Wenn Maschinen selbst denken
Die Industrie in Oberösterreich profitiert von der Nähe zu führenden Forschungseinrichtungen.
Künstliche Intelligenz (KI) wird die Wirtschaft in den kommenden Jahren nachhaltig verändern. Darin sind sich die Experten einig. Oberösterreichs Industrie profitiert schon jetzt davon – dank mehrerer Kooperationen zwischen lokalen Unternehmen und Forschungseinrichtungen, die es möglich machen, dass künftige Anwendungsfelder der künstlichen Intelligenz bereits in der Entwicklungsphase getestet werden können.
Dass an der Linzer JohannesKepler-Universität vor zwei Jahren ein „Artificial Intelligence Lab“ins Leben gerufen wurde, ist kein Zufall: Gilt doch dessen Leiter, Sepp Hochreiter, als jener Mann, der mit der Entwicklung der „Long ShortTerm Memory“-Technologie („langes Kurzzeitgedächtnis“) die Basis dafür legte, dass Maschinen überhaupt in der Lage sind, zu lernen und gesprochene Sätze oder per Sensoren erfasste Situationen richtig zu interpretieren, also „intelligent“zu sein. Mittlerweile befassen sich die Linzer Forscher damit, diese Prozesse weiter zu optimieren. Eine Umsetzung erfolgt in Zusammenarbeit mit dem Fahrzeughersteller Audi, der die Technik hinter selbstfahrenden Autos vorantreiben will. Eines der Kriterien dabei: Die Systeme müssen Wichtiges von Unwichtigem unterscheiden, um ihre Aufmerksamkeit gezielt auf potenzielle Gefahren im Straßenverkehr zu lenken.
Überhaupt hat die künstliche Intelligenz in der Autoproduktion bereits Fahrt aufgenommen. Im BMW-Werk in Steyr arbeiten Menschen und Roboter an der Montagelinie gemeinsam. Für das Unternehmen bedeutet das mehr Effizienz, für die auf diesem Gebiet aktive kooperierende FH Oberösterreich eine Möglichkeit, die dahinterstehenden Technologien mithilfe der Erkenntnisse aus der Praxis weiter auszureifen.
Roboter sucht sich Werkstück
Roman Froschauer, Leiter des Studiengangs Robotic Systems Engineering am Campus Wels der FH: „Ziel der Forschung ist es, die Roboter so zu trainieren, dass sie erkennen, welche Arbeitsschritte der Mensch gerade ausführt und was sie daher beitragen müssen.“Eine weitere Vision, für deren Erprobung es in der oberösterreichischen Fertigungsindustrie bereits Interessenten gibt: „Die Maschine kommt zum Werkstück, nicht umgekehrt“, erklärt Froschauer. „Der Roboter ,weiß‘, welches Werkzeug er wann bringen muss und welcher Arbeitsschritt als Nächstes erforderlich ist. Idealerweise führt er diesen Arbeitsschritt dann auch gleich selbst aus. Damit entfallen Transportwege und -zeiten.“
Beim Schweißtechnik-Unternehmen Fronius in Sattledt hilft der digitale Assistent bei Montage und Verpackung der Geräte. „Eine Kamera überblickt den Verpackungsinhalt, und die Maschine checkt, ob die Teile mit der Bestellung übereinstimmen“, erklärt Froschauer. „So werden Fehllieferungen vermieden.“
Damit Maschinen immer klüger werden, müssen sie große Datenmengen verarbeiten. Marc Streit, Professor für Visual Data Science an der Johannes-KeplerUniversität Linz, befasst sich damit, Programme zu entwickeln, die „Big Data“analysieren, Muster erkennen und die Ergebnisse überschaubar aufbereiten. Internationale Pharmakonzerne zählen bereits zu den Partnern und entwickeln auf Grundlage von Patientendaten neue Medikamente.
KI als Wettbewerbsvorteil
„Oberösterreichs Industrie ist in Sachen Digitalisierung gut aufgestellt und könnte durch Technologien im Bereich künstliche Intelligenz einen neuen Wettbewerbsvorteil erarbeiten“, sieht Joachim Haindl-Grutsch, Geschäftsführer der Industriellenvereinigung Oberösterreich, ein Potenzial für die heimischen Betriebe – zumal EUweit erst rund fünf Prozent aller Unternehmen KI-Systeme einsetzen, während es beispielsweise in Asien bereits 15 Prozent sind. Außerdem könnte der breite Einsatz dieser Technologien neue Jobs kreieren.
In einem Interview mit der Wirtschaftskammer nennt KI-„Erfinder“Hochreiter weitere Einsatzbereiche, die sogar das Fällen strategischer Entscheidungen umfassen. Um dies zu ermöglichen, versuchen die Forscher, die Funktionsweise des menschlichen Gehirns nachzuempfinden, indem sie neuronale Netzwerke lernen lassen und diese so zur Lösung komplexer Aufgabenstellungen befähigen. Angst, dass Roboter in naher Zukunft die Weltherrschaft an sich reißen könnten, brauchen wir Hochreiter zufolge nicht haben. „Davon sind wir weit entfernt.“Sehr wohl aber sei denkbar, dass künstliche Intelligenz einmal sogar die Leitung von Unternehmen und Konzernen übernehmen werde.