Smetanas „Vaterland“ist ja doch politisch
Konzerthaus. Smetanas „M´a vlast“unter Kirill Petrenko: Jubel für Musikantentum und visionäre Dramatik.
Er ist zwar schon Chef der Berliner Philharmoniker, gastiert aber am Beginn seiner letzten Münchner Saison doch noch einmal in Wien: Kirill Petrenko mit dem Bayerischen Staatsorchester im Konzerthaus, das ist eine Art von klassischhochklassigem Oktoberfest – auch und gerade wenn Bedrichˇ Smetanas Zyklus „Ma´ vlast“auf dem Programm steht. Eigentlich ist es ja ein Treppenwitz der Musikgeschichte, dass Smetana diese sechsteilige Hymne auf sein tschechisches „Vaterland“ausgerechnet in der Form der symphonischen Dichtung abgefasst hat, einer Erfindung der progressiven „Neudeutschen“.
Bei Petrenko spürt man jedenfalls, was Smetana dem Vorbild Franz Liszt alles zu verdanken hat, etwa in der Motivverarbeitung. Und man spürt, wie viel böhmischterzenseliges, schmissiges Musikantentum in der Partitur steckt: Da verwandeln sich im schönsten Fall auch Becken und Triangel in Melodieinstrumente. In der Mondlichtszene der „Moldau“schimmern die Streicher zum Gemurmel der Holzbläser besonders exquisit; in „Sˇarka“,´ dieser tschechischen Variante der Geschichte von Judith und Holofernes, blökt das Fagott parodistisch misstönend heraus, wenn Prinz Ctirad volltrunken und betäubt in Schlaf versinkt . . .
Aber Petrenko wäre nicht Petrenko, würde er über ausgekostete Details hinweg nicht ein klares Konzept verwirklichen, das über straffe Tempi und ein ausgewogenes Klangbild hinausgeht. Bei ihm kulminiert „Ma´ vlast“unmissverständlich im zweigeteilten Finale aus „Tabor“´ und „Blan´ık“, in der Verheißung einer gloriosen vaterländischen Zukunft jenseits des Habsburgerreichs. Smetana führt dazu als zusätzliches Leitmotiv einen Hussitenchoral ein, der durch seine insistierenden Tonwiederholungen von vornherein unerbittlich, ja störrisch wirkt.
Das eröffnende „Vysehrad“ˇ bildete dazu die verheißungsvolle Ouvertüre und „Sˇarka“´ gleichsam ein wildes Scherzo, während die großen Naturschilderungen in „Moldau“und „Aus Böhmens Hain und Flur“eher zu Nebenschauplätzen wurden. Volle Dramatik also im letzten Drittel, wo in „Tabor“´ die Streicher in der Hitze des patriotischen Gefechts sich zu geräuschhaften Col-legno-Effekten steigerten. Symptomatisch auch, dass Petrenko in „Blan´ık“, das praktisch genauso anfängt, wie „Tabor“´ geendet hat, das Tempo sofort weiter anzog: Der gewiefte Opernkapellmeister weiß eben, wie man fulminante Steigerungen entwickelt – bis hin zu den nie brutal martialischen, immer noch sympathischen Siegesfanfaren.