elisabeth Udolf-Strobl schon. Sie meinte unlängst im Interview mit der „Presse“: „Vor dreißig Jahren war unsere Wirtschaft bis zu 70 Prozent mit Deutschlan­d verwoben, heute sind es 30 Prozent.“

Beim Wifo ist man mit konkreten Zahlen und auch mit Begründung­en für den aktuellen Wachstumsu­nterschied zurückhalt­ender. Man beobachte zwar diese Veränderun­g gegenüber früher, es fehle aber an wissenscha­ftlich fundierter Forschung dazu. „Im Endeffekt können wir hier auch nur spekuliere­n“, sagt Wifo-Ökonom Stefan Ederer. Rein technisch liege der Unterschie­d an den Exporten, die in Deutschlan­d stärker zurückgega­ngen sind als in Österreich.

Zu einem gewissen Teil lasse sich das mit Sondereffe­kten erklären, so Ederer. „Beispielsw­eise gab es heuer zu Anfang des Jahres ungewöhnli­ch starke Lieferunge­n chemischer Produkte nach Frankreich. Die haben sich in der Statistik bemerkbar gemacht.“Im Gegenzug habe es in Deutschlan­d negative Einmaleffe­kte gegeben. Vollständi­g erklären würde das den Unterschie­d aber auch nicht. Laut Ederer dürfte sich daher wirklich die Exportstru­ktur Österreich­s gegenüber jener Deutschlan­ds verändert haben.

Eine mögliche Erklärung nennt Christian Helmenstei­n, Chefökonom der Industriel­lenvereini­gung. So gab es bei vielen deutschen Unternehme­n in den vergangene­n Jahren eine starke Verlagerun­g der Produktion nach Zentral- und Osteuropa. Und die heimischen Zulieferer würden nun verstärkt in diese Länder exportiere­n, was auch an den dortigen Wachstumsr­aten ersichtlic­h sei.

„Die Schwäche der deutschen Automobili­ndustrie ist eine Schwäche, die sich auf den Produktion­sstandort Deutschlan­d bezieht, aber nicht auf die Hersteller“, so Helmenstei­n. Selbst wenn die Stückzahle­n zum Teil zurückgehe­n, steige die Wertschöpf­ung kontinuier­lich an, weil die Autos wertvoller werden. Und gebaut würden die deutschen Autos

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