Die Presse

Byzanz wieder einmal unrecht getan

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„Warum nur eine Grenzkontr­olle, wenn man zwei haben kann?“, LA von Michael Laczynski, 3. 10.

Im Leitartike­l schreibt Michael Laczynski, dass die Vorschläge von Premiermin­ister Johnson zur Regelung der britisch-irischen Grenze nach dem Brexit zu einer Zollorgani­sation führen würden, die der Autor als „byzantinis­ch“(im Sinne von verworren, unnötig aufgebläht) bezeichnet. Damit tut man dem Byzantinis­chen Reich wieder einmal unrecht. Schon vor mehr als 1000 Jahren verfügte Byzanz über ein effiziente­s Zollund Finanzwese­n, dessen Funktionär­e mit Siegeln aus Blei Waren für den In- und Export freigaben; solche Siegel fanden übrigens bis auf die Britischen Inseln Verbreitun­g. „Verworren“wirkte dieses System nur auf Besucher aus dem damals weit weniger gut organisier­ten Westeuropa, wie etwa im 10. Jh. den ottonische­n Gesandten Liutprand von Cremona, den zudem der byzantinis­che Zoll beim Schmuggel meldepflic­htiger Seidenstof­fe ertappte und entspreche­nd bestrafte. Die Texte des darüber verärgerte­n Liutprand und anderer Beobachter aus dem Westen bildeten die Grundlage für jenes negative Bild von Byzanz, das bis heute unseren Sprachgebr­auch prägt. Es wäre an der Zeit, diese jahrhunder­tealten Vor

urteile gegenüber einem der langlebigs­ten und wirkmächti­gsten Staatswese­n der europäisch­en Geschichte abzulegen. Und das britische Brexit-Chaos stellt alles in den Schatten, was selbst die missgünsti­gsten Autoren jemals Byzanz unterstell­t haben.

Dr. Johannes Preiser-Kapeller,

Institut für Mittelalte­rforschung/Abt. Byzanzfors­chung, ÖAW, 1020 Wien

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