Paris: Nicht by Night, sondern per Bike
Das Chaos mit den Leihrädern ist längst Geschichte. Paris baut sich sukzessive zur Fahrrad-Metropole um. Diesmal wirklich. Im Vorfeld der Olympischen Spiele 2024 gedenkt man, innerstädtisch grüner zu werden.
Alle hundert Jahre einmal wird Paris gründlich umgekrempelt. Im 19. Jahrhundert ließ Baron Georges Eug`ene Haussmann einem Barockgärtner gleich Sichtachsen und prachtvolle Avenuen durch das wild wuchernde urbane Dickicht schlägern, die nicht nur für ästhetischen Genuss, sondern auch für eine bessere Durchlüftung der Stadt sorgen sollten. Im 20. Jahrhundert träumte Georges Pompidou – wie viele Politiker seiner Zeit – von einer autogerechten Hauptstadt und einem dichten Netz von Stadtautobahnen. Die später nach ihm benannte Schnellstraße am SeineUfer weihte er 1967 persönlich am Steuer seines Porsche ein.
Auch im noch jungen 21. Jahrhundert deutet eine große Staubwolke über der französischen Hauptstadt auf bedeutende Veränderungen hin. „Das Paris des 21. Jahrhunderts wird ganz anders aussehen als das Paris des 20. Jahrhunderts“, kommentiert Christophe Najdovski, für Verkehrsangelegenheiten zuständiger Vizebürgermeister, die derzeit überall in der Stadt laufenden Umbauarbeiten. Ähnlich wie Baron Haussmann, der das alte Paris von seinen schädlichen Dünsten befreien wollte, geht es der Bürgermeisterin, Anne Hidalgo, um die Pariser Luft: Feinstaub und Stickoxide machen das Atmen an zu vielen Tagen im Jahr zum Gesundheitsrisiko, dazu kommen immer mehr Hitzetage.
Atmen ist Programm
„Ich kann handeln. Ich handle. Und die erste der großen Herausforderungen für die Stadt Paris, diejenige, die sich auf alle anderen auswirkt, ist der Klimawandel“, stellt Hidalgo in ihrem 2018 erschienenen Buch mit dem schlichten Titel „Respirer“(„Atmen“) klar. Ihr Projekt: Paris muss zur Fahrradmetropole werden, das Stadtklima soll sich durch großzügige Begrünungsmaßnahmen nachhaltig zum Besseren verändern.
Wer derzeit nach Paris fährt, sieht eine Stadt im Wandel: Vormalige Asphaltwüsten wie der Place de la Nation oder der Place de la Bastille werden zu Parks umgestaltet, ein Netz von schnellen und vor allem breiten Radverbindungen ist im Entstehen. „REVe“(„Traum“) lautet das Akronym für das „Reseau´ Express velo“,´ ein zentrales Element der Pariser Fahrradstrategie. 150 Millionen Euro investiert die seit 2014 amtierende Bürgermeisterin in das Projekt, mit dem sie den Anteil der Radfahrer am Verkehrsgeschehen von mageren vier auf immerhin 15 Prozent steigern will.
Im vorletzten Jahr des ehrgeizigen Programms ist man zwar immer noch weit von den selbst gesteckten Zielen entfernt, doch selbst die notorisch unzufriedene Radfahrerlobby „Paris en selle“zeigt sich ziemlich positiv gestimmt: „Es gibt jetzt ein echtes politisches Engagement, sowohl im Dialog mit den Benützern als auch seitens der Bürgermeisterin, die höchstpersönlich Radwege einweiht. Das war vor einigen Jahren noch unvorstellbar“, erklärt Simon Labouret, Sprecher von „Paris en selle“.
Ein Drittel Radler zur Stoßzeit
Einzuweihen gibt es genug: Stück für Stück wird die neue Pariser West-Ost-Achse fertiggebaut, im Modal-Split macht sich das schon bemerkbar: Ein Drittel des Verkehrsaufkommens an der Rue de Rivoli zur Stoßzeit entfalle seit Neuestem auf die Radfahrer, freut sich Najdovski auf Twitter über die aktuellen Verkehrszahlen. Hidalgos grüner Stellvertreter ist auch Präsident der European Cyclists’ Federation. Nicht nur in den sozialen Medien verbreitet er positive Stimmung fürs Radfahren. „In wenigen Tagen ist hier ihr neuer Radweg – ein bisschen Geduld noch, bis wir fertig sind!“steht unübersehbar an allen Absperrungen, hinter denen an Radwegen gearbeitet wird – so wird Vorfreude in Szene gesetzt.
Kreisverkehr, zwölfspurig
Nur im vornehmen Westen der Stadt scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Der Place Charles de Gaulle ist nach wie vor ein riesiger Kreisverkehr, wenn auch dank des Triumphbogens ein besonders schöner. Nur Fahrradboten und andere klassische Kampfradler wagen sich unmotorisiert auf die von keinerlei Bodenmarkierungen unterteilte Pflasterfläche, in die zwölf Verkehrsadern münden.
Doch selbst hier nimmt Hidalgos neues Paris bereits spürbar Gestalt an. An den Rändern der
anderfalken segeln hier ab und zu über die Abgründe zwischen den Türmen und Riffen des Elbsandsteins, vorbei an der über eine tiefe Schlucht gebauten Basteibrücke. Den Menschen kann hier der Schwindel packen. Da und dort klettert einer die Wände hinauf – doch nur dort, wo er nicht die paar von den Menschen wieder angesiedelten Falken beim Nisten stört. Auch wenn sich hier im Elbsandsteingebirge an manchen Stellen Touristentrauben sammeln, braucht man nur ein Stück weiterzugehen, um zu merken: Vorrang hat hier die Natur.
Heute bildet das Elbsandsteingebirge diesseits und jenseits der tschechischen Grenze einen riesigen Nationalpark – die Sächsische Schweiz mit ihrer berühmten, über eine tiefe Schlucht gebauten Basteibrücke auf der einen, die Böhmische Schweiz auf der anderen Seite. Im 19. Jahrhundert haben die abenteuerlich geformten Sandsteinfelsen, die Namen wie Nonne oder Lokomotive tragen, Maler wie Caspar David Friedrich und Ludwig Richter hergelockt. Noch den romantischesten Fantasien machte die Natur hier Konkurrenz, ja, formte sie und inspirierte Gemälde wie Friedrichs „Der Wanderer über dem Nebelmeer“oder die „Felsenpartie im Elbsandsteingebirge“. Zwei im nahen Dresden lehrende Maler fühlten sich hier an ihre Schweizer Heimat erinnert, daher der Name: Sächsische Schweiz. Carl Maria von Weber schuf die Wolfsschlucht-Szene seines „Freischütz“unter dem Eindruck seiner Wanderungen hier, und seit dem 20. Jahrhundert fasziniert die Gegend auch Filmregisseure: Szenen zum legendären DDR-Märchen´
´ film „Das kalte Herz“wurden hier ebenso gedreht wie zu „Die Chroniken von Narnia“und „Inglourious Basterds“.
Noch ist hier kein absolut wilder Naturwald, aber er ist auf dem besten Weg dazu. Eingegriffen wird nur, wo es nicht anders geht. Mit dem Klimawandel wird das Wandern hier immer attraktiver: Die Sonne kann noch so sehr auf die Elbe brennen, in den Schluchten bleibt es kühl und feucht. Man steigt von der berühmten Felsaussichtsplattform Bastei steil hinab – und spürt statt 34 Grad nur noch 20 Grad. Unsere Führerin erzählt, sie habe den Besuchern gern spaßhalber gesagt, sie könnten die Stufen zählen (es sind 900). Seit eine Gruppe Chinesen das ernst nahm, lässt sie es lieber bleiben.
Den Beweis für die gute Luft kann man da unten sehen, riechen spüren: 350 Moosarten gedeihen hier. Man kann hier Wanderungen mit Naturparkführern buchen, etwa dem großartigen Ralf Schmädicke, der alles zu wissen scheint über das Leben der Bäume hier, etwa wie der Wald hier von oben nach unten in die Schluchten gewachsen ist, wie diese und