Kleinod mit Seegurken
Japan. Kurashiki hatte erst Pech, denn da wuchs kaum etwas. Dann halfen die Ohara auf die Sprünge, und ein Licht ging auf. Seit fast 62 Jahren ist die Stadt jene mit dem vielleicht schönsten alten Kern Japans: Bikan chiku.
Pünktlich um halb zehn morgens stehen sie in der Lobby des Kokusai Hotels, Miss Yoko und Miss Akiko. Und nur so möchten sie genannt werden, die Mitarbeiterinnen von den „Goodwill Guides“. Sie führen durch Kurashiki, ihre Stadt – ein kostenloser Freundschaftsdienst, nicht einmal Trinkgeld darf es sein.
Die in Japan beliebte Altstadt Bikan chiku beginnt um die Ecke. „Malerische Schönheit“heißt „bikan“, „chiku“heißt Viertel, dahin führt ihr Weg und gleich zum Ohara Museum of Art, das mittendrin am Fluss Kurashiki-gawa liegt. Eine Akropolis im Land der aufgehenden Sonne! Wie ein griechischer Tempel thront sie über dem Fluss. Auch die Bank Chugoku da vorn in Neu-Renaissance ist von den Ohara, ebenso wie das Shinkei-en-Anwesen mit dem Keikendo-Saal nebenan, weit und licht. Der Boden ist bedeckt von TatamiMatten, die wir nun – Schuhe aus – betreten. Zwei Männer sitzen dort vor offenen Schiebetüren und schauen in den Garten, in ein einziges Zen-Bild, grün Ton in Ton. Was für ein schöner Ort der Stille und Kontemplation, schlicht und edel, 1893 von Koshiro Ohara erbaut; sein Sohn Magosaburo vermachte es später der Stadt.
Ohara? Den Namen hört man hier oft, „eine sehr wichtige Familie“, sagen Miss Akiko und Miss Yoko dazu etwas ehrfürchtig. Und das Gebiet hier, um dieses Flüsschen, an dem einmal der Puls dieses Handelsplatzes schlug, ist die Bühne ihrer Familiensaga. Begütert war sie dank weitläufiger Ländereien, und Großhändler für Reis und Baumwolle.
Kurashiki nämlich steht auf Land, das man dem Meer abrang. Salzig waren die Böden noch lang, da wuchs kaum etwas, später gedieh Binsengras, Reis und Baumwolle. „Then flauris“, führen die Guides die Geschichte fort, dieses „flauris“begann in der Edo-Zeit, von 1603 bis 1868, im feudalen, vorindustriellen Japan. Damals verlädt und verschifft man Binsen für Tatami-Matten, die japanische Lebensgrundlage per se, Reis und Baumwolle. „Kurashiki flaurising“, aah – flourishing, wird florierendes Handelszentrum.
Das kann man sich gut vorstellen, die respektable Kulisse aufwendig restaurierter Häuser und Reisspeicher, die das träge Gewässer säumt, erzählt davon. „Dorf der Speicher“bedeutet Kurashiki, und mancher birgt nun ein Museum. Ihre dicken Außenwände, „namako-kabe“, sind eine japanische Spezialität, „sea cucumber wall“weiß Miss Englisch und stolpert über „cu-cum-ber“. Das kommt aber auch niemand so leicht über die Lippen, vor allem, wenn man den ganzen Tag zu allen anderen Japanern „hai“sagen muss, hai, „Seegurken-Wand“.
Und sie haben so recht. Die Wände mit den grau-schwarzen Keramikfliesen haben ihr typisches Dekor durch plastisch überhöhte Fugen, die so was von Seegurken-ähnlich sind. Eine Technik, die in dieser Gegend wilder Wetter sturmerprobte Mauern zur Sicherung gelagerter Waren vor Wasser und Feuer schuf.
Hier um den Fluss sind allein drei großzügige Anwesen ein Spiegel des Aufstiegs der Ohara: Shinkei-en, wo wir waren, dann das Ohara-Haus, das älteste gegenüber, und als drittes daneben Yurin-so, nobel unter grünlichen Keramikziegeln und mächtigen Schwarzkiefern. Als „Baum des Lebens“verehrt, ist eine in ihrem Familienwappen präsent. Und wie „flauris“, prosperierend, es wurde, erlebt man drei, vier Gehminuten weiter – Ohara in ganz Groß: Die einstige Spinnerei Kurashiki Bouseki, später Kurabo genannt, errichtete Koshiro Ohara als eine der modernsten ihrer Zeit. Magosaburo und sein Sohn Soichiro führten sein Werk fort.
Der riesige Backsteinbau des späten 19. Jahrhunderts, nach englischem Vorbild mit Sheddach, ist von Efeu umrankt. Längst ist das Klappern der Webstühle verstummt, widmet man sich anderenorts einem Cocktail modernster Fasertechnologien. Ein großes Rad drehte Magosaburo auch mit der von ihm 1926 gegründeten Kurashiki Kenshoku Company für Kunstseide, der heute der im Nikkei notierte Spezialchemie-Konzern Kuraray und international aufgestellt ist. Als „Ivy Square“birgt der Komplex nun unter anderem ein Hotel, das Museum Kurabo Memoria Hall in einem einstigen Baumwolle-Lagerhaus, eines für den Maler Torajiro Kojima und Läden. Die Seerosen im Bassin des Innenhofes sind ein Geschenk aus Monets Garten in Giverny zum 70. Geburtstag des Ohara-Museums im Jahr 2000.
Die Ohara knüpften diese Bande. Was in der Edo-Zeit SamuraiFürsten in Burgstädten wie Kanazawa an Kultur auf die Beine stellten, ermöglichten sie hier vom arbeitsteilig erwirtschafteten Mehrwert – und mehr. Man kann sagen, Magosaburo war ein Unternehmer mit ethischer Mission. Er stiftete ein Krankenhaus, heute das zentrale Hospital der Stadt, ein Waisenhaus, sorgte sich um gute Arbeitsbedingungen, gab Geld für Brücken, Straßen und was nicht alles, spendierte Stipendien. Sein besonderer Schützling, der in Japan bald bekannte Maler Torajiro Kojima, kaufte an seiner statt in Frankreich europäische Kunst, neben Monets „Seerosen“von 1906 auch Ikonen wie eine „Verkündigung“von El Greco.
Kojima starb früh, 1929. Zeitlebens war es sein Traum gewesen, das erste Museum für westliche Kunst in Japan zu schaffen. Magosaburo erfüllte ihn 1930 posthum mit dem Ohara Museum of Art mitten im Bikan. Ein Tempel der Kunst der Moderne und jener, die Kojima für ihn erstand und selbst schuf. Im Park nebenan stehen Plas