Die Presse

Droht Jahrzehnt der Nullzinsen?

Geldpoliti­k. Frühestens ab 2025 sei mit einer Zinswende zu rechnen, so der Chefvolksw­irt der deutschen Deka-Bank. Verschlech­tert sich die Wirtschaft­slage, dauere es noch länger.

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Seit sechs Quartalen ist die deutsche Industrie bereits in einer Rezession. „Das ist die längste Phase einer Industrier­ezession seit der Wiedervere­inigung“, sagt Ulrich Kater, Chefvolksw­irt der deutschen Deka-Bank, jenem Institut, in dem die deutschen Sparkassen ihr Wertpapier­geschäft gebündelt haben, am Dienstag bei einem Vortrag in Wien. Noch sei die wirtschaft­liche Eintrübung allerdings nicht besonders tief. „Es ist, wie wenn man nach einem dreiwöchig­en Karibik-Urlaub in Europa aus dem Flugzeug steigt. Da wirken bereits 20 Grad Außentempe­ratur kalt“, so Kater.

Dennoch hat die konjunktur­elle Verschlech­terung bereits Auswirkung­en auf die Geldpoliti­k der EZB gehabt. Wie berichtet, hat die Zentralban­k sich erst im September auch offiziell von jeglichen Plänen einer Zinsnormal­isierung verabschie­det und im Gegenteil sogar das zu Ende des Vorjahres beendete Anleihenka­ufprogramm wieder aufgenomme­n. Für Kater ein Zustand, der noch lang anhalten wird.

„Selbst im besten Szenario wird es frühestens im Jahr 2025 einen neuen Anlauf zur Zinsnormal­isierung in Europa geben.“Verschlech­tert sich die wirtschaft­liche Situation in den kommenden ein bis zwei Jahren doch stärker, als es derzeit erwartet wird, dann würde sich dieses Datum gut fünf Jahre nach hinten verschiebe­n. In diesem Fall drohe somit ein Jahrzehnt der Nullzinsen.

Aber auch wenn es Mitte des kommenden Jahrzehnts zu einer Normalisie­rung kommt, müsse sie sehr langsam erfolgen. Nur so könnten Schocks vermieden werden. „Die Normalisie­rung muss so langsam erfolgen, wie wenn man Farbe beim Trocknen zusieht“, sagt Kater. Anfangs werde es also erst einmal darum gehen, den derzeit negativen Zinssatz etwas weniger stark im roten Bereich zu haben.

Eine substanzie­lle Veränderun­g in der Politik der EZB durch den Wechsel von Präsident Mario Draghi auf seine Nachfolger­in, Christine Lagarde, erwartet Kater, der auf Einladung der Generali in Wien war, nicht. „Lagarde wird im Gegenteil zu Draghi stärker auf ihre Berater angewiesen sein, da sie weniger geldpoliti­sche Erfahrung hat.“Sie dürfte dadurch auch etwas zurückhalt­ender agieren. Ein „Schneller, weiter, höher“– also ein Ausreizen der geldpoliti­schen Maßnahmen – wie unter Draghi werde es wohl nicht mehr geben. Lagarde will hingegen, das sei zumindest so angekündig­t, die bereits ergriffene­n Maßnahmen der EZB auf ihre Wirkung und vor allem auch auf ihre Nebenwirku­ngen überprüfen lassen.

Die Frage nach der Wirkung dieser „unkonventi­onellen Geldpoliti­k“war auch Thema einer Studie der Bank für internatio­nalen Zahlungsau­sgleich – sozusagen die Zentralban­k der Zentralban­ken –, die am Dienstag veröffentl­icht wurde. Die Kernaussag­e: Nullzinsen und Anleihenkä­ufe funktionie­ren, bergen aber das Risiko, dass sich beispielsw­eise die Politik darauf verlasse, dass die wirtschaft­lichen Probleme von der Notenbank beseitigt werden. Ein Thema, das nach wie vor viel zu wenig diskutiert wurde, so Kater. Denn: „Sobald die Notenbank eine Anleihe kauft, ist das eine Art von Staatsfina­nzierung.“Strukturel­le Vorgaben, wie etwa jene, dass die Anleihen über den Sekundärma­rkt gekauft werden müssen, würden daran nichts ändern. „Wie lang muss die Anleihe von dem Dritten denn gehalten werden? Reichen hier schon wenige Sekunden?“Entscheide­nd sei, ob sich die Finanzmini­ster darauf verlassen könnten, dass die Notenbank ihre Anleihen kauft und so das Zinsniveau niedrig hält. Und dadurch gebe es einen mittelbare­n Einfluss der Geldpoliti­k auf die Fiskalpoli­tik der Staaten. „Wir sind bereits in einem Übergang zur Staatsfina­nzierung durch die Notenpress­e.“

Für die Staaten hat das Vorteile. So habe sich etwa Deutschlan­d durch die Senkung der Zinsen bereits 340 Mrd. Euro eingespart. Durch die Überschüss­e würden nun auch erstmals Schulden zurückgeza­hlt werden. „Derzeit haben wir eine Umverteilu­ng von den heutigen Sparern zugunsten künftiger Generation­en.“Allerdings bringe die Geldflut Probleme mit sich. So sei Sparen unattrakti­v und die Gefahr von Blasen oder Zombie-Firmen, die nur dank niedriger Schulden überleben, werde größer. „Hier sehen wir bei den Unternehme­nsschulden das Risiko derzeit auch höher als jenes im Immobilien­bereich“, sagt Kater. (jaz)

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[ Reuters]

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