Entkoppelt von Deutschland, aber nicht
Abhängigkeit. Früher bekam Österreich die Grippe, wenn Deutschland Schnupfen hatte. Jetzt nicht mehr. Aber warum?
Bedingt positive Nachrichten haben die Ökonomen indes für den Finanzminister und die künftige Bundesregierung. So entwickelt sich die Finanzlage des Staates 2019 weiter positiv. Der Budgetüberschuss des Gesamtstaates (Bund, Länder, Gemeinden, Sozialversicherungsträger) soll laut Wifo demnach heuer auf 0,6 Prozent ansteigen. Durch die jüngsten Parlamentsbeschlüsse, wie etwa die Erhöhung der Pensionen und Senkung gewisser Sozialversicherungsbeiträge, werde das 2020 aber wieder zum Teil aufgefressen und der Überschuss im Staatshaushalt auf 0,4 Prozent sinken. Das IHS ist mit jeweils 0,3 Prozent Überschuss ein wenig skeptischer.
Einig sind sich aber beide Institute, dass dieser Überschuss nicht ausreicht, um die notwendigen politischen Ziele zu erreichen. „0,4 Prozent entsprechen ungefähr 1,6 Mrd. Euro. Das reicht aber unmöglich, um einerseits eine Entlastung der Arbeitnehmer zu schaffen und andererseits substanzielle Investitionen in Bildung und Forschung, den Klimaschutz oder die Pflege zu tätigen“, so Badelt. Eine Rückkehr ins Defizit sei angesichts des nach wie vor vorhandenen Wachstums aber auch nicht zu rechtfertigen. „Die Politik hat nun das Jahr 2020, um entsprechenden Spielraum im Budget zu schaffen“, sagt IHS-Chef Kocher. „Es wurde ein weiteres Jahr für Strukturreformen gewonnen. Langsam wird es aber kritisch“, ergänzt Wifo-Chef Badelt.
Um 0,3 Prozentpunkte senkten die führenden deutschen Wirtschaftsforschungsinstitute am vergangenen Mittwoch ihre Prognose für das heurige Jahr. Auf nur mehr mickrige 0,5 Prozent Wachstum. Deutschland befindet sich nun also auch offiziell mit Italien in den hinteren Waggons des europäischen Konjunkturzugs. Sogar deutlich hinter Frankreich.
In Österreich sieht die Situation hingegen ganz anders aus. Auch wenn die Ökonomen des Wifo ihre Prognose geringfügig gesenkt haben, liegt das heimische Wachstum mit 1,7 (Wifo) bzw. 1,5 Prozent (IHS) immer noch weit über jenem unseres nördlichen Nachbarn und wichtigsten Handelspartners. Natürlich verweisen die Wirtschaftsforscher auch hierzulande auf die zunehmende Eintrübung der Konjunktur und den negativen Effekt aus dem Norden. Aber obwohl sich Deutschland im dritten Quartal aller Voraussicht nach bereits in einer technischen Rezession befindet, sind die Auswirkungen auf Österreich nach wie vor überschaubar.
Wie kommt das? Früher hieß es, wenn Deutschland einen Schnupfen hat, bekommt Österreich eine Grippe. Grund dafür ist die starke Verknüpfung der beiden Volkswirtschaften. Und bei dieser wirkten sich negative Effekte – beispielsweise in der deutschen Autoindustrie – mitunter sogar noch stärker auf die Zulieferer in Oberösterreich oder Salzburg aus als auf die Hersteller in Bayern oder Baden-Württemberg.
Aber hat sich das wirklich so stark verändert? Laut Wirtschaftsministerin Elisabeth Udolf-Strobl schon. Sie meinte unlängst im Interview mit der „Presse“: „Vor dreißig Jahren war unsere Wirtschaft bis zu 70 Prozent mit Deutschland verwoben, heute sind es 30 Prozent.“
Beim Wifo ist man mit konkreten Zahlen und auch mit Begründungen für den aktuellen Wachstumsunterschied zurückhaltender. Man beobachte zwar diese Veränderung gegenüber früher, es fehle aber an wissenschaftlich fundierter Forschung dazu. „Im Endeffekt können wir hier auch nur spekulieren“, sagt Wifo-Ökonom Stefan Ederer. Rein technisch liege der Unterschied an den Exporten, die in Deutschland stärker zurückgegangen sind als in Österreich.
Zu einem gewissen Teil lasse sich das mit Sondereffekten erklären, so Ederer. „Beispielsweise gab es heuer zu Anfang des Jahres ungewöhnlich starke Lieferungen chemischer Produkte nach Frankreich. Die haben sich in der Statistik bemerkbar gemacht.“Im Gegenzug habe es in Deutschland negative Einmaleffekte gegeben. Vollständig erklären würde das den Unterschied aber auch nicht. Laut Ederer dürfte sich daher wirklich die Exportstruktur Österreichs gegenüber jener Deutschlands verändert haben.
Eine mögliche Erklärung nennt Christian Helmenstein, Chefökonom der Industriellenvereinigung. So gab es bei vielen deutschen Unternehmen in den vergangenen Jahren eine starke Verlagerung der Produktion nach Zentral- und Osteuropa. Und die heimischen Zulieferer würden nun verstärkt in diese Länder exportieren, was auch an den dortigen Wachstumsraten ersichtlich sei.
„Die Schwäche der deutschen Automobilindustrie ist eine Schwäche, die sich auf den Produktionsstandort Deutschland bezieht, aber nicht auf die Hersteller“, so Helmenstein. Selbst wenn die Stückzahlen zum Teil zurückgehen, steige die Wertschöpfung kontinuierlich an, weil die Autos wertvoller werden. Und gebaut würden die deutschen Autos