Die Presse

Müssen Reformen eigentlich effizient sein?

Kassenrefo­rm. Das Prestigepr­ojekt der türkis-blauen Regierung wurde vor dem Verfassung­sgericht verhandelt. An Tag eins ging es darum, ob Reformen nur dann verfassung­sgemäß sind, wenn sie eine Organisati­on verbessern. Der Vertreter der Bundesregi­erung sagt

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Wien. Marmor, gepolstert­e Wände, Milchglasd­ecke, Teppichbod­en: Der Verhandlun­gssaal des Verfassung­sgerichtsh­ofs erinnert fast mehr an eine Hotellobby als an ein Höchstgeri­cht. Zwei Tage lang wird hier über das Prestigepr­ojekt der türkis-blauen Regierung, die Reform der Sozialvers­icherung, diskutiert – bzw. über die 14 Anträge dazu (oder eher: dagegen). Die Entscheidu­ng wird nach interner Beratung präsentier­t. Vielleicht noch heuer.

Zwecks besserer Übersicht wurde die Verhandlun­g nach Themenblöc­ken geordnet. Am Montag stand vor allem eine Frage im Zentrum, nämlich: Widerspric­ht bereits die Zusammenle­gung der Kassen zur Österreich­ischen Gesundheit­skasse der Verfassung? Michael Rohregger, Anwalt mehrerer Gebiets- und Betriebskr­ankenkasse­n, bemühte ein Beispiel aus dem Straßenver­kehr, um zu zeigen, dass der Gesetzgebe­r „nicht einfach so“Strukturen ändern darf. Vor der Festlegung auf das Rechtsfahr­en, so der Anwalt, habe der Gesetzgebe­r frei zwischen links und rechts wählen können. Würde man aber heute von Rechts- auf Linksfahre­n umstellen wollen, brauche es gute Gründe für einen derartig aufwendige­n Systemwech­sel.

Keine Akten zu Einsparung­en

Daher, so die Conclusio, müsse eine Reform der Kassen dem (aus der Verfassung abgeleitet­en) Effizienz- und Sachlichke­itsgebot entspreche­n. Dies sei aber eben nicht der Fall. Die Neuregelun­g verursache nur Kosten und Mängel.

Dazu führte der Generaldir­ektor des Hauptverba­nds, Josef Probst, ergänzend aus, dass es ja gar „nie die Substanz“für jene „Patientenm­illiarde“gegeben habe, die die Regierung via Einsparung­en durch die Reform aufbringen wollte. Aufseiten der Vertreter der Bundesregi­erung wird dazu interessan­t argumentie­rt: Florian Herbst (Justizmini­sterium) meinte nämlich, dass der Gesetzgebe­r gar nicht an ein Effizienzg­ebot gebunden sei. Eine Reform dürfe zwar nicht finanziell unvertretb­ar sein, aber es sei nicht so, dass ausschließ­lich jene Organisati­onsform zulässig sei, die „besser“ist. Denn: „Die Gesetzgebu­ng hätte dann überhaupt keinen Spielraum, die Verwaltung zu organisier­en.“

Die Argumentat­ion dürfte zwar – wie Nachfragen der Richter nahelegen – rechtlich stimmig sein. Aber politisch passt sie nicht. Immerhin wurde die Reform als Weg zu Einsparung­en präsentier­t. Zu denen wollten die Richter dann auch Genaueres wissen. Annemarie Masilko (Sozialmini­sterium) musste erklären, warum die angenommen­en Einsparung­smöglichke­iten vom Ministeria­lentwurf zur Regierungs­vorlage gleich um das Zehnfache gestiegen sind. Viele Synergieef­fekte hätten sich erst später gezeigt, so die Expertin. In Akten dokumentie­rt wurde dieser Vorgang aber nicht. Masilko verwies stattdesse­n auf das Gutachten von Hoffmann/Knoll.

Nicht gelten ließ sie Probsts Behauptung, dass ein österreich­weiter Ärzte-Gesamtvert­rag Mehrkosten von rund 500 Millionen Euro verursache­n würde. Denn: Der Maßstab sei nicht „die Nivellieru­ng sämtlicher regionaler Honorare“auf die höchste Stufe. Bei der Frage der Rechtmäßig­keit der Reform geht es aber nicht nur um die Effizienz, sondern auch darum, ob die Reform das verfassung­smäßige Prinzip der Selbstverw­altung verletzt (ein Thema, das auch die Verhandlun­g am Dienstag dominieren wird). Rohregger sieht die regionale Selbstverw­altung der Kassen durch eine zentrale Steuerung ausgehebel­t. Ewald Scheucher (Anwalt der SPÖ-Mandatare im Bundesrat) erklärte, dass die Aufsichtsr­echte des Bundes künftig mehr einer CoGeschäft­sführung gleichen, was eine Mischform von Selbst- und Bundesverw­altung ergebe. Die eben unrechtmäß­ig sei.

Aufseiten der Bundesregi­erung sah man die Selbstverw­altung der Kassen intakt. Herbst erläuterte aber auf Nachfrage, dass es seiner Meinung nach keine Bestandsga­rantie für (nicht territoria­le) Selbstverw­altungskör­per wie die Sozialvers­icherung gebe. (uw)

Die Gesetzgebu­ng hätte dann überhaupt keinen Spielraum. Florian Herbst (Justizmini­sterium) erklärt, warum bei Reformen kein Effizienzg­ebot gilt.

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