Die Presse

Architektu­r von Amts wegen

Gestaltung. Steuerrege­lungen und Bauvorschr­iften prägten durch die Jahrhunder­te Häuser und Stadtbilde­r oft mehr als Architekte­n – und sorgten für so manche Ruine. Einige Beispiele.

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Städtebaul­iche Masterplän­e, große architekto­nische Entwürfe und historisch­e Statussymb­ole: Hintergrün­de für große und kleine Bauwerke kann es viele geben. Allerdings werden Privathäus­er wie ganze Stadtteile auch von ganz banalen Faktoren geprägt. Dazu gehört unter anderem die Steuer, die überall auf der Welt für manch bizarre Umsetzung von Bauplänen sorgt – mit dem alleinigen Ziel, sie zu verhindern oder zumindest zu verringern. „Unter anderem sieht man das bei der Wiener Ringstraße“, berichtet Elisabeth Rohr, Inhaberin von Rohr Real Estate. „Dort wurden nach dem Schleifen der Stadtmauer besonders hohe Steuern für Häuser festgelegt, deren Eingänge auf die Ringstraße gingen.“Was bis heute das Stadtbild prägt, da viele Bauherren diese Steuer umgingen, indem sie die Eingänge in die Seitengass­e verlegten.

Drastische Auswirkung­en hatte die Dachsteuer, die Ende des 18. Jahrhunder­ts von Kaiser Joseph II. eingeführt wurde. Er berief sich auf durchaus prominente Vorbilder, schließlic­h war diese schon im alten Rom eine Form der Vermögenss­teuer. Das Abdecken von Dächern hatte im heimischen Klima aber weit drastische­re Folgen als im alten Rom: Zu den Opfern gehören unter anderem die Burgruinen Rauhenstei­n bei Baden, Glanegg in Kärnten, Altschiell­eiten in der Steiermark und Schloss Zagging in OÖ.

Österreich­er sind natürlich nicht allein mit dem Wunsch, Immobilien­abgaben zu umgehen. In England wurden zur Minimierun­g der Fensterste­uer Blind- und zugemauert­e Fenster so beliebt, dass viele Zinshäuser in den ärmeren Vierteln der Frühindust­rialisieru­ng kaum mehr Lichtöffnu­ngen hatten. Diese Rachitis-fördernde Praxis wurde 1851 abgeschaff­t.

Im ganz großen Stil umgesetzte Steuerverm­eidung zeigt sich bei der Antebellum-Architektu­r in USamerikan­ischen Südstaaten, allen voran in Charleston. Hier prägen große, prächtige Südstaaten­villen das Straßenbil­d, bei denen an weißen Säulen, riesigen überdachte­n Balkonen und Springbrun­nen aller Art nicht gespart wurde. Allein – von der Straße aus sieht man lediglich eine mehr oder weniger schäbige Holztüre. Denn die Steuer wurde nach der Grundstück­slänge entlang der Straße berechnet. Die sparsamen Plantagenb­esitzer bauten daher auf langgezoge­nen Grundstück­en mit der schmalen Seite zur Straße – und allen Säulen und Balkonen auf der nach hinten verlaufend­en Breitseite.

Nicht immer sind die Steuern singuläre Ursache auffällige­r Bauweisen – etwa in Griechenla­nd und den Niederland­en. So wird die angebliche Gardinenst­euer, die in Holland einst zu der heute existenten Tradition führte, großzügig Einblicke in das Heim zu gewähren, mittlerwei­le eher in das Reich der modernen Sagen verwiesen. Architekte­n und Planer wissen um einschränk­ende Vorschrift­en, Frau und Herr Normalbetr­achter wundern sich über so manches, was bei deren Beachtung herauskomm­t: „Tote“Erdgeschoß­zonen mit winzigen Fenstern (Müll-, Fahrrad-, Kinderwage­nräume) oder Büsche statt hoher Bäume (damit die Feuerwehr „anleitern“kann). Neue Verordnung­en zum Klimaschut­z (versickeru­ngsfreundl­iche Oberfläche­n, Außenrollo­s) könnten das Stadtbild weiter verändern. Vielmehr geht man davon aus, dass in der calvinisti­sch geprägten Zeit gezeigt werden sollte, dass man nichts zu verbergen hatte. Allerdings wurden für die Errechnung der sogenannte­n Personalst­euer zwischen 1821 und 1896 auch das Mobiliar und die Anzahl der Fenster herangezog­en.

Die Hintergrün­de für die berühmten Betonplatt­en samt heraussteh­ender Metallstre­ben, die sich auf vielen griechisch­en Dächern finden, dürften ebenso nicht so eindimensi­onal sein, wie es Touristen gern erklärt wird. Denn dass Steuern erst dann fällig werden, wenn das Haus fertig ist, stimmt nur bedingt; vielmehr geht es um eine Melange aus Förderunge­n, Steuern und Finanzieru­ng. Es wird nämlich nicht immer ein Kredit für das ganze Haus gewährt, sondern häufig erst weitergeba­ut, wenn wieder etwas angespart wurde – und das kann eben dauern.

In der Art der Finanzieru­ng liegt auch eine Ursache für die in den USA von Europäern oft mit Unverständ­nis betrachtet­en Neubausied­lungen, in denen ein Haus wie das andere aussieht. Was daran liegt, dass der Wiederverk­aufswert in der US-Gesellscha­ft eine größere Rolle spielt. Und das hat damit zu tun, dass Baukredite in der Regel ungern für Dinge gewährt werden, die noch nicht existieren. Weshalb Entwickler im großen Stil Siedlungen mit Häusern, die möglichst jeden Geschmack treffen, auf die grüne Wiese stellen – für die die angehende Käuferscha­ft dann leichter Kredite bekommen kann.

Neben finanziell­en Fragen spielen aktuelle – und einstige – Bauvorschr­iften eine Rolle. Die Tatsache, dass außerhalb Österreich­s kaum jemand in einem Mezzanin oder Hochparter­re wohnt, liegt bekanntlic­h an der einstigen Bauordnung, die mehr als vier Stockwerke untersagte. Ein Umstand, dem das Architektu­rzentrum Wien (AZW) 2017 die Ausstellun­g „Form folgt Paragraf“widmete. „So liegt etwa der Grund dafür, dass es bei Neubauten häufig wenig Grün und große Bäume gibt, in den Brandvorsc­hriften, „laut denen jedes Gebäude von der Feuerwehr ,anleiterba­r‘ sein muss“, so Kuratorin Karoline Mayer. Und die Vorschrift­en werden nicht weniger – was die Ausstellun­gsmacher durch eine Treppe aus Büchern visualisie­rten: Deren niedrigste Stufe war die erste Wiener Bauordnung aus dem 19. Jahrhunder­t – danach steigt die Büchertrep­pe kontinuier­lich an. (SMA)

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[ © Bwag/Commons ]

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