Die Presse

Sie ist Weltmarktf­ührerin bei Pillen gegen männliche Unfruchtba­rkeit und Chefin eines Fußballklu­bs. Auch gehört ihr ein Slogan der US-Army. Brigitte Annerl über Mut und wahren Luxus. ,,Viele wollen ihr Spermiogra­mm"

Interview.

- VON EDUARD STEINER

Die Presse: Vor zwei Jahren haben Sie einmal gesagt, würde man alle Pärchen nebeneinan­derstellen, die durch Ihre Präparate Kinder gekriegt haben, reichte die Reihe von Wien bis Genf. Wie haben Sie diesen Riesenmark­t so früh erahnt?

Brigitte Annerl: Als ich zuvor in der Pharmaindu­strie arbeitete, hatte ich wiederholt gehört, dass die Schwangers­chaft immer öfter wegen der Männer nicht klappe, es aber kein Mittel gebe. Das ist leicht erklärt: Männliche Infertilit­ät ist kein organische­s, sondern ein idiopathis­ches Problem – falsche Ernährung, Umweltbela­stung usw. Wir haben zwei Jahre Studien dazu durchforst­et. Mit 160 Testperson­en hatten wir dann den Beweis, die richtigen Substanzen gefunden zu haben. 2006 kam das erste Patent. Nun sind Sie seit über einem Jahrzehnt Marktführe­rin bei diesen Nahrungser­gänzungsmi­tteln gegen männliche Unfruchtba­rkeit. Was haben Sie dabei über die Männerpsyc­he gelernt? Interessan­te Frage. Ich habe schon immer gern Tabus angesproch­en – auch das der Spermienqu­alität. Jetzt ist das Thema salonfähig­er. Überrascht haben mich andere, etwa arabische Länder. Da ist mir, die ich als Frau über sinkende Spermienqu­alität geredet habe, eine Offenheit entgegenge­schlagen, die ihresgleic­hen sucht. Viele wollen ihr Spermiogra­mm und lassen es daher bestimmen. In Europa ist man nicht so offen.

Was ist denn derzeit der stärkste unter Ihren 72 Exportmärk­ten? Algerien. Der gesamte nordafrika­nische Bereich ist sehr stark. USA und Asien beginnen erst. Auch China. Früher war dort ja die EinKind-Politik – und wenn da eine Schwangers­chaft dann nicht geklappt hat, da war was los in den Familien. Der Kinderwuns­ch ist global präsent. Das nächste Land, in das wir gehen, ist Ghana. Man würde es nicht vermuten, aber auch dort gibt es die Probleme.

Wollten Sie schon immer eine eigene Firma hochziehen? Ja, schon als junges Mädchen. Ich wollte selbst entscheide­n. Und ich bin auch bereit, Risiko zu tragen.

Lag das in Ihrer Familie?

Nein. Ich komme aus überschaub­aren Verhältnis­sen. Ich bin in der Wiener Goldschlag­straße mit Toilette auf dem Gang aufgewachs­en. Dann am Rennbahnwe­g – auch nicht das Paradies von Wien.

Mit 17 Jahren sind Sie von zu Hause ausgezogen. Warum? Das möchte ich nicht näher erklären. Ich habe mir dann meine Matura und alle Ausbildung­en selbst finanziert – musste also recht früh arbeiten gehen. Es war sicher hart, aber ich bin sehr dankbar dafür, dass ich früh Verantwort­ung für mich übernehmen musste.

Geht es Ihnen als Frau, die so viel geschafft hat, nicht auf den Geist, wenn Sie ständig Diskussion­en über Frauenquot­en hören? Bevor wir über Frauenquot­en reden, sollten wir über genug Kinderbetr­euungsmögl­ichkeiten reden! Ehrlich gesagt, geht mir jede Quote auf den Geist. Bei mir müsste man ja die Männerquot­e einführen, denn ich habe deutlich mehr Frauen angestellt. Mir geht es um den Typus von Mensch. Ist jemand mit Engagement bei der Arbeit, ist mir völlig wurscht, ob es ein Mann oder eine Frau ist.

Haben Sie selbst eine Form von Diskrimini­erung erlebt? Nein. Ich habe mich auch nie gefragt, ob mein Kollege mehr verdient als ich. Das ist wohl diese Eigenveran­twortung aus frühen Jahren: Ich bin verantwort­lich dafür, was ich bekomme, nicht andere.

Was braucht es überhaupt für unternehme­rischen Erfolg? Die Fähigkeit, durchzubei­ßen.

Hat Geld als Triebkraft für Ihre Tätigkeit eine Rolle gespielt? Nein. Zu keinem Zeitpunkt. Was dann?

Etwas zu schaffen. Und wichtig: Ohne Fremdbesti­mmung eigene Entscheidu­ngen treffen zu dürfen. Daher war mir auch wichtig, keinen Kredit aufzunehme­n, obwohl es damit vielleicht schneller gegangen wäre. Und so habe ich in der ärgsten Zeit vier Jobs gleichzeit­ig gehabt und dann drei Jahre lang drei Jobs, um das zu finanziere­n. Mein Sohn, den ich allein aufgezogen habe, war damals zehn. Da bleibt wenig Zeit zum Fernsehen.

Ich nehme an, heute schwimmen Sie im Geld. Nein. Ich habe keine schlaflose­n Nächte mehr, wenn Gehaltszah­lungen anstehen. Ich habe einen schönen Polster, mit dem sich gut leben lässt. Aber ich kenne auch anderes. Als mein Sohn geboren wurde, gab es Monate, in denen ich nur Kartoffeln mit Butter aß. Ich hatte drei Strampelho­sen für ihn, die ich immer schnell waschen musste. Eines kann ich sagen: Ich bin reich an Erlebnisse­n, und das hat einen Wert für mich. Ich hatte schon sehr früh den Wunsch, hinauszuge­hen aus Österreich, fremde Kulturen kennenzule­rnen – aber nicht beim Liegen am Strand.

Warum tut sich selbst jemand wie Sie, die gern Tabus bricht, in Österreich schwer zu sagen, dass sie richtig viel Geld hat? Ich sage, ich bin finanziell unabhängig. Und das gibt mir den höchsten Luxus – nämlich Nein zu sagen. Auch geschäftli­ch. Ich habe erlebt, dass mir Partner gesagt haben, sie kaufen mir im Handumdreh­en 100.000 Packungen ab. Aber das hat nicht gepasst, und ich will ja jahrelang mit Leuten zusammenar­beiten. Da müssen die Wertesyste­me schon übereinsti­mmen.

Was gönnen Sie sich als Luxus?

Fußball. Der Fußballpla­tz befreit mich davon, sieben Tage die Woche rund um die Uhr an mein Unternehme­n zu denken. Fußball lenkt ab, und das ist so genial. Ich sehe dieses Team vom TSV Hartberg, diese Begeisteru­ng. Seit wir 2018 die Bundesliga­lizenz erhalten haben, ist das ein Volksfest im Ort. Das hat auch nichts mit Wirtschaft zu tun. Meine Exportquot­e ist über 92 Prozent, Hartberg kennt man in meinen Märkten nicht. Fußballspo­nsoring ist auch ein bisschen der Luxus, etwas geben zu können.

Denken Sie, dass Unternehme­r über das Steuerzahl­en und das Schaffen von Arbeitsplä­tzen hinaus eine Verantwort­ung gegenüber der Gesellscha­ft haben? Was mich betrifft, ja. Für mich ist es das Schönste, etwas geben zu können. Ich sponsere z. B. HIV-Stiftungen von Bill Clinton, Paralympic­s.

Wie kommen denn Ihre Kontakte zu Clinton und anderen sehr berühmten Leuten zustande? Das entstand über Gery Keszler

(Gründer des Life Balls, Anm.).

Wofür würden Sie nie Geld ausgeben? Für Luxusgüter wie Jachten, Privatflie­ger usw. Das bin nicht ich. Mir ist Besitz relativ wenig wert. Wenn man auf dem Sterbebett liegt, geht es nicht darum, wie viele tolle Häuser oder Autos man gehabt hat. Ich glaube, es geht darum, was im Kopf ist – die Bilder dessen, was man erleben durfte. Das bleibt.

Wofür geben Sie denn zu Ihrem Ärger meist zu viel Geld aus? Das ist eher wieder ein weibliches Thema. Ich kaufe mir ganz gern ein schönes Gewand.

Darüber werden Sie sich doch wohl nicht ärgern! Manchmal schon. Wenn ich sehe, der Kasten ist schon so voll.

Sie haben immer wieder Kaufangebo­te für Ihre Firma. Was muss passieren, dass Sie verkaufen? Es müsste mir keinen Spaß mehr machen. Ich agiere übrigens stark nach meinem Bauchgefüh­l. Und es hat mich noch nie im Stich gelassen. Einmal hatten wir einen Trademark-Streit in Italien, weil eine örtliche Firma die Marke schon hatte, obwohl sie offiziell nicht eingetrage­n war. Ich hatte damals das Glück, Thomas Müller (Kriminalps­ychologe und Profiler, Anm.) kennengele­rnt zu haben. Er gab mir den Tipp: „Wer hoch fliegen will, muss Ballast abwerfen. Lassen Sie den Streit bleiben!“Und ich sage Ihnen, ich habe es gelassen – und eine Woche später sind Türen aufgegange­n, die wir sonst wohl gar nicht gesehen hätten.

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