Von denen, die niemals auff liegen
Zu Gast beim Stelldichein der Namenlosen. Über die Rolle der Eliten als Retter, Zerstörer und Überwinder der demokratischen Wertegemeinschaft. Eine Bestandsaufnahme.
Es war einmal vor langer Zeit, vielleicht im Sommer 2017, vielleicht auch nicht. In einer Villa auf einer spanischen Ferieninsel. Oder auf einer Privatyacht vor Mauritius. Oder im Vorstandsbüro eines Autoherstellers mit interessanten Abgaswerten. Oder zwischen einem Loch und dem nächsten auf dem Golfplatz eines Präsidenten aus Übersee. Wir wissen es nicht. Wir können nur spekulieren. Bleiben wir also der Bequemlichkeit halber auf jener Mittelmeerferieninsel, die sich ja einer gewissen Bekanntheit unter Österreichern erfreut. Und Sommer, Sonne, eine idyllische Finca. (Die Größe und Beschaffenheit derselben möge sich der Leser übrigens nach Lust und Laune selbst bestimmen, sie soll nur so viele Rahmen wie möglich sprengen und ihm selbst und mir niemals zugänglich sein.) So weit, so gut.
Nun zu unserer erlesenen Gästeschar. Vielleicht ist ja ein trotz seines hohen Alters von Vitalität, guter Laune und Botox strotzender Mann dabei? Das italienische Stehaufmännchen, direkt aus Brüssel? Und neben ihm vielleicht ein deutscher Kollege, dessen Metier das Plagiat, der sich immer noch grün und blau ärgert ob der Tatsache, dass er aufgeflogen ist? Oder doch lieber der eine oder andere seit Mai arbeitslose österreichische Politiker?
Der Mann am Pool: ein Lobbyist
Nein, falsch. Viel zu konkret. Denn die tatsächlichen Darsteller dieser Geschichte haben keine Namen, die in aller Munde sind. Sie sind nicht aufgeflogen, noch werden sie je auffliegen. Sie sind noch viel weniger angewiesen auf die Meinung der Masse als irgendein dahergelaufener Politiker. Sie sind nicht einmal zwingend in der Politik tätig. Was sie aber verbindet, ist ihr Verständnis von Demokratie als temporäre Oligarchie, wobei das Temporäre keine Einschränkungen durch auslaufende Legislaturperioden und Amtszeiten akzeptiert.
Lasst uns diese Namenlosen also näher betrachten. Sehen Sie jenen Mann dort, der sich am Pool in die Sonne fläzt? Er ist ein Lobbyist. Waffengeschäfte der NRA in Amerika. Der dort an der Bar mit der Dame in Rot schäkert? Ein Topmanager, dessen Einfluss allein seine enorme private Finanzkraft garantiert. Die Dame in Rot selbst? Elegant, stilvoll, aber nicht mehr in der Blüte ihrer Jahre? Eine Claire Zachanassian, ebenso wie der Mann zu ihrer Linken, seines Zeichens Großunternehmer. Die Spitzen von Justiz und Verwaltung mehrerer demokratischer Staaten sitzen flankiert von einigen hochrangigen Politikern drinnen im Kühlen auf den Loungemöbeln beim Tee. Es ist schön zu sehen, wie hierbei die unüberbrückbaren Differenzen zwischen Rechts und Links plötzlich überbrückbar werden Sogar einige Po auf die Fahne geschrieben haben, die alten Eliten zu zerschlagen. Was soll’s – einmal in den Genuss der Macht gekommen, ist die Bildung von Eliten jedweder Natur wohl eine unausweichliche Konsequenz. Und überhaupt, was man sich auf die Fahne schreibt, ist ja vor allem als Populist sowieso eher eine Sache des Augenblicks.
Manche der Anwesenden entstammen einer langen Traditionslinie aus Schwergewichten, vor allem in der Wirtschaft fest verwurzelt. Diese heutige Elite ist Kind der gestrigen. Andere hingegen haben sich selbst in ihre prestigeträchtigen Posten manövriert, durch Ausdauer und Hartnäckigkeit und Beziehungen. Das ist aber mitunter ein verschwindend kleiner Teil. Der Begriff der Leistungseliten aber entlockt der Mehrheit der Anwesenden lediglich ein müdes Schmunzeln. Da sich die Schere zwischen Arm und Reich stetig öffnet, bleibt der Traum, vom Tellerwäscher zum Millionär zu avancieren, für nahezu alle und jeden, was er ist – ein Traum. Die Anwesenden tangiert das aber reichlich wenig. Vor allem in Hinblick auf die Politiker, die, allesamt demokratisch gewählt, den Willen des Volkes umsetzen sollten, entbehrt es nicht einer gewissen Komik, dass der eigene Lebensstil oft so signifikant von dem des Ottonormalverbrauchers differiert.
Doch ungeachtet aller spitzfindigen Bemerkungen: Kann es nicht sein, dass wir dennoch auf derartige Eliten angewiesen sind? Kein Fortschritt ohne Finanzkapital. Keine Erneuerung ohne gebündelte Expertise. Und vor allem: kein freier Weg ohne freiwillige Spenden an die zuständigen Stellen. Viele Köche verderben den Brei. Verdirbt die demokratische Mitbestimmung aller nicht ebenso vieles durch ewige Debatten, Uneinigkeit in der Regierung und endlose Bürokratie? Einerlei, wie man diese Frage beantworten mag, zwangsläufig drängt sich nun eine andere auf. Hebeln die Anwesenden also bewusst die Demokratie aus? Nein, das nicht. Die Demokratie ist in ihrer aller Augen ein nützliches Mittel, dem Volk den Anschein von Mitbestimmung zu geben. Das Opium des Volkes ist längst nicht mehr die Religion, sondern der Wahlausweis. Für die Elite selbst aber ist die Demokratie gewiss nicht mehr als ein Richtwert, über welchen man sich nach Gutdünken hinwegsetzen kann, sollte damit höheren Zielen (ergo den eigenen) Genüge getan sein.
Nichtsdestotrotz ist dabei Vorsicht geboten, denn allzu leicht fliegen die Fetzen. Zwei österreichischen Urlaubsgästen in der weißen Villa nebenan ist es schlecht ergangen, als sie in den Machenschaften der Elite kräftig mitmischen wollten. Jetzt singt ihnen ihr Heimatland am Heldenplatz Spottverse. Die Demokratie ist also nützlich, aber ab und zu unvorhersehbar, selbst für Kaliber, wie die hier Anwesenden es sind. Der kleine Mann ist zwar ein Nichts angesichts der Macht und der finanziellen Kapazität der Elite, doch wenn es hart auf hart kommt, kratzt er schon einmal ein bisschen am strahlenden Nimbus der oberen Tausend. Gott sei Dank, geschieht das höchst selten. So gut wie nie. Und die Anwesenden wissen das nur allzu gut.
Doch zurück zu unserem kleinen Stelldichein. Ich fasse zusammen, was wir alles bereits haben. Wo? Der Gewohnheit wegen in einer Villa auf einer Ferieninsel. Wann? Irgendwann, im Sommer, um konsistent zu bleiben. Wer? Man nenne sie die oberen Tausend, die Elite, diejenigen, die die Fäden in der Hand haben und keinem Zwang unterliegen, sie irgendwann wieder abzugeben. Das Wo und das Wann sind selbstverständlich nach Belieben austauschbar.
Und nun, werter Leser, tut es mir leid, denn unsere Geschichte endet hier. Sie muss hier enden, denn die übrigen W-Fragen vermag ich nicht zu beantworten. Warum? Weil ich, ebenso wie Sie wahrscheinlich, nicht zur Elite gehöre. Weil ich ebenso wie Sie nicht weiß, was in jener Finca passiert ist. Denn diese Geschichte zählt leider (wie die meisten) zu jenem horrend hohen Prozentsatz an postdemokratischen Machenschaften der Elite, die niemals ans Licht kommen.