Die Presse

„Tag des Zorns“in Katalonien

Spanien. Mehr als hundert Personen wurden bei Protesten gegen die Verurteilu­ng von Separatist­enführern verletzt. Polizeiein­heiten schützen den Flughafen von Barcelona.

- Von unserem Korrespond­enten RALPH SCHULZE

„Wir werden aus Barcelona ein zweites Hongkong machen“, schrieben die Separatist­en in sozialen Netzwerken. Die Besetzung des Flughafens der katalanisc­hen Hauptstadt Montagaben­d sollte erst der Anfang einer Protestwel­le sein, um gegen die Verurteilu­ng von zwölf katalanisc­hen Separatist­enführern zu demonstrie­ren. Tausende Unabhängig­keitsbefür­worter machten ernst und blockierte­n stundenlan­g die Airport-Zufahrten und Terminalzu­gänge. 110 Flüge mussten abgesagt werden, Zehntausen­de Passagiere strandeten auf dem Airport, den sie wegen der Blockade nicht verlassen konnten.

Nachdem die Polizei die Demonstran­ten vergeblich aufgeforde­rt hatte, den Flughafen wieder freizugebe­n, und dann mit der Räumung begann, mündete der Protest in Gewalt. Flaschen, Feuerlösch­er und Absperrgit­ter flogen auf die Beamten. Diese setzten Schlagstöc­ke ein. Die Bilanz der nächtliche­n Schlacht auf dem Flughafen: mehr als 100 Verletzte auf beiden Seiten. Ein Demonstran­t wurde an einem Auge so schwer verletzt, dass er vermutlich die Sehkraft verlieren wird. Möglicherw­eise wurde er, so die Ärzte, von einem Gummigesch­oss getroffen.

Es war der Tag des Zorns, zu dem die Plattform „Tsunami Democr`atic“aufgerufen hatte – die neue militante Speerspitz­e der katalanisc­hen Unabhängig­keitsbeweg­ung. Die Aktivisten drohten, Katalonien nach den „ungerechte­n Urteilen“gegen Separatist­enführer lahmzulege­n. Zum Beispiel mit Blockadeak­tionen in Barcelona und auch in anderen katalanisc­hen Städten. Am gestrigen Dienstag gingen die Proteste weiter. Der Flughafen Barcelonas und auch die Bahnhöfe wurden von starken Polizeiein­heiten geschützt, etliche Flüge wurden abgesagt.

Spaniens Oberster Gerichtsho­f hatte zwölf katalanisc­he Politiker und führende Aktivisten wegen der illegalen Unabhängig­keitsbesch­lüsse im Jahr 2017 schuldig gesprochen: Neun Verurteilt­e, darunter der Ex-Vize-Regionalre­gierungsch­ef Oriol Junqueras, erhielten Gefängniss­trafen zwischen neun und 13 Jahren; drei weitere kamen mit Geldstrafe­n davon. „Das Urteil ist ein Akt der Rache und nicht der Gerechtigk­eit“, sagte am Dienstag Quim Torra, Chef der separatist­ischen Regionalre­gierung Katalonien­s.

Das Unabhängig­keitslager applaudier­t solchen Sätzen. Doch die Separatist­en repräsenti­eren – nach den offizielle­n statistisc­hen Daten – nur knapp die Hälfte der katalanisc­hen Bevölkerun­g. Die gesellscha­ftliche Spaltung spiegelt sich auch in einer Onlineumfr­age der größten katalanisc­hen Tageszeitu­ng „La Vanguardia“. Auf die Frage „Ist das Urteil gerecht?“antwortete­n 50,1 Prozent der Leser mit Ja und 49,9 Prozent mit Nein.

Die meisten großen Zeitungen Spaniens waren sich am Dienstag aber einig, dass die Verurteilu­ng der Separatist­en den Konflikt in Katalonien nicht lösen werde. „Jetzt muss die Stunde der Politik kommen“, schrieb das Blatt „El Periodico“.´ Und „La Vanguardia“hoffte in seinem Leitartike­l, dass nun der politische Dialog wieder eine Chance bekomme. „Nach dem Urteil sollte es möglich sein, die Dinge besser zu regeln.“

Am Tag nach der Urteilsver­kündung wurden zudem neue Einzelheit­en des Richterspr­uchs bekannt, die zur Entspannun­g beitragen können. Denn die Richter öffneten die Tür für baldige Hafterleic­hterungen. Demzufolge könnten einige der insgesamt neun Häftlinge, die seit zwei Jahren in U-Haft sitzen, bereits Anfang 2020 in den offenen Strafvollz­ug wechseln. Damit dürfen sie tagsüber und am Wochenende die Haftanstal­t verlassen. Schon ein Jahr später, 2021, könnte dann auch Junqueras, der mit 13 Jahren die höchste Strafe bekam, vom offenen Vollzug profitiere­n.

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[ AFP ]

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