Sie ist Weltmarktführerin bei Pillen gegen männliche Unfruchtbarkeit und Chefin eines Fußballklubs. Auch gehört ihr ein Slogan der US-Army. Brigitte Annerl über Mut und wahren Luxus. ,,Viele wollen ihr Spermiogramm"
Interview.
Die Presse: Vor zwei Jahren haben Sie einmal gesagt, würde man alle Pärchen nebeneinanderstellen, die durch Ihre Präparate Kinder gekriegt haben, reichte die Reihe von Wien bis Genf. Wie haben Sie diesen Riesenmarkt so früh erahnt?
Brigitte Annerl: Als ich zuvor in der Pharmaindustrie arbeitete, hatte ich wiederholt gehört, dass die Schwangerschaft immer öfter wegen der Männer nicht klappe, es aber kein Mittel gebe. Das ist leicht erklärt: Männliche Infertilität ist kein organisches, sondern ein idiopathisches Problem – falsche Ernährung, Umweltbelastung usw. Wir haben zwei Jahre Studien dazu durchforstet. Mit 160 Testpersonen hatten wir dann den Beweis, die richtigen Substanzen gefunden zu haben. 2006 kam das erste Patent. Nun sind Sie seit über einem Jahrzehnt Marktführerin bei diesen Nahrungsergänzungsmitteln gegen männliche Unfruchtbarkeit. Was haben Sie dabei über die Männerpsyche gelernt? Interessante Frage. Ich habe schon immer gern Tabus angesprochen – auch das der Spermienqualität. Jetzt ist das Thema salonfähiger. Überrascht haben mich andere, etwa arabische Länder. Da ist mir, die ich als Frau über sinkende Spermienqualität geredet habe, eine Offenheit entgegengeschlagen, die ihresgleichen sucht. Viele wollen ihr Spermiogramm und lassen es daher bestimmen. In Europa ist man nicht so offen.
Was ist denn derzeit der stärkste unter Ihren 72 Exportmärkten? Algerien. Der gesamte nordafrikanische Bereich ist sehr stark. USA und Asien beginnen erst. Auch China. Früher war dort ja die EinKind-Politik – und wenn da eine Schwangerschaft dann nicht geklappt hat, da war was los in den Familien. Der Kinderwunsch ist global präsent. Das nächste Land, in das wir gehen, ist Ghana. Man würde es nicht vermuten, aber auch dort gibt es die Probleme.
Wollten Sie schon immer eine eigene Firma hochziehen? Ja, schon als junges Mädchen. Ich wollte selbst entscheiden. Und ich bin auch bereit, Risiko zu tragen.
Lag das in Ihrer Familie?
Nein. Ich komme aus überschaubaren Verhältnissen. Ich bin in der Wiener Goldschlagstraße mit Toilette auf dem Gang aufgewachsen. Dann am Rennbahnweg – auch nicht das Paradies von Wien.
Mit 17 Jahren sind Sie von zu Hause ausgezogen. Warum? Das möchte ich nicht näher erklären. Ich habe mir dann meine Matura und alle Ausbildungen selbst finanziert – musste also recht früh arbeiten gehen. Es war sicher hart, aber ich bin sehr dankbar dafür, dass ich früh Verantwortung für mich übernehmen musste.
Geht es Ihnen als Frau, die so viel geschafft hat, nicht auf den Geist, wenn Sie ständig Diskussionen über Frauenquoten hören? Bevor wir über Frauenquoten reden, sollten wir über genug Kinderbetreuungsmöglichkeiten reden! Ehrlich gesagt, geht mir jede Quote auf den Geist. Bei mir müsste man ja die Männerquote einführen, denn ich habe deutlich mehr Frauen angestellt. Mir geht es um den Typus von Mensch. Ist jemand mit Engagement bei der Arbeit, ist mir völlig wurscht, ob es ein Mann oder eine Frau ist.
Haben Sie selbst eine Form von Diskriminierung erlebt? Nein. Ich habe mich auch nie gefragt, ob mein Kollege mehr verdient als ich. Das ist wohl diese Eigenverantwortung aus frühen Jahren: Ich bin verantwortlich dafür, was ich bekomme, nicht andere.
Was braucht es überhaupt für unternehmerischen Erfolg? Die Fähigkeit, durchzubeißen.
Hat Geld als Triebkraft für Ihre Tätigkeit eine Rolle gespielt? Nein. Zu keinem Zeitpunkt. Was dann?
Etwas zu schaffen. Und wichtig: Ohne Fremdbestimmung eigene Entscheidungen treffen zu dürfen. Daher war mir auch wichtig, keinen Kredit aufzunehmen, obwohl es damit vielleicht schneller gegangen wäre. Und so habe ich in der ärgsten Zeit vier Jobs gleichzeitig gehabt und dann drei Jahre lang drei Jobs, um das zu finanzieren. Mein Sohn, den ich allein aufgezogen habe, war damals zehn. Da bleibt wenig Zeit zum Fernsehen.
Ich nehme an, heute schwimmen Sie im Geld. Nein. Ich habe keine schlaflosen Nächte mehr, wenn Gehaltszahlungen anstehen. Ich habe einen schönen Polster, mit dem sich gut leben lässt. Aber ich kenne auch anderes. Als mein Sohn geboren wurde, gab es Monate, in denen ich nur Kartoffeln mit Butter aß. Ich hatte drei Strampelhosen für ihn, die ich immer schnell waschen musste. Eines kann ich sagen: Ich bin reich an Erlebnissen, und das hat einen Wert für mich. Ich hatte schon sehr früh den Wunsch, hinauszugehen aus Österreich, fremde Kulturen kennenzulernen – aber nicht beim Liegen am Strand.
Warum tut sich selbst jemand wie Sie, die gern Tabus bricht, in Österreich schwer zu sagen, dass sie richtig viel Geld hat? Ich sage, ich bin finanziell unabhängig. Und das gibt mir den höchsten Luxus – nämlich Nein zu sagen. Auch geschäftlich. Ich habe erlebt, dass mir Partner gesagt haben, sie kaufen mir im Handumdrehen 100.000 Packungen ab. Aber das hat nicht gepasst, und ich will ja jahrelang mit Leuten zusammenarbeiten. Da müssen die Wertesysteme schon übereinstimmen.
Was gönnen Sie sich als Luxus?
Fußball. Der Fußballplatz befreit mich davon, sieben Tage die Woche rund um die Uhr an mein Unternehmen zu denken. Fußball lenkt ab, und das ist so genial. Ich sehe dieses Team vom TSV Hartberg, diese Begeisterung. Seit wir 2018 die Bundesligalizenz erhalten haben, ist das ein Volksfest im Ort. Das hat auch nichts mit Wirtschaft zu tun. Meine Exportquote ist über 92 Prozent, Hartberg kennt man in meinen Märkten nicht. Fußballsponsoring ist auch ein bisschen der Luxus, etwas geben zu können.
Denken Sie, dass Unternehmer über das Steuerzahlen und das Schaffen von Arbeitsplätzen hinaus eine Verantwortung gegenüber der Gesellschaft haben? Was mich betrifft, ja. Für mich ist es das Schönste, etwas geben zu können. Ich sponsere z. B. HIV-Stiftungen von Bill Clinton, Paralympics.
Wie kommen denn Ihre Kontakte zu Clinton und anderen sehr berühmten Leuten zustande? Das entstand über Gery Keszler
(Gründer des Life Balls, Anm.).
Wofür würden Sie nie Geld ausgeben? Für Luxusgüter wie Jachten, Privatflieger usw. Das bin nicht ich. Mir ist Besitz relativ wenig wert. Wenn man auf dem Sterbebett liegt, geht es nicht darum, wie viele tolle Häuser oder Autos man gehabt hat. Ich glaube, es geht darum, was im Kopf ist – die Bilder dessen, was man erleben durfte. Das bleibt.
Wofür geben Sie denn zu Ihrem Ärger meist zu viel Geld aus? Das ist eher wieder ein weibliches Thema. Ich kaufe mir ganz gern ein schönes Gewand.
Darüber werden Sie sich doch wohl nicht ärgern! Manchmal schon. Wenn ich sehe, der Kasten ist schon so voll.
Sie haben immer wieder Kaufangebote für Ihre Firma. Was muss passieren, dass Sie verkaufen? Es müsste mir keinen Spaß mehr machen. Ich agiere übrigens stark nach meinem Bauchgefühl. Und es hat mich noch nie im Stich gelassen. Einmal hatten wir einen Trademark-Streit in Italien, weil eine örtliche Firma die Marke schon hatte, obwohl sie offiziell nicht eingetragen war. Ich hatte damals das Glück, Thomas Müller (Kriminalpsychologe und Profiler, Anm.) kennengelernt zu haben. Er gab mir den Tipp: „Wer hoch fliegen will, muss Ballast abwerfen. Lassen Sie den Streit bleiben!“Und ich sage Ihnen, ich habe es gelassen – und eine Woche später sind Türen aufgegangen, die wir sonst wohl gar nicht gesehen hätten.