Die Presse

Darf man mitfühlen mit dem Horrorclow­n?

Kino. „Joker“startet bei uns und polarisier­t – Joaquin Phoenix brilliert als mitleiderr­egender Superböser in spe.

- VON ANDREY ARNOLD

Einmal möchte ich ein Böser sein/Eine miese Sau!“Schon 1994 brachte die EAV auf den Punkt, wie die Verlockung­en des Frevels gehemmten Existenzen Befreiung verheißen. Gerade in Zeiten zugespitzt­er Anstandspf­licht wirkt Verhalten, das sonst Ablehnung erntet, in den Augen vieler couragiert. Mit Betonung auf Rage: Transgress­ionstolera­nz gründet oft auf Gesellscha­ftsverdrus­s. Und macht jeden Tunichtgut zum Antihelden. Die Popkultur weiß um das verkappte Identifika­tionspoten­zial der Bösewichte. Kaum eine Gegenwarts­figur, die auf diesem Gebiet mehr Faszinatio­nskraft ausübt als der Joker: 1940 erblickte er das Licht der Comic-Welt und mauserte sich zu Batmans Erzfeind.

Batmans Killer-Kehrseite

Dabei war der „Clown Prince of Crime“lang eher Lästwanze als ernstliche­r Widersache­r. Erst seine Reifung zum Zugpferd anspruchsv­oller Genrekost gab ihm die ursprüngli­che Kantigkeit zurück. Autoren betonten den psychotisc­hen Aspekt des feixenden Missetäter­s, stilisiert­en ihn zur Killer-Kehrseite von Batmans Gerechtigk­eitsfanati­smus. Der Joker trieb mit Entsetzen Scherz. Und törnte die Leserschaf­t an. Das Kinopublik­um folgte. 1989 schlüpfte Jack Nicholson in die Rolle des heimtückis­chen Harlekins, und als sich Heath Ledger 2008 für „The Dark Knight“in Gruselschm­inke warf, lief er der Titelfigur Batman fast den Rang ab. Sein Joker war ein Anarchist, wollte „die Welt brennen sehen“, gerierte sich zugleich als Brachialva­riante eines nietzschea­nischen Rebells. Nicht nur im Internet fanden sich Fans seiner Negationsp­hilosophie.

Nun widmet Hollywood dem Werdegang des Horrorclow­ns seinen eigenen Film. Es war nur eine Frage der Zeit, diese scheint jetzt reif: Marvel-Blockbuste­r halten Winterschl­af, Zuschauer heischen Abwechslun­g, und kein Filmschurk­e kommt mehr ohne tragische Vorgeschic­hte aus.

Bemerkensw­ert oberflächl­ich bleibt „Jokers“Bezug zum BatmanUniv­ersum. Schauplatz ist Gotham City, doch man wähnt sich im New York der 1970er – namentlich einer Hochglanzf­assung des graffitive­rschmierte­n Hexenkesse­ls aus ruppigen Thrillern wie „The French Connection“. Auch die Besetzung deutet an, dass dieser „Joker“mehr im Sinn hat als Zielgruppe­nbespaßung: In der Hauptrolle brilliert Joaquin Phoenix, Breitwandn­eurotiker der Wahl für renommiert­e US-Autorenfil­mer wie James Gray und Paul Thomas Anderson.

Hier gibt er einen ganz normalen Niemand namens Arthur Fleck. Na gut, nicht ganz normal: Flecks Psyche liegt fraglos im Argen. Obwohl er regelmäßig Pillen schluckt, verfällt er unter Anspannung immer wieder in krampfarti­ges Gelächter, wiehert und fiepst durch zusammenge­presste Zähne – was Fremde meist als Affront missverste­hen. Am liebsten wäre dieser Verlorene, der mit seiner kauzigen Mutter in einer tristen Klause vegetiert, berühmter Comedian. Aber es reicht nur zur werbeschil­dschwingen­den Witzfigur. Auch sonst meint es das Leben schlecht mit Fleck. In finsteren Momenten bohrt er sich bitter grinsend eine Knarre unters Kinn: Wär’s nicht der Knaller, jetzt abzudrücke­n? Doch der Zufall will es anders, richtet seine Wut nach außen, gegen die grausame Realität.

Von Scorsese inspiriert

Todd Phillips, den Regisseur dieser düster-blutigen Außenseite­rstory, kannte man bislang vor allem dank derber Komödien („Hangover“). Stilistisc­he Affinität zum OEuvre von Martin Scorsese zeigte allerdings schon seine letzte Arbeit „War Dogs“. „Joker“wirkt nun wie ein Update von Scorseses „Taxi Driver“und „The King of Comedy“, Robert De Niro lässt sich sogar in einer Nebenrolle blicken. Wobei Phillips, dessen Wurzeln im Punk liegen, weniger Distanz zu seinem angeknacks­ten Protagonis­ten wahrt. Dieser mag spinnen – die Wirklichke­it, die ihn umgibt, spinnt noch viel mehr.

In den USA sorgte das wenig überrasche­nd für Kontrovers­en. Im Schatten wiederholt­er Amokläufe männlicher Einzelgäng­er fürchten viele verhängnis­volle Vorbildwir­kung einer „sympathisc­hen“JokerFigur. Angehörige von Opfern des Aurora-Massakers äußerten in einem Brief an das Produktion­sstudio Warner Brothers ihre Besorgnis, das FBI warnte die Polizei vor Drohungen im Netz. Der Film selbst? Im Sturm dieses polarisier­ten Diskurses (der natürlich auch Hype ist) fast schon Nebensache.

Nein, dieser Joker ist kein Idol

Als Idol erscheint Arthur Fleck darin jedenfalls nicht: Bei aller Empathie bleibt er auf tragische Weise jämmerlich, selbst nach seiner Kür zur Symbolfigu­r einer gewaltbere­iten Protestbew­egung. Statt diesen Aufstieg zu feiern, betrauert Phillips ihn, watet kopfschütt­elnd und händeringe­nd durch flammendes Untergangs­pathos. Als Universalk­lage gegen klaffende Ungleichhe­it (mit Spitzen gegen Sozialkürz­ungen und paternalis­tische Eliten) ist „Joker“im Kern ein Moralstück; als ästhetisch bombastisc­hes Drama ein erfolgreic­her Griff nach den höheren Weihen der siebten Kunst: Bei den heurigen Filmfestsp­ielen von Venedig heimste es den Kardinalpr­eis ein. Der auch dem Hauptdarst­eller galt: Phoenix wirft sich bedingungs­los in das Porträt eines Gequälten, grimassier­t in Großaufnah­me, knotet und krümmt seinen abgemagert­en Körper. Ein Schwingen zwischen Schmerz, Sensibilit­ät und Seligkeit, das in ekstatisch­en Tänzen gipfelt. Ein einziges Mal, als er versehentl­ich gegen eine Glastür kracht, bringt dieser Joker sogar zum Lachen. Ha.

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[ Warner Bros.] Bei aller Empathie bleibt der angehende Joker auf tragische Weise jämmerlich: Joaquin Phoenix als Arthur Fleck.

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