Südamerikas letzter „Revolutionär“klammert sich an die Macht
Bolivien. Präsident Evo Morales dürfte einem Referendum zufolge gar nicht mehr kandidieren. Er tritt am Sonntag aber trotzdem an.
In den Touristenshops im Zentrum von La Paz gibt es Ponchos, Pullover – und Postkarten mit dem Porträt des Präsidenten. „El Evo“ist nicht nur der dienstälteste Präsident der bolivianischen Geschichte, sondern längst auch eine Latino-Ikone. Sein Konterfei passt in eine revolutionäre Reihe mit jenen des „Che“Guevara, Fidel Castro und Hugo Chavez.´ Doch es gibt eine Differenz: Evo Morales ist noch am Leben und noch im Amt. Und daran soll sich auch in den nächsten fünf Jahren nichts ändern.
Seit 2006 regiert er das ärmste Land Südamerikas. Seine „Bewegung zum Sozialismus“kontrolliert längst sämtliche Regierungszweige. Und sollte er wieder in das kürzlich fertig gestellte Regierungshochhaus mit Whirlpool und Fitnessbereich einziehen, wäre das ein Beleg dafür, dass auch die Rechtssprechung nur noch dem Staatspräsidenten folgt.
Boliviens Verfassung, die auf Morales’ Bestreben 2009 neu geschrieben wurde, gestattet dem Präsidenten und dessen Stellvertreter maximal zwei Amtsperioden. Eine Zusatzklausel ermöglichte es, dass Morales’ erste Regierungszeit nicht gezählt wurde, weil sie ja vor der Gültigkeit des neuen Grundgesetzes lag. Die Periode, die nun endet ist daher schon die dritte. Doch weil der Präsident, der am 26. Oktober 60 Jahre alt wird, seinem Volk keinen anderen Führer zumuten möchte, tritt er nun wieder an, obwohl eine Volksabstimmung im Frühjahr 2016 knapp mit einem „no“ausgegangen war.
Anstatt das Ergebnis zu akzeptieren, legte Morales beim Höchstgericht Berufung ein und bekam im Vorjahr grünes Licht. Ein Verbot einer weiteren Kandidatur sei ein Verstoß gegen Morales’ Menschenrechte, urteilten die Richter.
„Das Volk hat Nein gesagt!“ist nun auch der Slogan auf den Veranstaltungen der Opposition, die in Umfragen vorne liegt. Allerdings sind die Regierungsgegner in mehrere Gruppen gespalten – und das hilft dem Präsidenten.
Dieser benötigt für einen Sieg mindestens 40 Prozent der Stimmen, wenn der Zweitplatzierte mehr als zehn Prozent zurückliegt. Die jüngste Umfrage, ausgeführt im Auftrag der regierungskritischen Tageszeitung „Pagina´ Siete“, sah Morales mit 33 Prozent in Führung, dahinter rangieren der sozialdemokratische Ex-Präsident Carlos Mesa mit 26 Prozent und der konservative Senator O´scar Ortiz aus dem östlichen Bundesstaat Santa Cruz mit neun Prozent. Entscheidend dürfte sein, ob Mesa am Sonntag eine Stichwahl erzwingen kann. Dort könnten sich Morales’ Gegner ebenso vereinen wie im Referendum von 2016.
Morales ist der letzte Überlebende des „roten Amerika“der Präsidenten Lula in Brasilien, Cha-´ vez in Venezuela, Correa in Ecuador und Kirchner in Argentinien. Chavez´ und Nestor´ Kirchner sind inzwischen verstorben, Lula sitzt, wegen Korruption zu fast 13 Jahren Haft verurteilt im Gefängnis, Correa droht das gleiche Schicksal, falls er aus seinem belgischen Exil in die Heimat zurückkehrt und Cristina Kirchner schützt ihre parlamentarische Immunität vor den fünf Haftbefehlen.
Dass Morales im Gegensatz zu seinen Compan˜eros vergleichsweise solide gewirtschaftet hat, zeigte sich in einem steten Wachstum. Um durchschnittlich 4,6 Prozent wuchs Boliviens Wirtschaft in jedem der 14 Amtsjahre. Befeuert wurde der Boom von Morales’ Verstaatlichung der Erdgasvorkommen sowie dem massiven Ausbau der Soja-Produktion im Tiefland von Santa Cruz.
Allerdings hat sich das Wachstum in letzter Zeit verlangsamt und die Staatsschulden steigen. Die Opposition zählt nun im Wahlkampf zahlreiche Korruptionsskandale auf und hinterfragt jene Dekrete, mit denen Morales Ende Juni die Brandrodung im Tiefland erlaubt hatte. Weil die Feuer im Grenzland zu Paraguay außer Kontrolle gerieten, verlor Bolivien allein im August mehr als sechs Millionen Hektar Wald und Savanne.
„El Evo“ist trotzdem guten Mutes, sagte er kürzlich spanischen Reportern, die ihn beim Wahlkampf begleiteten. In einem TVWerbespot schaut er direkt in die Kamera und erklärt: „Dem Land geht es gut. Aber wir brauchen noch fünf Jahre.“