Liebe und Tod gegen Kapitalismus
Symposium. Der koreanische Philosoph Byung-Chul Han eröffnete die Globart Academy im Essl-Museum mit einer Predigt gegen Wachstumszwang und Nekrophilie.
Inside the museums infinity goes up on trial“, sang Bob Dylan einst, und er hatte natürlich recht: Welcher Ort wäre für die Erörterung zeitloser oder gar ewiger Dinge besser geeignet als ein Museum? Richtig: ein leeres Museum.
So sind die leeren, vor zwei Jahren von allen Bildern verlassenen Räume und Gänge, Hallen und Fluchten des Klosterneuburger Essl-Museums ein idealer Ort für die Globart Academy, die in den letzten Jahren – auch nicht unpassend – im Kloster Und stattgefunden hat. In den Jahren 2019, 2020 und 2021 soll sie sich jeweils den Themen Leben, Macht und Sinn widmen.
Heuer also dem Leben, an drei Wochenenden. Wobei ein Blick ins Programmheft gleich verstört: Da ist von „elementaren Formen anorganischen Lebens“die Rede.
Anorganisches Leben? Was soll denn das sein? „Das ist ein Begriff von Deleuze“, wird man belehrt, und tatsächlich: Dem Pariser Begriffsjongleur Gilles Deleuze (1925–1995) hat es beliebt, den Begriff des Lebens spielerisch zu erweitern, was natürlich allen Fans des Transhumanismus gefällt. Sie fragen treuherzig: Warum nicht Leben, Bewusstsein und Intelligenz auf Basis von Silizium- statt Kohlenstoffverbindungen? Weil erstere unseres Wissens keine Evolution durchmachen, und es gibt kein Leben ohne Evolution, lautet die nüchterne Antwort – aber darüber kann man ja noch streiten in den nächsten Globart-Tagen.
Wie so viele postmoderne Philosophen rieb und entzündete sich Deleuze gern an Sigmund Freud. In diesem Fall an dessen später, erst in „Jenseits des Lustprinzips“(1920) entworfener Theorie eines Todestriebs, der danach strebt, alles Organische ins Anorganische zurückzuführen. In dieser Tendenz zur Auflösung ins Leblose wollte Deleuze skurrilerweise das Walten eines anorganischen Lebens sehen.
Auf Freud gründet sich auch der – viel klarer formulierende – südkoreanische Philosoph Byung-Chul Han, der spätestens seit seinem Antritt an der Universität der Künste in Berlin (2012) hip ist wie sonst nur Slavoj Zˇizˇek, dem er auch in seiner hurtigen und emphatischen Rhetorik ähnelt. Han nutzte die Gelegenheit, sein bald erscheinendes Buch „Kapitalismus und Todestrieb“vorzustellen. Der Kapitalismus, muss man wissen, ist für Han das Böse schlechthin. Er zerstört alles, die fromme Schwärmerei sowieso (wie Marx schon wusste), aber auch die Liebe, die durch ihn zum Sex verkümmert, überhaupt jedes Gefühl. Und das Leben an sich. Das Geld leitet Han von „tiefgefrorenem Opferblut“ab, das Kapital sei „akkumulierte Tötungsgewalt“, die seinem Besitzer „Raubtierstatus“verleihe. Das psychische Motiv dahinter: „Töten schützt vor dem Tod.“Denn hinter dem „Wachstumszwang“des Kapitalismus stecke die Verdrängung des Todes; wer Geld vermehre, wolle damit die Zeit vermehren und zur Unsterblichkeit gelangen.
Aber: „Wenn die Toten nicht mehr sichtbar sind, überzieht eine Totenstarre das Leben.“Han greift hier auf Erich Fromms „Anatomie der menschlichen Destruktivität“(1973) zurück, und auf Fromms (schon damals nicht recht schlüssige) Idee der Nekrophilie: Diese beherrsche den Kapitalismus – obwohl oder gerade weil er Tod nicht wahrhaben will.
Was schlägt Han dagegen vor? Eine Versöhnung mit dem Tod. „Jeder politischen Revolution muss eine Revolution des Bewusstseins vorangehen, die dem Leben den Tod zurückgibt.“Denn: „Das Leben, das den Tod verneint, verneint sich selbst.“Im Grunde eine mittelalterliche Mahnung: Mitten im Leben sind wir im Tod. Allerdings ohne religiöse Transzendenz, zumindest bisher. Wer weiß: Han ist jung und publiziert viel.
„Voices echo, this is what salvation must be like after a while“, heißt es weiter im eingangs zitierten Dylan-Song. Das akustische Echo im Saal war fast körperlich fassbar, die Globart-Gemeinde hörte Han dennoch gebannt zu. Sein Vortrag hatte etwas von einer Bußpredigt, deren Mahnungen niemand wörtlich nimmt (keiner der Anwesenden dachte wohl daran, den Kapitalismus zu stürzen oder wenigstens seine Aktien zu verschleudern), die aber doch offenbar erquickend wirken. Danach warf Saskia Hölbling im Tanz ihren Körper zu Boden, bevor man zur – ausgezeichneten – vegetarischen Suppe schritt. Das Leben geht weiter.