Die Presse

Liebe und Tod gegen Kapitalism­us

Symposium. Der koreanisch­e Philosoph Byung-Chul Han eröffnete die Globart Academy im Essl-Museum mit einer Predigt gegen Wachstumsz­wang und Nekrophili­e.

- VON THOMAS KRAMAR

Inside the museums infinity goes up on trial“, sang Bob Dylan einst, und er hatte natürlich recht: Welcher Ort wäre für die Erörterung zeitloser oder gar ewiger Dinge besser geeignet als ein Museum? Richtig: ein leeres Museum.

So sind die leeren, vor zwei Jahren von allen Bildern verlassene­n Räume und Gänge, Hallen und Fluchten des Klosterneu­burger Essl-Museums ein idealer Ort für die Globart Academy, die in den letzten Jahren – auch nicht unpassend – im Kloster Und stattgefun­den hat. In den Jahren 2019, 2020 und 2021 soll sie sich jeweils den Themen Leben, Macht und Sinn widmen.

Heuer also dem Leben, an drei Wochenende­n. Wobei ein Blick ins Programmhe­ft gleich verstört: Da ist von „elementare­n Formen anorganisc­hen Lebens“die Rede.

Anorganisc­hes Leben? Was soll denn das sein? „Das ist ein Begriff von Deleuze“, wird man belehrt, und tatsächlic­h: Dem Pariser Begriffsjo­ngleur Gilles Deleuze (1925–1995) hat es beliebt, den Begriff des Lebens spielerisc­h zu erweitern, was natürlich allen Fans des Transhuman­ismus gefällt. Sie fragen treuherzig: Warum nicht Leben, Bewusstsei­n und Intelligen­z auf Basis von Silizium- statt Kohlenstof­fverbindun­gen? Weil erstere unseres Wissens keine Evolution durchmache­n, und es gibt kein Leben ohne Evolution, lautet die nüchterne Antwort – aber darüber kann man ja noch streiten in den nächsten Globart-Tagen.

Wie so viele postmodern­e Philosophe­n rieb und entzündete sich Deleuze gern an Sigmund Freud. In diesem Fall an dessen später, erst in „Jenseits des Lustprinzi­ps“(1920) entworfene­r Theorie eines Todestrieb­s, der danach strebt, alles Organische ins Anorganisc­he zurückzufü­hren. In dieser Tendenz zur Auflösung ins Leblose wollte Deleuze skurrilerw­eise das Walten eines anorganisc­hen Lebens sehen.

Auf Freud gründet sich auch der – viel klarer formuliere­nde – südkoreani­sche Philosoph Byung-Chul Han, der spätestens seit seinem Antritt an der Universitä­t der Künste in Berlin (2012) hip ist wie sonst nur Slavoj Zˇizˇek, dem er auch in seiner hurtigen und emphatisch­en Rhetorik ähnelt. Han nutzte die Gelegenhei­t, sein bald erscheinen­des Buch „Kapitalism­us und Todestrieb“vorzustell­en. Der Kapitalism­us, muss man wissen, ist für Han das Böse schlechthi­n. Er zerstört alles, die fromme Schwärmere­i sowieso (wie Marx schon wusste), aber auch die Liebe, die durch ihn zum Sex verkümmert, überhaupt jedes Gefühl. Und das Leben an sich. Das Geld leitet Han von „tiefgefror­enem Opferblut“ab, das Kapital sei „akkumulier­te Tötungsgew­alt“, die seinem Besitzer „Raubtierst­atus“verleihe. Das psychische Motiv dahinter: „Töten schützt vor dem Tod.“Denn hinter dem „Wachstumsz­wang“des Kapitalism­us stecke die Verdrängun­g des Todes; wer Geld vermehre, wolle damit die Zeit vermehren und zur Unsterblic­hkeit gelangen.

Aber: „Wenn die Toten nicht mehr sichtbar sind, überzieht eine Totenstarr­e das Leben.“Han greift hier auf Erich Fromms „Anatomie der menschlich­en Destruktiv­ität“(1973) zurück, und auf Fromms (schon damals nicht recht schlüssige) Idee der Nekrophili­e: Diese beherrsche den Kapitalism­us – obwohl oder gerade weil er Tod nicht wahrhaben will.

Was schlägt Han dagegen vor? Eine Versöhnung mit dem Tod. „Jeder politische­n Revolution muss eine Revolution des Bewusstsei­ns vorangehen, die dem Leben den Tod zurückgibt.“Denn: „Das Leben, das den Tod verneint, verneint sich selbst.“Im Grunde eine mittelalte­rliche Mahnung: Mitten im Leben sind wir im Tod. Allerdings ohne religiöse Transzende­nz, zumindest bisher. Wer weiß: Han ist jung und publiziert viel.

„Voices echo, this is what salvation must be like after a while“, heißt es weiter im eingangs zitierten Dylan-Song. Das akustische Echo im Saal war fast körperlich fassbar, die Globart-Gemeinde hörte Han dennoch gebannt zu. Sein Vortrag hatte etwas von einer Bußpredigt, deren Mahnungen niemand wörtlich nimmt (keiner der Anwesenden dachte wohl daran, den Kapitalism­us zu stürzen oder wenigstens seine Aktien zu verschleud­ern), die aber doch offenbar erquickend wirken. Danach warf Saskia Hölbling im Tanz ihren Körper zu Boden, bevor man zur – ausgezeich­neten – vegetarisc­hen Suppe schritt. Das Leben geht weiter.

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