IS-Anhängerin Maria G: „Angst, dass es zu spät ist“
Syrien. Eine türkische Offensive wird sich auf die Gefangenenlager im Norden auswirken.
Wien/Qamishli. Erst vergangene Woche kam es zu einer Schießerei. Irgendwie ist es den Frauen im IS-Gefangenenlager gelungen, an eine Schusswaffe zu kommen, zumindest eine Person wurde getötet, mehrere wurden verletzt.
Nach dem Vorfall hat sich die Salzburgerin Maria G. bei ihren Eltern gemeldet. „Aber ihnen ist zum Glück nichts passiert“, sagt Familie G. Und weiter: „Da sich die Lage in Nordsyrien aktuell zuspitzt und die Türkei kurz vor dem Einmarsch steht, droht die Lage im Camp Hol zu eskalieren.“Zu blutigen Vorfällen kommt es im Gefangenenlager al-Hol fast schon regelmäßig. Mehr als 70.000 Menschen, hauptsächlich Frauen und Kinder, leben hier; das kurdisch geführte Militärbündnis Demokratischen Kräfte Syriens hat sie von den letzten Territorien des sogenannten Islamischen Staats (IS) hierher gebracht, so auch Maria G. mit ihren beiden Kindern.
In einem dramatischen Appell hat sich ihre Familie nun an die österreichischen Behörden gewandt: Die Rückführung ihrer Tochter und Enkel soll schnellstmöglich über die Bühne gehen. Denn die Lage in Nordsyrien wird mit jedem Tag unübersichtlicher. US-Präsident Donald Trump hat angekündigt, die dort stationierten US-Truppen innerhalb kürzester Zeit zurückziehen zu wollen. Der umstrittene Schritt würde einer türkischen Offensive Tür und Tor öffnen – Ankara plant einen Einmarsch in die Region schon länger und hat zuletzt auch keinerlei Zweifel an diesem Vorhaben aufkommen lassen.
Die Türkei will im Norden Syriens eigenen Angaben zufolge eine Schutzzone für syrische Flüchtlinge errichten. Der Norden ist jedoch auch das Gebiet jener Gruppen, die mit der PKK verbündet sind und die die Türkei zerschlagen will. Eine Offensive würde sich unmittelbar auf das Kräfte- und Bevölkerungsverhältnis im Bürgerkriegsland auswirken. Aber es stellt sich auch die Frage, was mit den vielen IS-Gefangenen passiert, die in den Händen der kurdischen Verwaltung im Norden sind.
„Wenn die Türkei in den nächsten Tagen diese Region angreift“, sagt der Politologe Thomas Schmidinger, der mit der nordsyrischen Verwaltung in engem Kontakt steht, „besteht die Gefahr, dass einerseits hochgefährliche Terroristen freikommen, und andererseits, dass das syrische Regime die Lager übernimmt und Gefangene liquidiert.“Für eine geordnete Rückführung von Gefangenen sei es dann zu spät.
Eine Rückholaktion plant Österreich zumindest für Kinder und Frauen. Vor wenigen Tagen wurden die beiden Kinder der Wienerin Sabina S. nach Österreich gebracht, die Kurden übergaben sie an der irakisch-syrischen Grenze einem Vertreter der Republik. Die Kinder sind mittlerweile bei ihren Großeltern. Von Sabina S. fehlt indes jegliche Spur. Auch Maria G. soll mit ihren kleinen Söhnen demnächst nach Österreich kommen. Die österreichischen Behörden haben einen DNA-Test angeordnet, damit sichergestellt ist, dass es sich wirklich um ihre Kinder handelt (ein DNA-Test wurde auch bei Sabina S.’ Kindern im Lager al-Hol mithilfe von Unicef durchgeführt).
Laut Familie G. wurde das Test-Kit vor mehr als vier Wochen in das Camp al-Hol versendet. „Unsere Tochter hat uns gestern jedoch geschrieben, dass es bis heute nicht angekommen ist“, sagen Marias Eltern. Aufgrund der aktuellen Notlage könne man die Ergebnisse der Tests kaum abwarten; zudem habe Maria nach der Schießerei das Zelt gewechselt und ist möglicherweise schwerer auffindbar. „Wir haben große Angst, dass es vielleicht zu spät ist“, sagt Familie G. Über ihren Anwalt appelliert sie an die Behörden, im Falle einer Gefahrensituation alle drei zumindest „an einen sicheren Ort wie eine österreichische Botschaft“zu bringen, bis die Ergebnisse der DNA-Tests vorliegen.