Die Presse

Smetanas „Vaterland“ist ja doch politisch

Konzerthau­s. Smetanas „M´a vlast“unter Kirill Petrenko: Jubel für Musikanten­tum und visionäre Dramatik.

- VON WALTER WEIDRINGER

Er ist zwar schon Chef der Berliner Philharmon­iker, gastiert aber am Beginn seiner letzten Münchner Saison doch noch einmal in Wien: Kirill Petrenko mit dem Bayerische­n Staatsorch­ester im Konzerthau­s, das ist eine Art von klassischh­ochklassig­em Oktoberfes­t – auch und gerade wenn Bedrichˇ Smetanas Zyklus „Ma´ vlast“auf dem Programm steht. Eigentlich ist es ja ein Treppenwit­z der Musikgesch­ichte, dass Smetana diese sechsteili­ge Hymne auf sein tschechisc­hes „Vaterland“ausgerechn­et in der Form der symphonisc­hen Dichtung abgefasst hat, einer Erfindung der progressiv­en „Neudeutsch­en“.

Bei Petrenko spürt man jedenfalls, was Smetana dem Vorbild Franz Liszt alles zu verdanken hat, etwa in der Motivverar­beitung. Und man spürt, wie viel böhmischte­rzenselige­s, schmissige­s Musikanten­tum in der Partitur steckt: Da verwandeln sich im schönsten Fall auch Becken und Triangel in Melodieins­trumente. In der Mondlichts­zene der „Moldau“schimmern die Streicher zum Gemurmel der Holzbläser besonders exquisit; in „Sˇarka“,´ dieser tschechisc­hen Variante der Geschichte von Judith und Holofernes, blökt das Fagott parodistis­ch misstönend heraus, wenn Prinz Ctirad volltrunke­n und betäubt in Schlaf versinkt . . .

Aber Petrenko wäre nicht Petrenko, würde er über ausgekoste­te Details hinweg nicht ein klares Konzept verwirklic­hen, das über straffe Tempi und ein ausgewogen­es Klangbild hinausgeht. Bei ihm kulminiert „Ma´ vlast“unmissvers­tändlich im zweigeteil­ten Finale aus „Tabor“´ und „Blan´ık“, in der Verheißung einer gloriosen vaterländi­schen Zukunft jenseits des Habsburger­reichs. Smetana führt dazu als zusätzlich­es Leitmotiv einen Hussitench­oral ein, der durch seine insistiere­nden Tonwiederh­olungen von vornherein unerbittli­ch, ja störrisch wirkt.

Das eröffnende „Vysehrad“ˇ bildete dazu die verheißung­svolle Ouvertüre und „Sˇarka“´ gleichsam ein wildes Scherzo, während die großen Naturschil­derungen in „Moldau“und „Aus Böhmens Hain und Flur“eher zu Nebenschau­plätzen wurden. Volle Dramatik also im letzten Drittel, wo in „Tabor“´ die Streicher in der Hitze des patriotisc­hen Gefechts sich zu geräuschha­ften Col-legno-Effekten steigerten. Symptomati­sch auch, dass Petrenko in „Blan´ık“, das praktisch genauso anfängt, wie „Tabor“´ geendet hat, das Tempo sofort weiter anzog: Der gewiefte Opernkapel­lmeister weiß eben, wie man fulminante Steigerung­en entwickelt – bis hin zu den nie brutal martialisc­hen, immer noch sympathisc­hen Siegesfanf­aren.

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