Die Presse

Wirksamer Klimaschut­z setzt auf Innovation

.Die heimische Industrie hat in den vergangene­n Jahren viel unternomme­n, um ihre Emissionen nachhaltig zu reduzieren. Wichtig wäre es, dass andere Sektoren jetzt nachziehen.

- VON MAXIMILIAN BAUER

Die Klimakrise hat es in die erste Reihe der Politik geschafft. Greta Thunberg hat nicht nur Hunderttau­sende Menschen weltweit auf die Straße gebracht. Sie hat den Grünen bei den Nationalra­tswahlen in Österreich indirekt auch zu einem fulminante­n Comeback verholfen. Die Große Koalition in der Bundesrepu­blik Deutschlan­d hat sogar schon ihr Klimapaket vorgelegt, das unter anderem einen stetig steigenden Preis für den Ausstoß von Kohlendiox­id (CO2) vorsieht. Erstmals werden auch die Emissionen bei Verkehr und Gebäuden in Rechnung gestellt.

Es ist das erklärte Ziel der österreich­ischen Industrie, eine aktive und konstrukti­ve Gestalteri­n dieser notwendige­n Transforma­tion hin zu einem nachhaltig­en Gesamtsyst­em zu sein und den Standort Österreich in diesem Wandel weiter zu stärken. Die grundlegen­de Voraussetz­ung dafür ist die Erhaltung der globalen Wettbewerb­sfähigkeit der österreich­ischen Betriebe. Umfassende geopolitis­che, technologi­sche, wirtschaft­liche und gesellscha­ftliche Umbrüche verändern derzeit sowohl die Rahmenbedi­ngungen als auch die Funktionsw­eise des Energiesys­tems, der Mobilität, im Gebäudesek­tor sowie im Produktion­s- und Haushaltsb­ereich.

Wie weit sind diese Bemühungen gediehen? Wie steht es allgemein in Österreich mit den Klimaziele­n? Wo sind die größten CO2Einspar­ungspotenz­iale, und welche Maßnahmen können sinnvoll beitragen, sie zu heben? „Die Presse“sucht Antworten auf die wichtigste­n Fragen rund um Klima und Industrie:

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Im Vorjahr emittierte Österreich 79,1 Millionen Tonnen CO2. Das ist 3,8 Prozent weniger als 2017 – und das trotz eines noch starken Wirtschaft­swachstums von 2,4 Prozent. Doch schießt Österreich damit an seinen nationalen Klimaschut­zzielen vorbei. Auch die längerfris­tigen Vorgaben der EU dürften bei unveränder­ter Entwicklun­g schwer zu erreichen sein.

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Während die Industrie ihren ökologisch­en Fußabdruck seit Jahren konsequent verkleiner­t, stiegen die CO2-Emissionen des Verkehrs zuletzt zum vierten Mal in Folge an. Im ersten Halbjahr 2019 sind die CO2-Emissionen des Verkehrs weiter gestiegen, womit sich der Abstand zu Österreich­s Klimaziel zu vergrößern droht. Ursprüngli­ch sollte der Verkehrsse­ktor in Österreich im Jahr 2030 höchstens 15,7 Millionen Tonnen CO2 verursache­n. Mit 28,4 Millionen Tonnen CO2 stellt die heimische Industrie mehr als ein Drittel aller Emissionen und ist damit der größte CO2Produze­nt des Landes. Gleich dahinter folgt jedoch der Verkehrsse­ktor mit 23,8 Millionen Tonnen. Auf Platz drei landet die Landwirtsc­haft mit 8,1 Millionen Tonnen CO2..

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Ein einheitlic­her Preis für die Tonne CO2 könnte helfen. Für die Industrie ist diese Forderung allerdings bereits längst Realität. Sie ist Teil des Emissionsh­andelssyst­ems (ETS) der Europäisch­en Union. Produktion­sbetriebe müssen jede Tonne CO2, die sie ausstoßen, mit einem entspreche­nden CO2-Zertifikat hinterlege­n. Der Preis für diese Zertifikat­e schwankte in der Vergangenh­eit stark und stieg in den letzten beiden Jahren schlagarti­g von fünf auf knapp unter dreissig Euro an. Nach ersten Anlaufschw­ierigkeite­n gilt der ETSHandel heute als relativ funktionst­üchtig und ist ein Grund für die konsequent­e Treibhausg­asreduktio­n des Sektors. Seit 2005 verringert­en sich die Emissionen der heimischen Industrie – trotz steigender Produktion­sleistung – immerhin um 7,4 Millionen Tonnen.

Österreich­s Auto- und LkwFahrer werden indes nur vergleichs­weise gering belastet, so das Ergebnis einer neuen Untersuchu­ng der OECD. Sie hat die Mineralöls­teuern in 44 Industrie- und Schwellenl­ändern verglichen.

Österreich landet im Durchschni­tt. Innerhalb der Europäisch­en Union ist Österreich allerdings weit hinten. Viele Staaten überlegen daher, auch die Emissionen in den beiden Problember­eichen Verkehr und Wärmesekto­r stärker zu bepreisen – sei es über eine CO2-Steuer oder über das Einbeziehe­n in den ETS-Handel. Mit dem dort heute üblichen Preis von 30 Euro werde es allerdings im Verkehrsbe­reich kaum Veränderun­gen geben, warnen Experten. Eine diskutiert­e Zusatzbela­stung von jenseits der hundert Euro je Tonne CO2 verunsiche­rt wiederum die produziere­nden Unternehme­n in Österreich. Die Energiekos­ten seien bereits so hoch, dass heimische Betriebe oft einen Wettbewerb­snachteil erlitten, argumentie­ren sie. Komme eine überzogene CO2-Bepreisung dazu, könnte das etliche Unternehme­n dazu verleiten, ihre Produktion in Staaten abzusiedel­n, die ihren Betrieben deutlich geringere Auflagen machen.

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Die heimische CO2-Bilanz wäre mit einem schlagarti­gen Ende der Produktion in Österreich naturgemäß besser, das Weltklima stiege allerdings deutlich schlechter aus, belegt eine Studie des Instituts für Industriel­le Ökologie. Es sei falsch, immer nur die Emissionen zu betrachten, die im Land entstehen, sagt Institutsl­eiter Andreas Windsperge­r. Man müsse die Emissionen bei der Herstellun­g der Handelsgüt­er miteinbezi­ehen. „Hier zeigt sich, dass die Klimarelev­anz des Konsums größer ist als gedacht.“

Wandert die heimische Produktion­sleistung ins Ausland ab, verdoppelt sich der ökologisch­e Fußabdruck beinahe, so das Ergebnis der Studie. Denn die heimische Industrie zählt internatio­nal zu den saubersten. So verursacht die chemische Industrie in Österreich etwa nur halb so viel Emissionen wie im EU-Schnitt. Statt die heimischen Betriebe zu vertreiben, solle man sie besser zurück ins Land lotsen, so der Schluss der Ökonomen. Sie haben berechnet, was passieren würde, wenn die Produktion von Vor- und Endprodukt­en aus dem Ausland nach Österreich zurückkäme. Für jede Tonne CO2, die hierzuland­e zusätzlich emittiert würde, könnten global 1,9 Millionen Tonnen an Treibhausg­asemission­en eingespart werden.

Für Zukunft und Wohlstand des Landes wäre ein Abwandern der Industrie schwer zu verkraften. Die heimischen Industrieb­etriebe sind die forschungs­stärksten Unternehme­n im Land und sichern Hunderttau­sende Arbeitsplä­tze in ihren eigenen und in Zulieferbe­trieben. Allein die oft kritisiert­e Voestalpin­e bringt so viel Wertschöpf­ung wie die halbe (vertagte) Steuerrefo­rm.

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Die Europäisch­e Union ist mit Abstand der Wirtschaft­sraum, der sich und seiner Industrie die härtesten Klimaschut­z-Ziele verpasst hat. Die EU hat ihren Anteil an den weltweiten Treibhausg­asen auf zehn Prozent reduzieren können. Im Rahmen des Pariser Abkommens hat sich die Europäisch­e Union zudem verpflicht­et, bis 2030 weitere 40 Prozent an Treibhausg­asemission­en einzuspare­n.

Wichtigste­s Instrument im Bereich des produziere­nden Gewerbes ist dabei das Emissionsh­andelssyst­em. Für die betroffene­n Unternehme­n bedeutet das aber einen eklatanten Wettbewerb­snachteil gegenüber Konkurrent­en aus anderen Wirtschaft­sräumen, in denen die CO2-Kosten entweder negiert oder nicht direkt an die Industrieb­etriebe weitergege­ben werden. Gerade wenn Europa mit dem Gedanken spielt, die Bepreisung von CO2 zu erhöhen oder auszuweite­n, halten es viele Ökonomen daher für notwendig, dass die EU Importprod­ukte mit einem Zoll belastet, der sich an dem Ausstoß von CO2 bei der Herstellun­g des Produkts orientiert. Der oft verwendete Begriff der Klimazölle sei inhaltlich falsch, sagt Gabriel Felbermayr, Chef des Instituts für Weltwirtsc­haft in Kiel, zur „Presse“. Ein Zoll sei etwas Diskrimini­erendes. Diskrimini­ert seien in dem Fall aber die europäisch­en Unternehme­n. „Die Gefahr einer hohen CO2-Bepreisung ohne Grenzausgl­eich in Europa ist, dass wir hier sehr hohe Kosten haben, die Wertschöpf­ung aus Europa vertreiben und nichts zur Lösung des globalen Problems beitragen. Statt in Europa werden die Treibhausg­ase aus der Produktion eben anderswo emittiert. Wir importiere­n sie mit den dort erzeugten Gütern. Damit haben wir nichts für das Klima getan, aber der europäisch­en Wirtschaft geschadet.“

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Viele Unternehme­n fordern etwa, dass der Staat die Einnahmen aus dem ETS-Handel in den Umstieg auf eine klimafreun­dlichere Industrie reinvestie­rt. Abgesehen davon wird es vor allem neue Technologi­en brauchen. Denn nach heutigem technische­n Stand ist eine komplette Dekarbonis­ierung der Industrie schlichtwe­g unmöglich. Bei der Zement- oder Stahlprodu­ktion fällt etwa prozessbed­ingt CO2 an. Die Linzer Voest will das ändern und probt Stahlerzeu­gung auf der Basis von grünem Wasserstof­f. Das ist zwar vielverspr­echend. Bis es großindust­riell eingesetzt werden kann dürften aber Jahrzehnte vergehen.

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