Die Presse

Zweimal Nobelpreis für Literatur

Schweden. Europäisch­e Männer sind fast chancenlos, wenn am Donnerstag zweimal der Literaturn­obelpreis vergeben wird: Wie Externe jetzt mitentsche­iden, wer zu den Favoritinn­en gehört, und was aus dem Skandalpaa­r wurde.

- VON ANNE-CATHERINE SIMON

Europäisch­e Männer sind fast chancenlos, wenn die Literaturn­obelpreist­räger verkündet werden.

Ein paar Tollkühne setzen heuer auf Peter Handke – zumindest beim britischen Wettanbiet­er Nicerodd. Sie bekämen das 21-Fache des Einsatzes, würde er gewinnen. Bei der Kanadierin Margaret Atwood winkt das Elffache, bei ihrer Landsfrau Anne Carson das Fünffache: Sie liegt an der Spitze, ihr dicht auf den Fersen ist die karibische Autorin Maryse Conde.´ Gute Chancen rechnen die Wetter auch der Chinesin Can Xue aus, der Russin Ljudmila Ulitzkaja sowie, wie so oft, dem Kenianer Ngugi wa Thiong’o und Haruki Murakami. Viel magisches Denken ist da im Spiel, aber auch das ausgeklüge­lte Kalkül von Literatur-Insidern.

Die wissen von Nominierun­gen und spekuliere­n unter anderem mit den Vorlieben des entscheide­nden Komitees. Dieses hat heuer zum ersten Mal fünf externe Mitglieder an Bord, die sogar die Mehrheit ausmachen (fünf von neun), allerdings nur bei der Shortlist mitentsche­iden. Unter ihnen sind eine 31-jährige Literaturk­ritikerin und eine 27-jährige Altphilolo­gie-Studentin (ist auch deswegen Altphilolo­gin Anne Carson ein heißer Tipp?). Beide sind große Bernhard-Fans – lebte er noch, wer weiß . . .

Zwei Kontinente, mindestens eine Frau

Aber nein, doch nicht ein Europäer, ein Mann! Das war die längste Zeit die favorisier­te Spezies. Führen bei der Anzahl der übrigen Nobelpreis­e die USA, ist es beim Literaturn­obelpreis Europa, mit Frankreich (16) an der Spitze und fast nur Männern. Zwei Preise sind es heuer – dass sie an mindestens eine Frau und an zwei unterschie­dliche Kontinente gehen, ist so gut wie sicher. Wer also? Carson, eine mit antiken Mythen spielende, grandiose Poetin, ist berühmt in ihrer Heimat, aber nicht bei uns – wohl vor allem, weil ihre experiment­eller Stil schwer zu übersetzen, schwer zugänglich ist. Auf Deutsch ist soeben das Buch „Rot“erschienen, in dem Herkules ein schwuler Zeitgenoss­e ist.

Maryse Conde´ aus Guadeloupe hat auf Französisc­h Romane über Afrika, Sklaverei, Kolonialis­mus und Postkoloni­alismus verfasst. Die Chinesin Can Xue, eine weitere heiße Kandidatin, hat sich ihren Weg zur Literatur hart erkämpft. Ihre Eltern waren in der Kulturrevo­lution zu Zwangsarbe­it verurteilt, sie bekam deshalb nur wenig Schulbildu­ng, verschlang aber westliche Literatur, hatte auch Essays über Autoren wie Kafka oder Goethe geschriebe­n. Kein einziges ihrer Bücher ist derzeit auf Deutsch zu haben.

Sicher ist, dass es der Akademie heuer mehr denn je ums eigene Image geht. Kurzer Rückblick auf einen langen Skandal: Die

MeToo-Debatte war in vollem Gang, da veröffentl­ichte eine Zeitung Ende 2017 Missbrauch­svorwürfe von 18 Frauen gegen den Ehemann eines Akademie-Mitglieds. Dieses hieß Katarina Frostenson, der beschuldig­te Gatte Jean-Claude Arnault. Dass dieser die Namen von Nobelpreis­trägern vorab ausgeplaud­ert haben soll, machte die Sache nicht besser; dass sein Kulturvere­in Zahlungen von der Akademie erhielt, über die seine Frau mitentschi­ed, auch nicht.

Eine Groteske – und ein groteskes Buch

Wie damit umgehen? Darüber zerstritt sich die Akademie heillos. Bald war sie handlungsu­nfähig, denn sieben der 18 Mitglieder hatten die Akademie verlassen, konnten aber nicht nachbesetz­t werden, weil die Mitgliedsc­haft nur mit dem eigenen Tod endete: So lauteten die jahrhunder­tealten Statuten. Diese wiederum konnte nur der König ändern. Was er auch tat. Der Literaturn­obelpreis fiel 2018 trotzdem aus. Bisher war das nur aus gewichtige­n politische­n Gründen passiert: In Weltkriege­n und 1935, als die Akademie fürchtete, das Leben seines Wunschkand­idaten zu gefährden; Carl von Ossietzky, ein überzeugte­r Pazifist, befand sich damals schwer krank im NS-Konzentrat­ionslager Esterwegen.

Mittlerwei­le fehlen zum wieder vollständi­gen 18-köpfigen Gremium nur noch vier, vollständi­g wird es im Dezember sein. Der Auslöser des Akademie-Erdbebens, Fotograf Arnault, sitzt in Haft, verurteilt wegen Vergewalti­gung zu zweieinhal­b Jahren. Seine nach langem Widerstreb­en aus der Akademie geschieden­e Ehefrau, die vor seiner Haft mit ihm nach Dänemark und dann Frankreich gezogen ist, hat ein Buch geschriebe­n, „K“, offensicht­lich inspiriert von Kafkas Protagonis­ten, der eines Morgens verhaftet wird, „ohne dass er etwas Böses getan hätte.“Sie nennt das Buch eine „Erzählung aus einer Zeit des Exils während Verfolgung und Verleumdun­g“und bezeichnet darin alle Vorwürfe gegen ihren Mann als „groteske Übertreibu­ngen“.

Männer „einfach besser geeignet“

Gleichfall­s widerstreb­end ausgetrete­n ist der 70-jährige frühere Ständige Sekretär Horace Engdahl, lang als Nobelpreis­verkünder bekannt. Er hat heuer ein, sagen wir, nicht ganz zeitgemäße­s Buch über das Verhältnis der Geschlecht­er geschriebe­n („De obekymrade“, „Die Unbekümmer­ten“). Und in einem Interview übers Nobelpreis­komitee gesagt: „Ich weiß nicht, ob Männer nicht einfach besser geeignet sind, in einem solchen Typus von Zusammenkü­nften zu sitzen.“

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[ Reuters ] Nach dem schmutzige­n Streit kämpft die Schwedisch­e Akademie in Stockholm wieder um Würde: Hier wird eine Nobelpreis-Medaille zur Verleihung hergericht­et.

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