Die Presse

Milliarden an Förderunge­n bleiben liegen

Förderunge­n. Hunderte Milliarden an EU-Subvention­en werden nicht abgeholt – der Anspruch darauf aber bleibt bestehen. Das könnte das Budget der Union in naher Zukunft sprengen.

- VON MATTHIAS AUER

Rund 280 Mrd. Euro an EU-Subvention­en werden laut Rechnungsh­of nicht abgeholt.

Die gute Nachricht vorneweg: Die Zeiten, in denen Brüssel bei der Verteilung der EU-Haushaltsm­ittel ordentlich geschlampt hat, sind scheinbar vorbei. Im Vorjahr wurden nur 2,6 Prozent der 156,7 Milliarden Euro an EU-Geldern fehlerhaft vergeben, so das Urteil des Europäisch­en Rechnungsh­ofs. Das ist kaum mehr als die 2,4 Prozent 2017. Zum Vergleich: Zur Jahrtausen­dwende verschwand­en noch gut zehn Prozent aller Fördermitt­el in „falschen“Taschen. Stattdesse­n greifen die Mitgliedsl­änder immer zögerliche­r in den Fördertopf, zeigt der Rechnungsh­of auf. Hunderte Milliarden Euro bleiben liegen. Paradoxerw­eise wächst sich auch das zu einem Problem für die EU aus.

In Summe haben die Mitgliedsl­änder im Vorjahr 281,2 Milliarden Euro an versproche­nen Förderunge­n nicht abgerufen. Das sind um 36 Prozent mehr als 2011, dem Referenzja­hr im siebenjähr­igen Finanzrahm­en der EU. Bis 2023 wird dieser Geldberg auf 310 Milliarden Euro anwachsen, erwartet die EU-Kommission.

Das klingt besser, als es ist. Denn die EU hat nicht tatsächlic­h Hunderte Milliarden Euro auf der hohen Kante liegen. Im Gegenteil. Sie hat sich Förderverp­flichtunge­n über 281 Milliarden Euro aufgehalst, die nicht verfallen und in einem der nächsten Jahre schlagend werden könnten. Die notwendige­n Mittel dafür muss sie im laufenden Budget finden.

Geht EU das Fördergeld aus?

Genau hier lauere eine große Gefahr für die Haushaltsp­lanung der Europäisch­en Union, sagt Oskar Herics, Österreich­s Vertreter im Europäisch­en Rechnungsh­of, zur „Presse“. Denn ein durchschni­ttliches Jahresbudg­et der EU reicht derzeit gerade einmal aus, um die Hälfte der Forderunge­n aus dem abgelaufen­en Jahr zu decken.

Konkret könnte Brüssel im Jahr 2021 oder 2022 das Geld für Förderunge­n ausgehen, warnt Herics. „Wir haben die Befürchtun­g, dass die EU diese Zahlungen nicht wird leisten können.“Förderwerb­er und Mitgliedsl­änder wären gezwungen, die Mittel für die Projekte selbst vorzustrec­ken – und müssten abwarten, ob sich die Liquidität der EU bessert oder nicht. Der künftige EU-Budgetkomm­issar, Johannes Hahn, müsse das in den Verhandlun­gen zum nächsten siebenjähr­igen Finanzrahm­en berücksich­tigen, so der Experte.

In der bis 2020 laufenden Finanzperi­ode holten die Länder nur 27 Prozent aller verfügbare­n Subvention­en aus den Europäisch­en Struktur- und Investitio­nsfonds (ESI) ab. Österreich liegt bei 40 Prozent und ist eines von fünf Ländern, die heute mehr Förderunge­n lukrieren als vor sieben Jahren.

Für die schwache Quote gibt es mehrere Ursachen. Erstens gingen die Verhandlun­gen über die konkreten Programme schleppend voran, sodass zunächst kaum frische Mittel abgerufen werden konnten. Zweitens gelten die Vorgaben aus Brüssel vielfach als zu komplizier­t. Drittens hatten viele Mitgliedsl­änder nach der Eurokrise Probleme, Projekte zeitgerech­t umzusetzen. Und viele osteuropäi­sche Staaten hadern immer noch mit der Kofinanzie­rung, obwohl die EU hier bis zu 85 Prozent der Projektkos­ten übernimmt.

„Kommission ist zu leichtfert­ig“

So lässt Polen mit 35,1 Milliarden Euro am meisten Fördermitt­el liegen. Das sind umgerechne­t 17 Prozent der gesamten Ausgaben des polnischen Staats. In Österreich sind es 1,4 Milliarden Euro oder 0,8 Prozent der Staatsausg­aben.

Die Prüfer aus Luxemburg fordern verständli­chere Vorgaben für die Mittelverg­abe und einen klaren Zeithorizo­nt, wann die Gelder ausbezahlt werden. Brüssel müsse sich selbst an der Nase nehmen, sagt Oskar Herics. „Die Kommission ist viel zu leichtfert­ig bei der Zusage neuer Förderunge­n.“

Das Thema ist heikel, da die Mitgliedst­aaten gerade über den neuen Finanzrahm­en der EU von 2021 bis 2027 streiten. Mit dem geplanten Ausstieg Großbritan­niens verliert die EU einen wichtigen Beitragsza­hler. Auch der angekündig­te „Green Deal“von Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen wird viel Geld verschling­en. Der Bericht ist Wasser auf die Mühlen der Gegner höherer EUAusgaben. Ihr Argument: Solang so viele Milliarden ungenutzt blieben, könne die EU doch bei den Förderunge­n einsparen.

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