Warum der EuGH Google anders behandelt
Internet. Facebook kann dazu verpflichtet werden, weltweit Hasspostings zu suchen und zu entfernen, entschied der EuGH jüngst. Anderes gilt für Google. Die Suchmaschine muss Links, die EU-Bürger gelöscht haben wollen, nicht global löschen.
Gleich zweimal hat sich der Europäische Gerichtshof (EuGH) in den vergangenen beiden Wochen mit der Löschung von Daten im Internet befasst. Beide Entscheidungen sorgten für Aufsehen, zumal der EuGH dabei zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen kam.
Im ersten Fall (C-131/12) ging es um folgende Frage: Muss Google, wenn eine Person die Löschung eines Links bei der Suchmaschine beantragt, diese weltweit oder nur auf seinen EU-Domains (also google.at nur für Österreich oder google.fr nur für Frankreich) entfernen? Die Antwort der Luxemburger Richter: Google und andere Suchmaschinen müssen Links, die auf EU-Bürger verweisen, nicht weltweit, also auch nicht auf google.com entfernen. Das Recht auf Vergessenwerden gilt nicht für das globale Internet.
Konträr entschieden die EuGH-Richter am Donnerstag in der Causa Eva Glawischnig gegen Facebook (C-18/18). Die frühere Chefin der Grünen verlangte vom US-Konzern, dass er gegen sie gerichtete Hasspostings sowie sinngleiche Beleidigungen weltweit löschen soll. Und damit hatte die Ex-Politikerin Erfolg. Nach der Entscheidung vom 3. Oktober kann Facebook künftig verpflichtet werden, alle inhaltsgleichen rechtswidrige Kommentare mithilfe von automatisierten Techniken weltweit zu suchen und zu löschen.
Wie kann es sein, dass der EuGH bei Google diametral anders als bei Facebook entscheidet, wird sich so mancher fragen.
Grund ist, dass Google und Facebook rechtlich unterschiedlich zu beurteilen sind, sagt der Wiener Rechtsanwalt Christian Kern. „Facebook ist gemäß dem E-Commerce-Gesetz ein sogenannter Hosting-Provider, also ein Anbieter, der von seinen Nutzern eingegebene Inhalte speichert. Google hingegen nicht. Die Suchmaschine speichert keine Daten, sondern listet nur Links auf.“
Das hat rechtliche Konsequenzen: Gegenüber Google kann sich ein EU-Bürger daher nur auf die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) stützen und versuchen, das Recht auf Vergessenwerden durchzusetzen. Die DSGVO ist jedoch, so wollte es der EU-Gesetzgeber, lediglich auf den Bereich der Mitgliedstaaten beschränkt.
Anderes gilt für Facebook. Als HostingProvider ist der Konzern für die publizierten Inhalte verantwortlich. Er muss unverzüglich reagieren, wenn er weiß, dass bestimmte Postings unzulässig sind – etwa weil es bereits einen Gerichtsentscheid dazu gibt. „Die Internetplattform hat also die Kommentare zu sperren, und zwar weltweit, wie wir seit vergangenem Donnerstag wissen“, sagt der Datenschutzexperte.
Der EuGH argumentierte, dass sich solche Hasspostings via Internet sehr schnell geografisch ausbreiten können. Deshalb sei es notwendig, eine Abhilfemöglichkeit zu schaffen, die nicht national beschränkt ist. „Und um zu vermeiden, dass ein Betroffener eine Vielzahl an Verfahren anstrengen muss, hat sich die Löschpflicht nun auch auf weltweit verbreitete ,inhaltsgleiche‘ Postings zu beziehen“, erklärt Anwalt Christian Kern.
Was vielen nicht bewusst ist: Diese Verpflichtung trifft künftig nicht nur Facebook, sondern sämtliche Hosting-Provider, wie die Internetforen von Tageszeitungen, Wikipedia sowie Social-Media-Anbieter wie Twitter und Instagram.
Im Alltag wird das aktuelle Urteil des Höchstgerichts zu einem erheblichen Mehraufwand für die Betreiber der Internetdienste führen oder überhaupt zahnlos sein, gibt Kern zu bedenken. Denn selbst ein noch so detaillierter Auftrag eines Gerichts berge immer die Möglichkeit, dass bei der automatisierten Suche Texte erfasst werden, die gar nicht Ziel der Anordnung sind. „Darunter fallen etwa auch journalistische Artikel, die kritisch über die fraglichen Geschehnisse berichten und daher automatisch die gleichen Schlagwörter wie beleidigende Kommentare beinhalten. Um eine derartige Zensur zu vermeiden, müssten die betroffenen Anbieter sämtliche zu löschenden Postings einzeln von Menschen nachkontrollieren lassen. Gerade das wollte der EuGH aber verhindern.“
Bürgerorganisationen äußerten nach Bekanntwerden des Urteils prompt die Sorge, dass nun autoritäre Staaten einfach Regeln erlassen könnten, die zur Sperre von Inhalten in ganz Europa, ja sogar auf der ganzen Welt führen könnten. Diese Angst hält der Jurist allerdings für unbegründet: „Derzeit wird man wohl von keinem EUStaat sagen können, dass er autoritär regiert wird. Doch selbst wenn das einmal der Fall sein sollte, würden solche Gesetze ohnedies dem EU-Recht widersprechen.“