Wie Putin das Vakuum füllt
Analyse. Beim ersten Besuch der Golfregion seit zwölf Jahren bietet sich der Kreml als Handelspartner an und lotet Gemeinsamkeiten aus. Hier wie in Syrien nutzt Putin geschickt frei gewordenen Handlungsspielraum.
Wladimir Putins erste Visite der Golfstaaten seit zwölf Jahren war lang geplant. Und doch wirkt sie wie perfektes Timing angesichts der neueren Entwicklungen im Nahen Osten: In diesen Tagen, in denen der Kreml in Syrien das Finale des Krieges entscheidend bestimmt, besuchte der russische Staatschef Saudiarabien und die Vereinigten Arabischen Emirate. Dem saudischen König schenkte Putin als Zeichen seiner Ehrerbietung einen weiblichen Kamtschatka-Falken namens Alfa. Gestern reiste er weiter nach Abu Dhabi, wo er Kronprinz Mohammed bin Zayed al-Nahyan traf. Einen „großen Freund Russlands“nannte ihn Putin, bei dessen Ankunft sieben Kampfjets die Farben der russischen Fahne in den Himmel malten.
Begleitet wurde Putin auf seiner Visite unter anderem vom tschetschenischen Machthaber Ramsan Kadyrow. Der sich als gläubiger Muslim in Szene setzende Kadyrow ist für seine ausgezeichneten persönlichen Kontakte in die Golfregion bekannt.
Das „neue Niveau der Beziehungen“mit den Golfstaaten lobte auch Außenminister Sergej Lawrow. Moskau verstärkt seine Bande und setzt auf gemeinsame Interessengebiete: Besonders wichtig ist die Koordination in der Ölförderung im Rahmen des Formats Opec+, einer um Russland und andere Nicht-Opec-Staaten erweiterten Runde. Künftig will man die wirtschaftliche Zusammenarbeit auch in anderen Bereichen verstärken. Im Gespräch mit den Emiraten wiederum betonte der Kreml Handel und Tourismus. Potenzielle Streitthemen wie die Haltung der Golfmonarchien gegenüber dem Iran oder das Vorgehen Riads im Jemen bespricht man hingegen nur hinter verschlossenen Türen. Hier lockt die Scheichs das russische Mantra von Kooperation und Dialog auf Augenhöhe.
Moskau als neuer verlässlicher Partner
Moskau ist kein Freund der abschätzig als „Twitter-Politik“bezeichneten plakativen Äußerungen, wie man sie aus Washington von Donald Trump kennt. Im Nahen Osten setzt Russland auf seinen Ruf als verlässlicher Partner – und verstärkt unter den aktuellen Bedingungen seinen Einfluss. Anders als in seinen Beziehungen zum Westen und den unmittelbaren Nachbarn, wo Putin mitunter weniger rational als emotional verfährt, verfolgt Moskau im Nahen Osten eine klar interessengeleitete und grundsätzlich kohärente Außenpolitik. Kurz gesagt: Die Partner wissen, was sie (nicht) bekommen, wenn sie sich mit Moskau einlassen. Bestes Beispiel ist Bashar al-Assad, der seit Jahren von der Schützenhilfe des Kreml profitiert.
In Syrien lautete das russische Ziel stets, die Kontrolle Damaskus’ über das gesamte Land wiederherzustellen. Mit dem militärischen Vakuum, das die USA durch ihren Abzug aus dem Kurdengebiet hinterlassen, scheint das nun auch in Nordostsyrien möglich. Einen direkten Zusammenstoß von türkischen und syrischen Truppen will Moskau vermeiden. Türken, Kurden und Syrer sollen an den Verhandlungstisch kommen.
In Syrien sieht sich der Kreml als Architekt der Nachkriegsordnung, die ohne die Vereinigten Staaten gestaltet wird
und da lautet: Nach dem Krieg ist vor dem Krieg.
Den persönlichen Ambitionen des türkischen Staatschefs, Recep Tayyip Erdogan,˘ steht man kritisch gegenüber. Am Dienstag rügten offizielle Stimmen aus Moskau Erdogan˘ für seinen „inakzeptablen“und mit Russland nicht abgesprochenen Einsatz. Moskau ist zudem besorgt, dass im Chaos noch mehr Anhänger des IS flüchten könnten. Erdogans˘ Offensive zeigt ihn einmal mehr als unberechenbaren Partner, der sich nicht an die ihm zugedachte Juniorrolle in der russisch-türkischen Allianz hält. Einzig die neuen US-Sanktionen gegen Ankara kommen wie gerufen: Moskau betrachtet diese als illegitime Maßnahmen. Putin und Erdogan˘ besiegeln ihre Freundschaft zudem mit einem Waffendeal, der Moskau nicht nur Geld einbringt, sondern – quasi als Goodie – die Nato-Partner der Türkei verärgert.
Auch anderswo im Nahen Osten zählt die russische Mitsprache immer mehr. Zu Ägypten etwa unterhält man enge Kontakte. Und zum Iran sowieso: Als Architekt des internationalen Atomabkommens hat Moskau Teheran mehrmals vor Kritik in Schutz genommen; in der aktuellen Serie von Angriffen auf Ölinfrastruktur ist es um Deeskalation bemüht. Die politische Allianz mit dem iranischen Regime hat freilich auch Grenzen.
Libyen als nächstes Testgelände?
Moskaus nächstes außenpolitisches Testgelände in der weiteren Region könnte Libyen sein. Bekanntlich unterstützt man dort – gemeinsam mit Kairo – General Chalifa Haftar. Dafür winken mittelfristig wirtschaftliche Vorteile. Doch auch hier scheint das Engagement über die unmittelbaren ökonomischen Interessen hinauszugehen: Selbst wenn der nächste starke Mann nicht Haftar heißt, könnte Moskau die Zukunft des Landes entscheidend beeinflussen – und damit seine eigene Stellung in der Weltpolitik stärken. Wie es das einst in Syrien vorgemacht hat.