Johnsons Strategie zerbröselt
Der britische Premierminister appelliert neuerlich an die EU, auf seine „Kompromissvorschläge“über den Austritt einzugehen. Aber in Europa hat niemand Zeit für Boris Johnson.
Britischer Premier drängt auf Kompromiss, findet aber kein Gehör.
Der britische Premierminister, Boris Johnson, kommt mit seiner Brexit-Strategie gehörig ins Straucheln. „Wir treten in 25 Tagen aus. Wir können es mit einem Deal machen, wenn die EU dazu bereit ist“, schrieb er gestern, Sonntag, in einem Beitrag für das Pro-BrexitMassenblatt „The Sun“. Großbritannien habe Kompromissvorschläge gemacht, es sei nun an der EU, „dass wir uns in der Mitte treffen können“. Brexit-Minister Stephen Barclay erklärte: „Wir geben nicht klein bei.“
Die Moralappelle an die Brexit-Truppen wurden offensichtlich notwendig, nachdem am Freitag die Regierung in einer Gerichtsvorlage zu erkennen gegeben hatte, man werde sich nötigenfalls an das Gesetz halten und eine Verlängerung der Frist für den Brexit beantragen. Genau das hatte Johnson bisher ausgeschlossen, und Freitagabend bekräftigte er auf Twitter: „Neuer Deal oder kein Deal – aber keine Verschiebung.“
„Sind meilenweit auseinander“
Zugleich zeigte die EU ihm die kalte Schulter. Die Hoffnungen auf sofortige intensive Verhandlungen wurden von der Kommission zerstreut, von diplomatischer Seite hieß es: „In Wahrheit sind wir weiterhin meilenweit auseinander.“Eine noch schlimmere Zurückweisung erlebte Johnson persönlich: Weder Deutschlands Kanzlerin, Angela Merkel, noch Frankreichs Präsident, Emmanuel Macron, fanden Zeit für ein bilaterales Treffen mit dem britischen Premier.
Lediglich der irische Regierungschef, Leo Varadkar, zeigte sich zu einem neuerlichen Gespräch mit Johnson bereit. Aber auch Varadkar warnte: „Für eine Vereinbarung bleibt noch viel Arbeit zu tun.“Technische Gespräche würden heute wieder aufgenommen, hieß es aus Brüssel, bis Freitag werde man Klarheit haben, ob es einen Deal geben wird, über den dann der EU-Gipfel am 17. Oktober entscheiden könne.
Danach sieht es freilich nicht aus. Die EU bemüht sich demonstrativ um einen konstruktiven Zugang, aus dem Umfeld des scheidenden Kommissionspräsidenten, Jean-Claude Juncker, hieß es etwa, man hoffe „auf einen Deal in letzter Minute“. Doch auch in Brüssel weiß man, dass Johnson eine Regierung ohne Mehrheit und mit baldigem Ablaufdatum führt. Vor allem aber ist er in seinen vollmundigen Erklärungen gefangen. Er habe „vier oder fünf Wege“, den Antrag auf eine Verlängerung zu vermeiden, sagte Johnson in der Vorwoche seinem Kabinett. „Manche sind sehr gewagt.“Generalstaatsanwalt Jeremy Cox, der zugleich glühender Brexit-Anhänger und hochkarätiger Jurist ist, drohte Johnson nach „hitzigen Debatten“sogar mit Rücktritt.
Zu den gewagten Modellen zu zählen war das Gerücht, London wolle Budapest zu einem Veto gegen eine Brexit-Verschiebung bewegen. Obwohl Ungarns Außenminister, Peter´ Szijjart´o,´ im Foreign Office gesehen wurde, gab sich Brüssel gelassen: Ungarns Ministerpräsident, Viktor Orban,´ „hat schon jetzt genug Konflikte mit der EU“.
Sollte es zu einer Verschiebung des Brexit kommen, droht Johnson offen mit Obstruktion. Man werde dem EU-Haushalt nicht zustimmen und als britischen Kommissar den EU-Gegner Nigel Farage nominieren, schrieb der regierungstreue „Sunday Telegraph“. Brexit-Hardliner Steve Baker hyperventilierte vor Begeisterung: „Das wäre die Atombombe.“Charles Grant, Chef des Thinktanks Centre for European Reform, entschärfte sie: „In Wahrheit könnten wir wenig Schaden anrichten. Eine Entscheidung über das Budget ist nicht vor Juni fällig.“
So bleiben Johnson nur zwei Optionen. Einerseits muss er seine harte Linie bekräftigen. Verweigert er das Ansuchen auf Verlängerung zum Stichtag 19. Oktober, droht ihm ein weiteres Gerichtsverfahren. Die Höchstrichter haben ihre Kalender bereits freigemacht. Selbst wenn er verurteilt werden und ihm das Parlament das Misstrauen aussprechen sollte, werde er nicht aus dem Amt weichen, „bis die Polizei kommt und ihn aus der Downing Street abführt“, wie die „Sunday Times“aus seinem Umfeld berichtete. „Er wird die Queen herausfordern: Schmeißen Sie mich hinaus, wenn Sie es wagen.“
Gute Umfragen
Solchermaßen als Brexit-Volkstribun bestätigt, richtet Johnson Teil zwei seiner Strategie darauf aus, die Schuld anderen zuzuweisen und damit in Neuwahlen zu ziehen. In Umfragen liegt er 15 Prozentpunkte voran. Sein Stabschef, Dominic Cummings: „Wenn Brüssel unsere Vorschläge nicht annimmt, ist No Deal fix. Wir werden unsere Position nicht ändern. Wir sind dann mal weg.“