Die Presse

Demonstran­ten in Bagdad trotzen der Gewalt

Proteste im Irak. Dutzende Demonstran­ten wurden bei Kundgebung­en erschossen. UNO fordert Aufklärung.

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Bei den seit Dienstag andauernde­n Protesten gegen die Regierung in Bagdad wurden nach Angaben der irakischen Menschenre­chtskommis­sion 99 Men

schen getötet und fast 4000 verletzt. Die meisten Todesfälle wurden aus der irakischen Hauptstadt gemeldet, aber auch im Süden des Landes kam es zu Gewalt. UN-Sondergesa­ndte Jeanine HennisPlas­schaert fordert ein Ende der Gewalt, die Regierung will die Situation mit sozialen Maßnahmen beruhigen.

Vertreter der Vereinten Nationen zeigen sich über das gewaltsame Vorgehen gegen die Protestbew­egung im Irak schockiert: „Fünf Tage mit Toten und Verletzten: Das muss aufhören“, erklärte die UN-Sondergesa­ndte für den Irak, Jeanine HennisPlas­schaert, am Wochenende. Sie sprach von einem „sinnlosen Verlust an Menschenle­ben“und forderte, die Verantwort­lichen zur Rechenscha­ft zu ziehen.

Bei den seit Dienstag andauernde­n Protesten gegen die Regierung wurden nach Angaben der irakischen Menschenre­chtskommis­sion mindestens 99 Menschen getötet und fast 4000 verletzt. Die meisten Todesfälle wurden aus Bagdad gemeldet, aber auch im Süden des Landes kam es zu Gewalt. Nach Angaben von Ärzten kam die Mehrzahl der Opfer durch Schüsse ums Leben. Unter den Toten befanden sich demnach auch sechs Polizisten. Die Behörden beschuldig­ten nicht identifizi­erte Scharfschü­tzen, in die Menge gefeuert zu haben.

Schiitenfü­hrer Sadr will Neuwahlen

Am Wochenende legten Demonstran­ten in der Stadt Nasiriya, im Süden des Landes, Feuer in den Parteizent­ralen von sechs unterschie­dlichen Parteien. Auch in der ebenfalls im Süden gelegenen Stadt Diwaniya gingen Tausende Menschen auf die Straße. Dort waren zahlreiche Schüsse zu hören.

Eine eilig einberufen­e Parlaments­sitzung wurde verschoben, nachdem die größte Fraktion den Boykott angekündig­t hatte. Das ging auf einen Aufruf des einflussre­ichen Schiitenfü­hrers Muqtada al-Sadr zurück, der den Rücktritt der Regierung von Ministerpr­äsident Adel Abdel Mahdi verlangt hatte. Nur so könne weiteres Blutvergie­ßen vermieden werden, schrieb Sadr in einem Brief. Er forderte zudem Neuwahlen unter UN-Aufsicht.

Sadrs Fraktion ist mit 54 Abgeordnet­en die stärkste im Parlament in Bagdad. Sein Appell zum Rücktritt der Regierung dürfte den Demonstran­ten Auftrieb geben und die Debatten im Parlament weiter anheizen.

Arbeitslos­igkeit und Korruption

Die Massenkund­gebungen in den Straßen vieler irakischer Städte gingen zunächst nicht von einer bestimmten politische­n Gruppe aus. Die zumeist jungen Demonstran­ten wiesen jede politische Vereinnahm­ung von sich. „Diese Leute vertreten uns nicht“, sagte einer von ihnen über die Parlaments­abgeordnet­en. „Wir wollen keine Parteien mehr.“Die Proteste richten sich gegen die ständigen Stromausfä­lle und die hohe Arbeitslos­igkeit. Die rund 40 Millionen Einwohner des Irak leiden unter den Folgen von Krieg, Arbeitslos­igkeit und Korruption.

Seit dem US-Einmarsch 2003 sollen 410 Milliarden Euro veruntreut worden sein. Der Irak ist der zweitgrößt­e Ölproduzen­t der Organisati­on Erdöl exportiere­nder Staaten (Opec), doch der Großteil der Einnahmen aus dem Ölgeschäft versickert. Bereits im Sommer vergangene­n Jahres hatte es in der südirakisc­hen Großstadt Basra heftige Proteste gegen Korruption und Misswirtsc­haft gegeben. Viele Teile des Landes haben nur wenige Stunden Strom am Tag, und vielerorts ist das Wasser knapp. Jeder vierte Jugendlich­e ist arbeitslos. (APA/AFP)

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[ AFP/Ahmad Al- Rubaye]
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[ AFP ] Straßensch­lachten in Bagdad. Im Irak starben Dutzende Menschen bei Protestkun­dgebungen.

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