Torn between two lovers
Man muss kein gefühlloser Mensch – und Mann – sein, um nüchtern festzuhalten, dass Tag für Tag auf der ganzen Welt viele Kinder geboren werden. Das Wunder der Schwangerschaft und des Gebärens ist also ein alltägliches, was immer es an Außergewöhnlichem für das Leben einer Frau bedeuten mag. Die promovierte Biologin und Autorin Andrea Grill nimmt sich viel Zeit, dieses vertraute Phänomen en detail´ zu erfassen, und wie es sich für einen Roman gehört, kann das nicht ohne Komplikationen abgehen.
Iris Schiffer, eine 39-jährige Sängerin (Mezzosopran), macht einen Schwangerschaftstest und erhält die für sie aufwühlende Nachricht, dass sie zum ersten Mal Mutter werden wird. So weit, so gut, wäre da nicht die Ungewissheit, wer der Vater des Kindes ist. Infrage kommt Sergio, ein zwischen den Kontinenten hin und her jettender Tenor, mit dem Iris seit sechs Jahren liiert ist, ohne in größter Liebe für ihn zu entbrennen. Und da gibt es Ludwig, einen knapp 20 Jahre älteren Politiker, der Frau und Kinder zu Hause hat und mit Iris eine leidenschaftliche, streng geheime Affäre pflegt. „Torn between two lovers“ist die Protagonistin, wie es in Mary MacGregors Popsong aus dem Jahr 1976 heißt, zumal sie weiß, dass zeugungstechnisch beide Männer in Betracht kämen. So baut der Roman einen lockeren Spannungsbogen um diese Frage auf. Der stärker begehrte Ludwig erklärt, als sorgender Vater nicht zur Verfügung zu stehen, während der als Gefährte
Cherubino wahrgenommene Sergio sich in seiner neuen Rolle sofort wohlzufühlen scheint.
Das unwägbare Romanschicksal will es so, dass Iris’ bisher eher überschaubare Karriere just während ihrer Schwangerschaft gewaltig an Fahrt aufnimmt. Als Cherubino in Mozarts „Die Hochzeit des Figaro“schafft sie an der Met in New York ihren Durchbruch und wird zum YouTube-Star. Fast gleichzeitig soll sie bei den Salzburger Festspielen in Nicholas Maws „Sophie’s Choice“auftreten, einer Oper, die auf William Styrons – mit Meryl Streep verfilmten – gleichnamigem Roman basiert.
So muss Iris einen Spagat vollbringen, bezogen auf die beiden stimmlich wie emotional extrem unterschiedlichen Rollen – hier der naive Page“da Sophie die Frau verheimlichen, entscheiden, wie sie mit den beiden Männern umgeht, mit ambitionierten Regisseurinnen debattieren und sich mit typischen Schwangerschaftsproblemen herumschlagen. Stoff genug für ein paar Romane, der sich nicht, wie es der Klappentext in unfreiwilliger Komik annonciert, auf das Thema „Sängerin zwischen Kind und Kunst“reduzieren lässt. Sicher, Iris wird – gewissermaßen in einem Emanzipationsprozess – am Ende eine Entscheidung treffen, doch so sehr sich Andrea Grill bemüht, das Konzept ihres Romans Schritt für Schritt umzusetzen, so wenig kann sie verhindern, dass der Textfluss meist vor sich hin dümpelt.
Emotional aufwühlend ist wenig in diesem Buch, obschon immer wieder das Gegenteil behauptet wird. Stattdessen finden sich kluge Betrachtungen über das zeitgenössische Musiktheater, „retuschierte Kinderlieder“, die über den Text verteilt werden, und störende essayistische Kommentare, die den Nimbus der Met als „unvergleichlich“beschreiben. Am ödesten freilich gerät der Roman in seinen zahlreichen Passagen, die sich lesen, als sei ein Schwangerschaftstagebuch fiktionalisiert worden. Da erfahren wir viel über Hormonumstellungen, lernen wir, wie sich eine Frau online am besten einen Klinikplatz sichert, sitzen wir stundenlang beim Gynäkologen und erfahren manches über Organscreening und Ultraschalluntersuchungen. Alles Erkenntnisse, die sich in Ratgeberpublikationen bequem nachlesen lassen, etwa „Das große Buch zur Schwangerschaft – umfassender Rat für jede Woche“aus dem Hause Gräfe und Unzer.
Und wie endet „Cherubino“? Das sei ausnahmsweise verraten: Iris’ Kind erblickt