EU-Erweiterung: Macron auf Egotour
Westbalkan. Gegen Beitrittsgespräche mit Nordmazedonien stemmt sich nur mehr Paris. Das liegt an Präsident Macrons innenpolitischen Sorgen und Frankreichs Gefühl des Machtverlusts.
„Ihr Land hat alles getan, was die EU von Ihnen erwartet hat“, versicherte EU-Ratspräsident Donald Tusk dem nordmazedonischen Regierungschef, Zoran Zaev, am Dienstag in Skopje. „Europa wird nur dann eine starke globale Macht sein, wenn wir die Arbeit vollenden, unseren eigenen Kontinent zu stabilisieren und Krieg bei uns unmöglich zu machen. Und um das zu tun, müssen wir die Balkanstaaten in die EU bringen“, sprach fast zeitgleich Federica Mogherini, die Hohe Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, in einer Rede an der Universität Oxford.
Doch die Entscheidung, ob Nordmazedonien den ersehnten Status als Beitrittskandidat erhält, fiel weder in London noch in Skopje, sondern im kahlen Konferenzbunker des Rats der EU in Luxemburg. Dort zerschmetterte Frankreichs Europaministerin, Amelie´ de Montchalin, am Dienstagnachmittag nach stundenlanger Diskussion mit ihren europäischen Kollegen die Hoffnung darauf, Skopje noch in diesem Monat grünes Licht zu geben. Der Kompromissvorschlag des finnischen Ratsvorsitzes, zuerst mit Nordmazedonien und erst später mit Albanien Beitrittsgespräche aufzunehmen, sei am französischen Veto gescheitert, sickerte es aus dem Verhandlungssaal (die Sitzung dauerte zu Redaktionsschluss der „Presse“noch an). SI HU
Folglich wandert dieser Streit, wie „Die Presse“in ihrer Dienstagsausgabe berichtete, auf die Tagesordnung des Europäischen Rats am Donnerstag und Freitag. Doch es ist unwahrscheinlich, dass sich Präsident Emmanuel Macron auf diesem Brüsseler Gipfel wird umstimmen lassen. Denn erstens stehen zu viele andere, unmittelbar wichtigere Fragen auf dem Tapet, allen voran jene des Brexit.
Und zweitens haben die jüngsten europapolitischen Geschehnisse die Ablehnung des ansonsten so wortgewaltig vom europäischen Geist schwärmenden Macron gegenüber der Erweiterung verstärkt. Vorigen Donnerstag lehnte das Europaparlament Sylvie Goulard ab, Macrons Wunschkandidatin für die Europäische Kommission. Sein Wunsch nach einem neuen milliardenschweren separaten Budget für die Eurozone – idealerweise gar mit eigenem Finanzminister – wurde auf ein winziges, einzig für Reformzwecke gewidmetes Geldtöpfchen eingedampft. Seine einstmalige Europaministerin, Nathalie Loiseau, die er schon als Fraktionschefin der Liberalen im Europaparlament gesehen hatte, wurde wenige Tage nach Annahme ihres Mandats durch eine gezielte Indiskretion gestoppt und fristet nun ein Dasein als gewöhnliche Abgeordnete. Wirkliche europapolitische Erfolge kann Macron nach mehr als der Hälfte seiner ersten Amtszeit nicht vorweisen. Und will er eine zweite gewinnen, muss er, so seine innenpolitische Einschätzung, vor allem in Fragen der Migration und Erweiterung – also allen Bereichen, die mit dem nicht europäischen Ausland zu tun haben – zumindest symbolische Härte zeigen.
Der dritte Faktor, welcher Frankreichs harte Haltung gegenüber jeglicher Erweiterung erklärt, liegt in der Zeitgeschichte. Die Europäische Integration war, wie nicht nur Timothy Snyder, der renommierte Historiker an der Universität Yale, herausgearbeitet hat, für Frankreich eine glänzende Gelegenheit, den eigenen jähen Abschied vom kolonialen Großmachtstatus (die Schmach der deutschen Invasion 1940 und zweier verheerender Kolonialkriege in Indochina und Algerien eingeschlossen) zu verarbeiten. Europa wurde sozusagen das erweiterte Betätigungsfeld französischer Machtambitionen: die Gemeinsame Agrarpolitik, ursprünglich nach Frankreichs Vorlieben gestaltet, ist bis heute milliardenteures Zeugnis davon.
Mit jeder Erweiterung nach dem Fall des Eisernen Vorhangs rückte der politische Schwerpunkt Europas jedoch weiter ostwärts: eine politische Kränkung, die noch immer weite Teile der französischen politischen und medialen Elite nicht verwunden haben.