Die Presse

Johnsons Strategie zerbröselt

Der britische Premiermin­ister appelliert neuerlich an die EU, auf seine „Kompromiss­vorschläge“über den Austritt einzugehen. Aber in Europa hat niemand Zeit für Boris Johnson.

- Von unserem Korrespond­enten GABRIEL RATH

Britischer Premier drängt auf Kompromiss, findet aber kein Gehör.

Der britische Premiermin­ister, Boris Johnson, kommt mit seiner Brexit-Strategie gehörig ins Straucheln. „Wir treten in 25 Tagen aus. Wir können es mit einem Deal machen, wenn die EU dazu bereit ist“, schrieb er gestern, Sonntag, in einem Beitrag für das Pro-BrexitMass­enblatt „The Sun“. Großbritan­nien habe Kompromiss­vorschläge gemacht, es sei nun an der EU, „dass wir uns in der Mitte treffen können“. Brexit-Minister Stephen Barclay erklärte: „Wir geben nicht klein bei.“

Die Moralappel­le an die Brexit-Truppen wurden offensicht­lich notwendig, nachdem am Freitag die Regierung in einer Gerichtsvo­rlage zu erkennen gegeben hatte, man werde sich nötigenfal­ls an das Gesetz halten und eine Verlängeru­ng der Frist für den Brexit beantragen. Genau das hatte Johnson bisher ausgeschlo­ssen, und Freitagabe­nd bekräftigt­e er auf Twitter: „Neuer Deal oder kein Deal – aber keine Verschiebu­ng.“

„Sind meilenweit auseinande­r“

Zugleich zeigte die EU ihm die kalte Schulter. Die Hoffnungen auf sofortige intensive Verhandlun­gen wurden von der Kommission zerstreut, von diplomatis­cher Seite hieß es: „In Wahrheit sind wir weiterhin meilenweit auseinande­r.“Eine noch schlimmere Zurückweis­ung erlebte Johnson persönlich: Weder Deutschlan­ds Kanzlerin, Angela Merkel, noch Frankreich­s Präsident, Emmanuel Macron, fanden Zeit für ein bilaterale­s Treffen mit dem britischen Premier.

Lediglich der irische Regierungs­chef, Leo Varadkar, zeigte sich zu einem neuerliche­n Gespräch mit Johnson bereit. Aber auch Varadkar warnte: „Für eine Vereinbaru­ng bleibt noch viel Arbeit zu tun.“Technische Gespräche würden heute wieder aufgenomme­n, hieß es aus Brüssel, bis Freitag werde man Klarheit haben, ob es einen Deal geben wird, über den dann der EU-Gipfel am 17. Oktober entscheide­n könne.

Danach sieht es freilich nicht aus. Die EU bemüht sich demonstrat­iv um einen konstrukti­ven Zugang, aus dem Umfeld des scheidende­n Kommission­spräsident­en, Jean-Claude Juncker, hieß es etwa, man hoffe „auf einen Deal in letzter Minute“. Doch auch in Brüssel weiß man, dass Johnson eine Regierung ohne Mehrheit und mit baldigem Ablaufdatu­m führt. Vor allem aber ist er in seinen vollmundig­en Erklärunge­n gefangen. Er habe „vier oder fünf Wege“, den Antrag auf eine Verlängeru­ng zu vermeiden, sagte Johnson in der Vorwoche seinem Kabinett. „Manche sind sehr gewagt.“Generalsta­atsanwalt Jeremy Cox, der zugleich glühender Brexit-Anhänger und hochkaräti­ger Jurist ist, drohte Johnson nach „hitzigen Debatten“sogar mit Rücktritt.

Zu den gewagten Modellen zu zählen war das Gerücht, London wolle Budapest zu einem Veto gegen eine Brexit-Verschiebu­ng bewegen. Obwohl Ungarns Außenminis­ter, Peter´ Szijjart´o,´ im Foreign Office gesehen wurde, gab sich Brüssel gelassen: Ungarns Ministerpr­äsident, Viktor Orban,´ „hat schon jetzt genug Konflikte mit der EU“.

Sollte es zu einer Verschiebu­ng des Brexit kommen, droht Johnson offen mit Obstruktio­n. Man werde dem EU-Haushalt nicht zustimmen und als britischen Kommissar den EU-Gegner Nigel Farage nominieren, schrieb der regierungs­treue „Sunday Telegraph“. Brexit-Hardliner Steve Baker hyperventi­lierte vor Begeisteru­ng: „Das wäre die Atombombe.“Charles Grant, Chef des Thinktanks Centre for European Reform, entschärft­e sie: „In Wahrheit könnten wir wenig Schaden anrichten. Eine Entscheidu­ng über das Budget ist nicht vor Juni fällig.“

So bleiben Johnson nur zwei Optionen. Einerseits muss er seine harte Linie bekräftige­n. Verweigert er das Ansuchen auf Verlängeru­ng zum Stichtag 19. Oktober, droht ihm ein weiteres Gerichtsve­rfahren. Die Höchstrich­ter haben ihre Kalender bereits freigemach­t. Selbst wenn er verurteilt werden und ihm das Parlament das Misstrauen ausspreche­n sollte, werde er nicht aus dem Amt weichen, „bis die Polizei kommt und ihn aus der Downing Street abführt“, wie die „Sunday Times“aus seinem Umfeld berichtete. „Er wird die Queen herausford­ern: Schmeißen Sie mich hinaus, wenn Sie es wagen.“

Gute Umfragen

Solchermaß­en als Brexit-Volkstribu­n bestätigt, richtet Johnson Teil zwei seiner Strategie darauf aus, die Schuld anderen zuzuweisen und damit in Neuwahlen zu ziehen. In Umfragen liegt er 15 Prozentpun­kte voran. Sein Stabschef, Dominic Cummings: „Wenn Brüssel unsere Vorschläge nicht annimmt, ist No Deal fix. Wir werden unsere Position nicht ändern. Wir sind dann mal weg.“

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[ Reuters ]

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