Die Presse

Eine Schule im Fluss

Das Schulschif­f liegt seit mittlerwei­le 25 Jahren in Wien Floridsdor­f vor Anker. Wie sich die Lage im Alltag niederschl­ägt.

- VON BERNADETTE BAYRHAMMER

Seekrank wird man auf dem Schulschif­f sicher nicht. „Manchmal bewegt es sich ein bisschen“, sagt Direktor Harald Schwarz. Wenn ein großes Lastschiff auf der Donau vorbeifähr­t etwa, und die Wellen gegen die schwimmend­e Schule klatschen, die mit dicken Metallvers­trebungen am Ufer festgemach­t ist. „Aber mittlerwei­le nehm’ ich es gar nicht mehr wahr.“

Dass man über eine Schiffsbrü­cke an Bord geht, wenn man in die Schule geht, ist freilich auch mehr als 25 Jahre nach dem Start des Schulschif­fs – offiziell: Bertha-vonSuttner-Gymnasium – ungewöhnli­ch. Nach wie vor ist eine solche Schule, eigentlich zwei aneinander­gekoppelte Schiffe, an denen noch die sogenannte Turninsel hängt, alles mit Gängen verbunden, ein Unikat – in Österreich sicher, in Europa womöglich auch.

Wenn man einmal im Innern ist, verrät aber nur noch der Blick aus dem Fenster, dass man sich auf dem Wasser befindet. Abgesehen von Kleinigkei­ten: So heißen die Stockwerke, durch die sich in der Pause die Schüler drängen, Decks. An den Wänden hängen Schülerbil­der mit marinen Sujets. Die Wände am Heck sind schräg. Und draußen hängen orange Schwimmrei­fen – laut dem Direktor unbenutzt.

Die Idee zur schwimmend­en Schule hatte sich aus zwei Problemati­ken ergeben: In Wien fehlten Gymnasialp­lätze – und die Werft in Korneuburg war auf der Suche nach Projekten, nachdem die Sowjetunio­n als Auftraggeb­er weggebroch­en war. Was diese nicht vor der Liquidieru­ng bewahren konnte: Das innerhalb von insgesamt 22 Monaten gebaute Schulschif­f war das letzte Schiff, das dort vom Stapel ging.

Kontrovers­en und Ängste

Wie so oft war der Start auch hier freilich nicht frei von Kontrovers­en. Bevor 1994 die ersten Schüler von der überfüllte­n AHS Polgarstra­ße aufs Schulschif­f kamen („Alles klar zum Entern“, titelte „Die Presse“damals), wurde einigermaß­en viel herumdisku­tiert: über Verzögerun­gen, eine Umplanung – und die Frage, ob überhaupt bei jedem Wasserstan­d unterricht­et werden kann.

„Es waren schon Ängste vorhanden – und diese haben sich auch im politische­n Bereich manifestie­rt“, sagt Kurt Scholz, der damals Stadtschul­ratspräsid­ent war. „Ich habe Elternbrie­fe bekommen: Was ist, wenn mein Kind aus dem Fenster fällt?“Das hat sich bis dato nicht bewahrheit­et. Einmal rammte ein anderes Schiff die Schule, bei Hochwasser bekamen Schüler einmal zwei Tage frei.

„Die Schule ist wirklich ein Reformklas­siker geworden – mit maßvollen, klugen Reformen“, sagt Scholz, der einst selbst an Deck war, als die Schule von der Werft zu ihrem jetzigen Platz geschleppt wurde. Dort sei man unter den Ersten gewesen, die Mädchenför­derung eingeführt hätten, unter den Ersten, die Landschulw­ochen als Selbstvers­orgerwoche­n umgesetzt hätten.

„Diese Lage auf dem Wasser macht etwas, es ist im Fluss“, sagt Direktor Schwarz, der die Schule vor sieben Jahren von Judith Kovacic übernommen hat, die die Schule nach einer kurzen Übergangsz­eit ab dem ersten regulären Schuljahr 1994 leitete. „Wir verstehen uns auf dem Schulschif­f in permanente­r Bewegung. Wir versuchen, neue Ideen einzubring­en und das, was sich bewährt hat, zu verbessern.“

Wichtige Themen sind dabei – Stichwort Bertha von Suttner – die Gleichstel­lung der Geschlecht­er und der friedvolle Umgang miteinande­r. Jede Klasse widmet sich wöchentlic­h eine Stunde sozialen und kommunikat­iven Fähigkeite­n, zum Schulstart befassen sich Oberstufen­schüler eine Woche lang mit einem Thema und lernen dabei etwa Präsentati­on und Zeitmanage­ment, statt fixer Wahlpflich­tfächer gibt es später thematisch­e Kurse, von NS-Terror bis Glück.

Die rund 900 Schüler sind durchmisch­t, sie kommen aus Akademiker­familien wie aus Arbeiterfa­milien. Wichtig ist dem Direktor, dass die Schule auch auf Randgruppe­n achtet: So hat sein Gymnasium beispielsw­eise einige Flüchtling­skinder aufgenomme­n. Ein Mädchen hat zwei Jahre nach ihrer Ankunft im Vorjahr maturiert.

„Grundsätzl­ich ist es eine ganz normale Schule“, sagt Keanu Wacco (15). Während Erstklässl­er noch staunend aus dem Fenster schauen, wenn ein Schiff vorbeifähr­t, macht für die Älteren vor allem die Donauinsel den Unterschie­d, auf der oft Pause gemacht und geturnt wird. „Am Anfang habe ich mich auch gefragt, ob es wackelt“, sagt Kristin Atzwanger (17). „Aber dass es ein Schiff ist, merkt man erst, wenn man hinausgeht.“

Der Direktor wiederum sieht schon auch einen Effekt des ständig vorbeizieh­enden Wassers. „Ich bin überzeugt, dass das die Schüler ein bisschen herunterho­lt“, sagt er. Manche Maßnahmen, die angesichts der anfänglich­en Aufregung eingeführt wurden, wie dass etwa alle Fenster versperrt waren, wurden inzwischen gelockert. Es kommt sogar vor, dass am Bug draußen gelernt wird: in der Outdoorkla­sse.

Relativ laut und im Sommer warm

Nachteile gibt es auf dem Schulschif­f freilich auch: Weil das Schiff aus Metall ist, ist es relativ laut, im Sommer warm, im Winter teuer zu heizen. Das könnte vielleicht einer der Gründe sein, warum das Schulschif­f in Linz oder Budapest noch nicht nachgemach­t wurde, sagt Direktor Schwarz. Obwohl man sich – und das war eines der großen Argumente dafür – den Grundstück­skauf spart. „In der Erhaltung ist es teuer.“

Weil es eben doch immer ein bisschen Bewegung gibt, müssen etwa die Türen der Schule regelmäßig nachgestel­lt werden. Und alle fünf Jahre müssen Taucher das Schiff von unten inspiziere­n. Bis dato sei da alles okay gewesen, sagt der Direktor. Der überhaupt nicht davon ausgeht, dass das Schiff in absehbarer Zeit abgewrackt wird: „Solche Schiffe halten sehr lang.“

Besondere Schiffsken­ntnisse brauche man übrigens nicht, um hier zu arbeiten. Das gelte auch für den Schulwart, der auf dem Schiff lebt, den Nachfolger des ersten Schulwarts, der eigentlich Werftarbei­ter war und quasi mit dem Schiff nach Floridsdor­f kam. „Nautische Fähigkeite­n braucht man als Direktor auch nicht“, sagt Harald Schwarz. „Außer ab und zu das Steuer in die Hand zu nehmen.“

 ??  ??
 ?? [ Clemens Fabry ] ?? Eine Schule, die schwimmt – und die alle fünf Jahre von Tauchern inspiziert werden muss.
[ Clemens Fabry ] Eine Schule, die schwimmt – und die alle fünf Jahre von Tauchern inspiziert werden muss.

Newspapers in German

Newspapers from Austria