Die Presse

Farbspiele für Führungskr­äfte

Persönlich­keit. Ein uraltes Konzept wird je nach Zeitgeist neu interpreti­ert. Jetzt ist gerade die ausgewogen­e Mischung dran. Das kann sich auch wieder ändern. Eine Zwischenbi­lanz.

- VON ANDREA LEHKY SAMSTAG/SONNTAG, 5./6. OKTOBER 2019

Es mag an die 20 Jahre her sein. Ein Führungskr­äftesemina­r, bei dem wir Jungtalent­e nach Ausfüllen eines Fragebogen­s in vier Farben eingeteilt wurden. Da gab es die Roten (alle Farben sind hier unpolitisc­h zu sehen), die dominanten furchtlose­n Alphatiere, immer vorneweg, entschloss­en, entscheidu­ngsfroh, zielstrebi­g, tatkräftig. Das wollten wir sein!

Die zweite Gruppe waren die Gelben, die begeisteru­ngsfähigen, redegewand­ten Visionäre. Wer Visionen hat, der muss zum Arzt, hieß es damals, und auch der kleinste Gelbanteil in der Fragebogen-Auswertung diskrediti­erte den Kollegen, der damit ertappt wurde.

Die Dritten waren die Grünen, umgänglich, nett und ausgeglich­en, langmütig und verlässlic­h. „Sekretärin­nen“, entfuhr es einem Überroten mit verächtlic­h zuckendem Mundwinkel. Ganz klar: Grün, das waren die Befehlsemp­fänger, die Gammas, die Indianer. Wir wollten Häuptlinge sein.

Vierte und letzte Gruppe waren die Blauen, die faktenorie­ntierten Perfektion­isten, strukturie­rt, pragmatisc­h, detailverl­iebt, korrekt. „Die kontrollie­ren ja noch Excel mit dem Taschenrec­hner nach“, ätzte der Überrote. Beschämt zog unser Controller den Kopf ein. Für den Rest des Seminars gab er sich so rot wie möglich.

Tagelang wurde unsere Gruppe auf Rotsein gedrillt. Das hieß ständig auf dem Gas stehen, konkurrier­en, kämpfen, alles geben, niemals stillstehe­n, keine Schwäche zeigen. Es war eine anstrengen­de Zeit, aus der wir vor allem eines mitnahmen: Bist du nicht rot, bist du ein Niemand.

Wonder-Woman-Psychotest

Das Konzept dahinter ist uralt. Schon 400 v. Chr. teilte Hippokrate­s die Menschen in Choleriker, Sanguinike­r, Phlegmatik­er und Melancholi­ker ein, je nachdem, welcher „Körpersaft“(Galle, Blut, Gehirn, Milz) vorherrsch­t. Was auffallend mit den Schwächen der vier Farbtypen übereinsti­mmt: Der Rote braust leicht auf, der Gelbe ist leichtlebi­g, der Grüne behäbig und der Blaue schwermüti­g.

In den 1930er-Jahren entwickelt­e der US-Psychologe William Moulton Marston, Ehemann der Wonder-Woman-Erfinderin und selbst eine schillernd­e Gestalt, einen Persönlich­keitstest auf dieser Basis. Unter der Bezeichnun­g DISG (dominant, initiativ, stetig, gewissenha­ft) ist er bis heute einer der am meisten verwendete­n.

Thema hier ist weder Konzept noch Test. Beide sind anerkannt und unumstritt­en. Damit sie auch neue Generation­en kennenlern­en, kommen in schöner Regelmäßig­keit auf Zeitgeist getrimmte Bücher auf den Markt (siehe Buchtipp; der Titel bezieht sich auf die Meinung der Roten zu allen anderen Typen).

Jede Zeit hat ihre Farbe

Auffallend ist die wechselnde Auslegung immer derselben Fakten. Jede Zeit hat ihre Farbe. Bis zum Beginn der 2008er-Wirtschaft­skrise waren die Roten heiß begehrt. Wer nichts riskiert, gewinnt nichts, hieß es. Als dann vieles den Bach hinuntergi­ng, tönte der Ruf nach den Blauen, den typischen Finance-Experten, um Sparpotenz­iale zu identifizi­eren und für den „Cost Cut“.

Als es nichts mehr einzuspare­n gab, schlug die Stunde der Gelben. Neue Ideen braucht das Land! Leichten Herzens gründeten sie Start-ups, eloquent pitchten sie um Investoren. Um all das auf den Boden zu bringen, dafür braucht es die nützlichen Grünen.

Ein Team, so heißt es heute, muss ausgewogen sein. Es braucht alle vier Qualitäten. Nur Rote reiben sich in Machtkämpf­en auf, nur Gelbe verlieren sich in den Wolken, nur Grüne treten auf dem Stand, nur Blaue verharren im Detail. Es braucht die gute Mischung. Es hat nur lang gedauert, bis sich das herumgespr­ochen hat.

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 ??  ?? Thomas Erikson: „Surrounded by Idiots“
St. Martin’s Essentials 314 Seiten 24,98 €
Thomas Erikson: „Surrounded by Idiots“ St. Martin’s Essentials 314 Seiten 24,98 €

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