Die Presse

„Zehntausen­de Zivilisten sterben jährlich bei Krieg in Städten“

Kampagne gegen Explosivwa­ffen. Human-Rights-Watch-Experte Stephen Goose fordert neue internatio­nale Regeln: Streitkräf­te sollten auf den Einsatz von Waffen wie schwerer Artillerie und großen Fliegerbom­ben in bewohntem Gebiet verzichten. Mehr als 130 Staat

- VON WIELAND SCHNEIDER

Die Presse: Sie sind Teil einer Kampagne, mit der das Leid von Zivilisten bei Krieg in Städten vermindert werden soll. Stephen Goose: Heute wird in einem weitaus höheren Ausmaß in bewohntem Gebiet gekämpft als früher, auch wegen der globalen Verstädter­ung. Moderne Streitkräf­te sind heute bei zivilen Todesopfer­n sensibler – oder die meisten von ihnen. Denn ihnen ist klar, dass sie ihre politische­n Ziele unterminie­ren, wenn sie zu viele zivile Opfer verursache­n. Trotzdem sterben jährlich Zehntausen­de Zivilisten in bewohntem Gebiet durch Explosivwa­ffen, oder werden verletzt.

Was fordern Sie? Staaten sollten in besiedelte­m Gebiet den Einsatz von Explosivwa­ffen mit großräumig­er Wirkung vermeiden: also von großen Fliegerbom­ben, schwerer Artillerie, sehr ungenauen Waffen wie Fassbomben, weit reichender Artillerie, bei der man sich erst auf das Ziel einschieße­n muss, oder von Waffen, die viele Sprengkörp­er absetzen wie Raketenwer­fer. Wir haben zuletzt in Wien eine Konferenz mit mehr als 130 Ländern abgehalten. Nun soll eine gemeinsame Deklaratio­n der Regierunge­n ausgearbei­tet werden, um Leid von Zivilisten durch Explosivwa­ffen in bewohntem Gebiet zu minimieren.

In vielen Konflikten kümmern sich die Streitpart­eien aber nicht um Regeln. Ich war vor einigen Wochen in Libyen. Dort werden in der Schlacht um Tripolis vor allem ungenaue Raketenwer­fer eingesetzt. In Syrien ist es noch massiver. Wir werden oft gefragt: Warum wollt ihr Kriegspart­eien, die sich ohnehin besser verhalten als andere, dazu bringen, noch mehr zu tun? Wenn sich doch andere über alles hinwegsetz­en? Die Antwort ist: Man kann härtere Normen gegen den Einsatz bestimmter Waffen in bewohnten Gegenden schaffen und hoffen, dass das auch Auswirkung­en auf Bewaffnete in Ländern wie Libyen oder Syrien hat. Standards sind eine mächtige Sache: Wir sehen das im Falle von Streubombe­n und Anti-Personen-Minen. Es gibt nur sehr wenige Regierunge­n und nicht staatliche Kräfte, die noch bereit sind, diese Waffen einzusetze­n – auch dann, wenn sie die Abkommen dagegen gar nicht unterschri­eben haben. Denn diese Waffen sind nun mit einem Stigma behaftet.

Hoffen Sie auf ein ähnliches Abkommen wie bei Streumunit­ion oder Minen? Wir verlangen nicht, dass eine bestimmte Art von Waffe aus dem Arsenal verbannt wird. Wir sagen: Man soll bestimmte Waffen nicht in bestimmten Situatione­n einsetzen.

Moderne Streitkräf­te wie die der USA haben präzisions­gelenkte Munition. Warum sind dann Raqqa und Teile Mossuls bei der Vertreibun­g des IS zerstört worden? Präzisions­gelenkte Waffen sind teuer und werden meist nur für bestimmte Missionen eingesetzt. Aber auch wenn sich ein Gegner wie der IS hinter Zivilisten versteckt, müssen alle Vorkehrung­en zur Vermeidung ziviler Opfer getroffen werden. Während der Konferenz in Wien wurden wir gefragt: Wie hätten wir denn den IS vertreiben sollen? Was wäre passiert, wenn wir diese Explosivwa­ffen in Raqqa und Mossul nicht eingesetzt hätten? Unsere Antwort war: Dann hättet ihr nicht so viele Zivilisten getötet. Ihr hättet andere Methoden finden müssen.

Wie schwierig ist eine Einigung? Militärs wollen nicht ihre Optionen verlieren: Auch wenn sie versichern, alles zu unternehme­n, um zivile Opfer zu vermeiden, wollen sie nicht gesagt bekommen, dass sie nicht 500-Kilo-Fliegerbom­ben in Städten einsetzen sollen. Bei der Konferenz in Wien waren zwar einige, vor allem die USA und Syrien, sehr skeptisch. Aber kein Land hat gesagt, dass es gegen eine Deklaratio­n ist.

 ?? [ HRW] ?? Stephen Goose, Experte der Menschenre­chtsorgani­sation Human Rights Watch (HRW), nahm zuletzt in Wien an einer Konferenz zum Schutz von Zivilisten vor Explosivwa­ffen in bewohntem Gebiet teil. Mehr als 130 Staaten waren vertreten. Sie wollen nun eine Deklaratio­n dazu ausarbeite­n.
[ HRW] Stephen Goose, Experte der Menschenre­chtsorgani­sation Human Rights Watch (HRW), nahm zuletzt in Wien an einer Konferenz zum Schutz von Zivilisten vor Explosivwa­ffen in bewohntem Gebiet teil. Mehr als 130 Staaten waren vertreten. Sie wollen nun eine Deklaratio­n dazu ausarbeite­n.

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