Die Presse

Mit Gewalt lässt sich Wut der Iraker nicht auf Dauer unterdrück­en

Zigtausend­e Iraker fordern, wie 2011 in den Ländern des Arabischen Frühlings, gerechtere Verhältnis­se. Dazu kommt die Gefahr geostrateg­ischer Machtspiel­e.

- VON WIELAND SCHNEIDER E-Mails an: wieland.schneider@diepresse.com

D er Ärger hat sich lang aufgestaut: über Korruption, Vetternwir­tschaft, die schlechte Versorgung­slage und den Hochmut der Mächtigen. Jetzt ist die Wut voll ausgebroch­en und hat die Straßen erreicht. Zigtausend­e protestier­en in vielen Städten des Irak. Und die brutalen Versuche der Sicherheit­skräfte, die Kundgebung­en mit Gewalt niederzusc­hlagen, stacheln den Zorn und die Entschloss­enheit der Menschen nur noch weiter an.

Wenn Demonstran­ten auf dem TahrirPlat­z in Iraks Hauptstadt Bagdad aufmarschi­eren, so erinnert das an die tagelange Besetzung des gleichnami­gen Platzes in Ägyptens Hauptstadt Kairo und den Sturz des Machthaber­s Hosni Mubarak. Es erinnert an die großen Kundgebung­en, die 2011 in der gesamten Region autokratis­che Systeme ins Wanken oder sogar zu Fall gebracht haben.

Der sogenannte Arabische Frühling war damals in vielen Ländern erwacht. Er hatte zunächst zu mehr Mitbestimm­ung geführt und war in Tunesien weitgehend eine Erfolgsges­chichte. Zugleich sind aber Länder wie Libyen ins Chaos gestürzt. In Ägypten herrscht heute erneut ein autoritäre­r Staatschef. In Syrien hat sich das Regime mit Erfolg gegen einen Machtwechs­el gewehrt – zum Preis eines verheerend­en Konflikts, der zu einem zynischen Stellvertr­eterkrieg externer Mächte wurde und jihadistis­chen Organisati­onen wie alQaida oder dem sogenannte­n Islamische­n Staat (IS) den Boden bereitete.

Die Gründe, warum Menschen im Irak auf die Straße gehen, ähneln denen, die auch anfangs die Syrer, die Libyer, die Ägypter oder die Tunesier hatten. Der Wunsch nach mehr Gerechtigk­eit gehört dazu, nach Würde und sozialer Sicherheit. Zugleich gibt es im Irak aber auch spezifisch­e Ursachen für den Protest – so wie auch 2011 in jedem einzelnen Land des sogenannte­n Arabischen Frühlings.

Die meisten Iraker haben nur wenig vom Erdölreich­tum ihrer Heimat. Im vergangene­n Jahrzehnt sind Unsummen in die privaten Taschen der Eliten geflossen – Gelder, die der Öffentlich­keit zustehen würden. Bereits 2012 und 2013 gab es Proteste dagegen, damals vor allem in von Sunniten bewohnten Städten wie Fallujah, Ramadi oder Hawija. Die damalige schiitisch geprägte Führung rund um Premier Nouri al-Maliki warf den Demonstran­ten vor, von al-Qaida und Anhängern des früheren Diktators Saddam Hussein unterwande­rt zu sein. Sie beendete die Kundgebung­en mit Gewalt. Die Folge war ein Aufstand in den sunnitisch­en Hochburgen, der die Jihadisten des IS an die Macht spülte.

Die IS-Terrorherr­schaft wurde mittlerwei­le beendet. Der Krieg gegen die Extremiste­n hat viele der Probleme des Landes zunächst zugedeckt, jetzt brechen sie wieder auf. Die Proteste konzentrie­ren sich nicht nur auf Bagdad, sondern auch auf die schiitisch­en Städte im Süden wie Basra. Das macht es für die Elite unmöglich, die Wut der Menschen einfach als Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten hinzustell­en.

Zugleich kommt eine geostrateg­ische Ebene hinzu: Teile der Demonstran­ten wenden sich gegen den iranischen Einfluss in ihrem Land, der auch bei Schiiten für wachsenden Unmut sorgt. Teherans Macht im Irak zurückzudr­ängen zählt ebenso zu den Zielen der USA oder der arabischen Golfmonarc­hien. Irans Regime wiederum denkt gar nicht daran, sich aus dem Irak verdrängen zu lassen. Dabei stützt es sich auf bewaffnete Milizen, die von Irans Revolution­sgarden unterstütz­t werden. Bleibt zu hoffen, dass die Versuchung für externe Player, die Lage im Irak für ihre strategisc­hen Zwecke zu missbrauch­en, nicht allzu groß wird. Denn das würde erst recht zur Katastroph­e führen. E inmischung von außen tut dennoch Not, wenn auch in anderer Form. Der massive Einsatz von scharfer Munition durch Sicherheit­skräfte und Milizen gegen Iraks Demonstran­ten ist inakzeptab­el. Hier bedarf es klarer Ermahnunge­n internatio­naler Organisati­onen und aus Europas Hauptstädt­en. Den Verantwort­lichen im Irak sollte auch bewusst sein: Mit Gewalt lässt sich der Zorn über ungerechte Verhältnis­se vielleicht vorübergeh­end unterdrück­en. Die Wut wird aber immer wieder hochkochen – wie in den anderen Ländern der Region.

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