Mit Gewalt lässt sich Wut der Iraker nicht auf Dauer unterdrücken
Zigtausende Iraker fordern, wie 2011 in den Ländern des Arabischen Frühlings, gerechtere Verhältnisse. Dazu kommt die Gefahr geostrategischer Machtspiele.
D er Ärger hat sich lang aufgestaut: über Korruption, Vetternwirtschaft, die schlechte Versorgungslage und den Hochmut der Mächtigen. Jetzt ist die Wut voll ausgebrochen und hat die Straßen erreicht. Zigtausende protestieren in vielen Städten des Irak. Und die brutalen Versuche der Sicherheitskräfte, die Kundgebungen mit Gewalt niederzuschlagen, stacheln den Zorn und die Entschlossenheit der Menschen nur noch weiter an.
Wenn Demonstranten auf dem TahrirPlatz in Iraks Hauptstadt Bagdad aufmarschieren, so erinnert das an die tagelange Besetzung des gleichnamigen Platzes in Ägyptens Hauptstadt Kairo und den Sturz des Machthabers Hosni Mubarak. Es erinnert an die großen Kundgebungen, die 2011 in der gesamten Region autokratische Systeme ins Wanken oder sogar zu Fall gebracht haben.
Der sogenannte Arabische Frühling war damals in vielen Ländern erwacht. Er hatte zunächst zu mehr Mitbestimmung geführt und war in Tunesien weitgehend eine Erfolgsgeschichte. Zugleich sind aber Länder wie Libyen ins Chaos gestürzt. In Ägypten herrscht heute erneut ein autoritärer Staatschef. In Syrien hat sich das Regime mit Erfolg gegen einen Machtwechsel gewehrt – zum Preis eines verheerenden Konflikts, der zu einem zynischen Stellvertreterkrieg externer Mächte wurde und jihadistischen Organisationen wie alQaida oder dem sogenannten Islamischen Staat (IS) den Boden bereitete.
Die Gründe, warum Menschen im Irak auf die Straße gehen, ähneln denen, die auch anfangs die Syrer, die Libyer, die Ägypter oder die Tunesier hatten. Der Wunsch nach mehr Gerechtigkeit gehört dazu, nach Würde und sozialer Sicherheit. Zugleich gibt es im Irak aber auch spezifische Ursachen für den Protest – so wie auch 2011 in jedem einzelnen Land des sogenannten Arabischen Frühlings.
Die meisten Iraker haben nur wenig vom Erdölreichtum ihrer Heimat. Im vergangenen Jahrzehnt sind Unsummen in die privaten Taschen der Eliten geflossen – Gelder, die der Öffentlichkeit zustehen würden. Bereits 2012 und 2013 gab es Proteste dagegen, damals vor allem in von Sunniten bewohnten Städten wie Fallujah, Ramadi oder Hawija. Die damalige schiitisch geprägte Führung rund um Premier Nouri al-Maliki warf den Demonstranten vor, von al-Qaida und Anhängern des früheren Diktators Saddam Hussein unterwandert zu sein. Sie beendete die Kundgebungen mit Gewalt. Die Folge war ein Aufstand in den sunnitischen Hochburgen, der die Jihadisten des IS an die Macht spülte.
Die IS-Terrorherrschaft wurde mittlerweile beendet. Der Krieg gegen die Extremisten hat viele der Probleme des Landes zunächst zugedeckt, jetzt brechen sie wieder auf. Die Proteste konzentrieren sich nicht nur auf Bagdad, sondern auch auf die schiitischen Städte im Süden wie Basra. Das macht es für die Elite unmöglich, die Wut der Menschen einfach als Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten hinzustellen.
Zugleich kommt eine geostrategische Ebene hinzu: Teile der Demonstranten wenden sich gegen den iranischen Einfluss in ihrem Land, der auch bei Schiiten für wachsenden Unmut sorgt. Teherans Macht im Irak zurückzudrängen zählt ebenso zu den Zielen der USA oder der arabischen Golfmonarchien. Irans Regime wiederum denkt gar nicht daran, sich aus dem Irak verdrängen zu lassen. Dabei stützt es sich auf bewaffnete Milizen, die von Irans Revolutionsgarden unterstützt werden. Bleibt zu hoffen, dass die Versuchung für externe Player, die Lage im Irak für ihre strategischen Zwecke zu missbrauchen, nicht allzu groß wird. Denn das würde erst recht zur Katastrophe führen. E inmischung von außen tut dennoch Not, wenn auch in anderer Form. Der massive Einsatz von scharfer Munition durch Sicherheitskräfte und Milizen gegen Iraks Demonstranten ist inakzeptabel. Hier bedarf es klarer Ermahnungen internationaler Organisationen und aus Europas Hauptstädten. Den Verantwortlichen im Irak sollte auch bewusst sein: Mit Gewalt lässt sich der Zorn über ungerechte Verhältnisse vielleicht vorübergehend unterdrücken. Die Wut wird aber immer wieder hochkochen – wie in den anderen Ländern der Region.