Wirksamer Klimaschutz setzt auf Innovation
.Die heimische Industrie hat in den vergangenen Jahren viel unternommen, um ihre Emissionen nachhaltig zu reduzieren. Wichtig wäre es, dass andere Sektoren jetzt nachziehen.
Die Klimakrise hat es in die erste Reihe der Politik geschafft. Greta Thunberg hat nicht nur Hunderttausende Menschen weltweit auf die Straße gebracht. Sie hat den Grünen bei den Nationalratswahlen in Österreich indirekt auch zu einem fulminanten Comeback verholfen. Die Große Koalition in der Bundesrepublik Deutschland hat sogar schon ihr Klimapaket vorgelegt, das unter anderem einen stetig steigenden Preis für den Ausstoß von Kohlendioxid (CO2) vorsieht. Erstmals werden auch die Emissionen bei Verkehr und Gebäuden in Rechnung gestellt.
Es ist das erklärte Ziel der österreichischen Industrie, eine aktive und konstruktive Gestalterin dieser notwendigen Transformation hin zu einem nachhaltigen Gesamtsystem zu sein und den Standort Österreich in diesem Wandel weiter zu stärken. Die grundlegende Voraussetzung dafür ist die Erhaltung der globalen Wettbewerbsfähigkeit der österreichischen Betriebe. Umfassende geopolitische, technologische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Umbrüche verändern derzeit sowohl die Rahmenbedingungen als auch die Funktionsweise des Energiesystems, der Mobilität, im Gebäudesektor sowie im Produktions- und Haushaltsbereich.
Wie weit sind diese Bemühungen gediehen? Wie steht es allgemein in Österreich mit den Klimazielen? Wo sind die größten CO2Einsparungspotenziale, und welche Maßnahmen können sinnvoll beitragen, sie zu heben? „Die Presse“sucht Antworten auf die wichtigsten Fragen rund um Klima und Industrie:
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Im Vorjahr emittierte Österreich 79,1 Millionen Tonnen CO2. Das ist 3,8 Prozent weniger als 2017 – und das trotz eines noch starken Wirtschaftswachstums von 2,4 Prozent. Doch schießt Österreich damit an seinen nationalen Klimaschutzzielen vorbei. Auch die längerfristigen Vorgaben der EU dürften bei unveränderter Entwicklung schwer zu erreichen sein.
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Während die Industrie ihren ökologischen Fußabdruck seit Jahren konsequent verkleinert, stiegen die CO2-Emissionen des Verkehrs zuletzt zum vierten Mal in Folge an. Im ersten Halbjahr 2019 sind die CO2-Emissionen des Verkehrs weiter gestiegen, womit sich der Abstand zu Österreichs Klimaziel zu vergrößern droht. Ursprünglich sollte der Verkehrssektor in Österreich im Jahr 2030 höchstens 15,7 Millionen Tonnen CO2 verursachen. Mit 28,4 Millionen Tonnen CO2 stellt die heimische Industrie mehr als ein Drittel aller Emissionen und ist damit der größte CO2Produzent des Landes. Gleich dahinter folgt jedoch der Verkehrssektor mit 23,8 Millionen Tonnen. Auf Platz drei landet die Landwirtschaft mit 8,1 Millionen Tonnen CO2..
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Ein einheitlicher Preis für die Tonne CO2 könnte helfen. Für die Industrie ist diese Forderung allerdings bereits längst Realität. Sie ist Teil des Emissionshandelssystems (ETS) der Europäischen Union. Produktionsbetriebe müssen jede Tonne CO2, die sie ausstoßen, mit einem entsprechenden CO2-Zertifikat hinterlegen. Der Preis für diese Zertifikate schwankte in der Vergangenheit stark und stieg in den letzten beiden Jahren schlagartig von fünf auf knapp unter dreissig Euro an. Nach ersten Anlaufschwierigkeiten gilt der ETSHandel heute als relativ funktionstüchtig und ist ein Grund für die konsequente Treibhausgasreduktion des Sektors. Seit 2005 verringerten sich die Emissionen der heimischen Industrie – trotz steigender Produktionsleistung – immerhin um 7,4 Millionen Tonnen.
Österreichs Auto- und LkwFahrer werden indes nur vergleichsweise gering belastet, so das Ergebnis einer neuen Untersuchung der OECD. Sie hat die Mineralölsteuern in 44 Industrie- und Schwellenländern verglichen.
Österreich landet im Durchschnitt. Innerhalb der Europäischen Union ist Österreich allerdings weit hinten. Viele Staaten überlegen daher, auch die Emissionen in den beiden Problembereichen Verkehr und Wärmesektor stärker zu bepreisen – sei es über eine CO2-Steuer oder über das Einbeziehen in den ETS-Handel. Mit dem dort heute üblichen Preis von 30 Euro werde es allerdings im Verkehrsbereich kaum Veränderungen geben, warnen Experten. Eine diskutierte Zusatzbelastung von jenseits der hundert Euro je Tonne CO2 verunsichert wiederum die produzierenden Unternehmen in Österreich. Die Energiekosten seien bereits so hoch, dass heimische Betriebe oft einen Wettbewerbsnachteil erlitten, argumentieren sie. Komme eine überzogene CO2-Bepreisung dazu, könnte das etliche Unternehmen dazu verleiten, ihre Produktion in Staaten abzusiedeln, die ihren Betrieben deutlich geringere Auflagen machen.
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Die heimische CO2-Bilanz wäre mit einem schlagartigen Ende der Produktion in Österreich naturgemäß besser, das Weltklima stiege allerdings deutlich schlechter aus, belegt eine Studie des Instituts für Industrielle Ökologie. Es sei falsch, immer nur die Emissionen zu betrachten, die im Land entstehen, sagt Institutsleiter Andreas Windsperger. Man müsse die Emissionen bei der Herstellung der Handelsgüter miteinbeziehen. „Hier zeigt sich, dass die Klimarelevanz des Konsums größer ist als gedacht.“
Wandert die heimische Produktionsleistung ins Ausland ab, verdoppelt sich der ökologische Fußabdruck beinahe, so das Ergebnis der Studie. Denn die heimische Industrie zählt international zu den saubersten. So verursacht die chemische Industrie in Österreich etwa nur halb so viel Emissionen wie im EU-Schnitt. Statt die heimischen Betriebe zu vertreiben, solle man sie besser zurück ins Land lotsen, so der Schluss der Ökonomen. Sie haben berechnet, was passieren würde, wenn die Produktion von Vor- und Endprodukten aus dem Ausland nach Österreich zurückkäme. Für jede Tonne CO2, die hierzulande zusätzlich emittiert würde, könnten global 1,9 Millionen Tonnen an Treibhausgasemissionen eingespart werden.
Für Zukunft und Wohlstand des Landes wäre ein Abwandern der Industrie schwer zu verkraften. Die heimischen Industriebetriebe sind die forschungsstärksten Unternehmen im Land und sichern Hunderttausende Arbeitsplätze in ihren eigenen und in Zulieferbetrieben. Allein die oft kritisierte Voestalpine bringt so viel Wertschöpfung wie die halbe (vertagte) Steuerreform.
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Die Europäische Union ist mit Abstand der Wirtschaftsraum, der sich und seiner Industrie die härtesten Klimaschutz-Ziele verpasst hat. Die EU hat ihren Anteil an den weltweiten Treibhausgasen auf zehn Prozent reduzieren können. Im Rahmen des Pariser Abkommens hat sich die Europäische Union zudem verpflichtet, bis 2030 weitere 40 Prozent an Treibhausgasemissionen einzusparen.
Wichtigstes Instrument im Bereich des produzierenden Gewerbes ist dabei das Emissionshandelssystem. Für die betroffenen Unternehmen bedeutet das aber einen eklatanten Wettbewerbsnachteil gegenüber Konkurrenten aus anderen Wirtschaftsräumen, in denen die CO2-Kosten entweder negiert oder nicht direkt an die Industriebetriebe weitergegeben werden. Gerade wenn Europa mit dem Gedanken spielt, die Bepreisung von CO2 zu erhöhen oder auszuweiten, halten es viele Ökonomen daher für notwendig, dass die EU Importprodukte mit einem Zoll belastet, der sich an dem Ausstoß von CO2 bei der Herstellung des Produkts orientiert. Der oft verwendete Begriff der Klimazölle sei inhaltlich falsch, sagt Gabriel Felbermayr, Chef des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel, zur „Presse“. Ein Zoll sei etwas Diskriminierendes. Diskriminiert seien in dem Fall aber die europäischen Unternehmen. „Die Gefahr einer hohen CO2-Bepreisung ohne Grenzausgleich in Europa ist, dass wir hier sehr hohe Kosten haben, die Wertschöpfung aus Europa vertreiben und nichts zur Lösung des globalen Problems beitragen. Statt in Europa werden die Treibhausgase aus der Produktion eben anderswo emittiert. Wir importieren sie mit den dort erzeugten Gütern. Damit haben wir nichts für das Klima getan, aber der europäischen Wirtschaft geschadet.“
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Viele Unternehmen fordern etwa, dass der Staat die Einnahmen aus dem ETS-Handel in den Umstieg auf eine klimafreundlichere Industrie reinvestiert. Abgesehen davon wird es vor allem neue Technologien brauchen. Denn nach heutigem technischen Stand ist eine komplette Dekarbonisierung der Industrie schlichtweg unmöglich. Bei der Zement- oder Stahlproduktion fällt etwa prozessbedingt CO2 an. Die Linzer Voest will das ändern und probt Stahlerzeugung auf der Basis von grünem Wasserstoff. Das ist zwar vielversprechend. Bis es großindustriell eingesetzt werden kann dürften aber Jahrzehnte vergehen.