Die Presse

Wenn der Krieg kommt

Eine Stadt an der Grenze zum kurdisch beherrscht­en Nordsyrien erlebte die Vorbereitu­ngen der Armee zum Angriff. Man will eine 100 Kilometer lange, rund 30 km tiefe „Sicherheit­szone“als Schutz vor Terroriste­n schaffen. Eine Reportage.

- Von unserer Korrespond­entin SUSANNE GÜSTEN (AKCAKALE)¸

Eine Stadt an der Grenze zum kurdisch beherrscht­en Nordsyrien erlebte die Vorbereitu­ngen der Armee. Man will eine Schutzzone schaffen.

Spätsommer­liche Abendsonne liegt über den Baumwollfe­ldern um Akcakale,¸ einer türkischen Kleinstadt an der Grenze zu Nordwestsy­rien. Bäuerinnen in bunten Kopftücher­n arbeiten gebückt in den Feldern und pflücken weiße Büschel von den Stauden; halb nackte Kleinkinde­r spielen an der Schotterst­raße, die an der Grenze entlang verläuft.

Ruhe und Frieden liegen über dem Land – doch enden so wie der Schotterwe­g jäh an frisch aufgewühlt­en Erdhügeln mitten in den Feldern. Ein Kanonenroh­r ragt aus dem Erdreich hervor, ein Wachposten hebt den Arm. Die Bauern werden nicht mehr viel Zeit haben, ihre Ernte einzubring­en: Hier sammelt sich die türkische Armee seit geraumer Zeit für einen geplanten Einmarsch nach Syrien, in dessen kurdisch dominierte Region im Nordwesten.

„Aufnahmen sind nicht erlaubt, sagt mein Kommandant“, erklärt der Soldat durchs Autofenste­r; die Straße sei gesperrt. Erst seit einigen Tagen ist diese Einheit hier am Werk, aber ihre Vorbereitu­ngen sind schon sehr weit fortgeschr­itten. Eine Haubitze und mehrere Schützenpa­nzer sind eingegrabe­n, ein halbes Dutzend Mannschaft­szelte aufgeschla­gen; die Erde ist auf etwa der Fläche eines Fußballfel­ds aufgewühlt und zu Hügeln aufgeworfe­n, in Tarnfarben gestrichen­e Bagger stehen bereit für weitere Arbeiten. Ein Spürhund begleitet einen der Soldaten – das Grenzgebie­t ist noch von früher vermint. Und rings um diese Kriegsvorb­ereitungen geht die Baumwoller­nte weiter.

100 Kilometer lange Front

Rund 20 Kilometer östlich von Akcakale¸ spielt sich das ab, aber nicht nur da: Über mindestens 100 Kilometer längs der Grenze sind türkische Truppen in Stellung gegangen. Die Vorbereitu­ngen seien abgeschlos­sen, teilte das Verteidigu­ngsministe­rium am Dienstag mit, nicht zuletzt für einen vorbereite­nden Artillerie­schlag auf Stellungen der Kurdenmili­z YPG drüben in Syrien.

Sie ist das Hauptziel des geplanten Angriffs. Die Miliz, ein Ableger der Terrororga­nisation PKK, hatte jahrelang zusammen mit den USA gegen den Islamische­n Staat (IS) gekämpft und dafür Schutz zum Aufbau eines Autonomieg­ebiets in Nordostsyr­ien erhalten. Ankara sieht das als „Terror-Korridor“, der zerstört werden muss, USA hin oder her.

Regierungs­nahe Medien in der Türkei wollen erfahren haben, wie das geschehen soll. Zunächst will man die YPG mit Artillerie- und Luftbombar­dements im Grenzgebie­t aufweichen und zurückdrän­gen. Dann sollen türkische Elitetrupp­en und protürkisc­he syrische Rebellengr­uppen angreifen.

Schwere Kämpfe erwartet

Ein Spaziergan­g dürfte der Feldzug nicht werden. Die YPG hat gut ausgebilde­te Einheiten mit guter Ausrüstung und langer Kampferfah­rung. US-Waffenlief­erungen sollen bis in die vergangene­n Tage hinein weitergega­ngen sein.

Im Zentrum von Akcakale¸ haben sich Einwohner am geschlosse­nen Grenzüberg­ang versammelt, um in der Abendsonne über Mauer und Stacheldra­ht ins syrische Tel Abiad zu spähen. „Sieh mal, dort stehen sie auch und schauen, genau wie wir“, sagt ein Mann im Kaftan und weist mit dem Kinn auf eine Gruppe Gestalten, die auf einem Dach jenseits der Grenze zu stehen. „Sie warten auch darauf, was nun passiert, genau wie wir.“Am Wochenende sollen die Amerikaner Tel Abiad verlassen haben, hat er gehört; jederzeit könne es nun losgehen mit der Offensive.

Reste der Bagdad-Bahn

An der Mauer laufen Schienen entlang, auf einem Gleis steht ein uralter Waggon aus Holz. Kommt man zu nah an die Gleise, treten Soldaten hervor und entsichern ihre Gewehre. Die Schienen gehören zur Bagdad-Bahn, die deutsche Banken und Bauherrn zu Beginn des 20. Jahrhunder­ts hier bauten. Von Berlin bis Bagdad sollte die Trasse reichen und dem Deutschen Reich via Basra den Zugang zum Persischen Golf eröffnen. Heute fährt die Bahn nicht mehr, doch die Gleise markieren weiter die Grenze zwischen der Türkei und Syrien. Eine eiserne Erinnerung daran, dass auch Deutschlan­d an historisch­en Verwerfung­en in der Region, deren Folgen bis heute währen, nicht ganz unbeteilig­t war.

Keine 100 Jahre alt ist diese Grenze, erinnert Ibrahim, ein Mittvierzi­ger, der in Akcakale¸ mit Gebetskett­en handelt. Die Menschen beidseits sind vielfach miteinande­r verwandt. Bei vielen der um die 50.000 Flüchtling­e in Akcakale¸ handelt es sich um Leute aus Tel Abiad, die seit Kriegsausb­ruch in Syrien 2011 kamen und von ihren Verwandten aufgenomme­n wurden – sie haben die Einwohnerz­ahl der Kleinstadt mindestens verdoppelt und zusammen mit anderen Flüchtling­en vervierfac­ht.

Ibrahim hat mehr 20 Onkel und Cousins aus Syrien, die mit ihren Familien hier sind. Die türkischen Verwandten halfen ihnen, Fuß zu fassen, der Staat ebenfalls, erzählt Ibrahim. Was könne man auch anderes tun, sagt er: „Es ist ein Gebot der Menschlich­keit.“

Gleichmut vor dem Sturm

Dem nahenden Einmarsch im Nachbarlan­d sehen die meisten Menschen in Akcakale¸ eigentlich gleichmüti­g entgegen. Empörung oder Widerworte gibt es nicht, anders als in mehrheitli­ch kurdischen Städten der Region. In Akca-¸ kale tragen die Männer nicht Pluderhose­n wie die Kurden, sondern Kaftan: Die Kleinstadt ist von der arabischst­ämmigen Minderheit in der Türkei dominiert. Begeistert sind diese Leute aber auch nicht: Der schlechtes­te Frieden sei einem Krieg vorzuziehe­n, sagt der Automechan­iker Mehmet, der keine 100 Meter vor der Grenze seine Garage mit Wasser ausspritzt.

Noch bevor der erste Schuss gefallen ist, gibt es den ersten Kollateral­schaden: die Beziehunge­n zu Washington. Seit Langem funkt es zwischen den Nato-Partnern wegen der US-Unterstütz­ung für die YPG, doch nun sind die Differenze­n so eskaliert, dass der Schaden irreparabe­l sein könnte. USPräsiden­t Donald Trump hatte zwar den Sanktus zum Einmarsch signalisie­rt und US-Soldaten in Syrien aus dem Grenzraum geholt, aber danach gedroht, er werde die türkische Wirtschaft „total zerstören“, sollten sich Ankaras Truppen „unmenschli­ch“verhalten (siehe auch die Geschichte rechts).

Erdogan˘ muss es jetzt fast tun

Frechheit, entgegnet die türkische Regierungs­presse, selbst Erdogans˘ innertürki­sche Gegner rufen ihn auf, trotz der US-Drohungen am Angriff festzuhalt­en. Jetzt müsse das erst recht durchgezog­en werden, fordert etwa die nationalis­tische Opposition­spolitiker­in Meral Aksener.¸ Selbst wenn er wollte, kann Erdogan˘ kaum noch zurück.

So kommt der Krieg also wohl nach Akcakale.¸ Und das nicht zum ersten Mal: Vor exakt sieben Jahren, im Oktober 2012, starben hier fünf Menschen durch Granaten, die in Syrien abgefeuert worden waren. Damals kämpften syrische Regierungs­truppen jenseits der Grenze gegen Rebellen.

Heute fürchten viele Einwohner, dass ihre Stadt wieder zur Kampfzone werden könnte. Aber von Panik ist trotz des türkischen Aufmarschs nichts zu sehen. Schulkinde­r laufen nach dem Unterricht mit bunten Rucksäcken nach Hause, auf den Feldern wird geerntet, Gemüsehänd­ler stellen Kisten mit Melanzani und Paprika vor ihre Läden.

Ein gewisser Hauch von Fatalismus liegt über der Stadt. „Bei uns im Haus schlugen damals auch Kugeln ein“, erzählt Mechaniker Mehmet über den Beschuss aus Syrien des Jahres 2012. Fliehen wird er indes auch diesmal nicht: „In dieser Weltgegend kann es dich überall erwischen.“

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Ein gepanzerte­r türkischer Aufklärung­swagen/Truppentra­nsporter vom Typ „Kirpi“(Igel) auf Patrouille­nfahrt unweit der syrischen Givbild vom September).
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[ AFP ]

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