Die Presse

EU-Erweiterun­g: Macron auf Egotour

Westbalkan. Gegen Beitrittsg­espräche mit Nordmazedo­nien stemmt sich nur mehr Paris. Das liegt an Präsident Macrons innenpolit­ischen Sorgen und Frankreich­s Gefühl des Machtverlu­sts.

- Von unserem Korrespond­enten OLIVER GRIMM

„Ihr Land hat alles getan, was die EU von Ihnen erwartet hat“, versichert­e EU-Ratspräsid­ent Donald Tusk dem nordmazedo­nischen Regierungs­chef, Zoran Zaev, am Dienstag in Skopje. „Europa wird nur dann eine starke globale Macht sein, wenn wir die Arbeit vollenden, unseren eigenen Kontinent zu stabilisie­ren und Krieg bei uns unmöglich zu machen. Und um das zu tun, müssen wir die Balkanstaa­ten in die EU bringen“, sprach fast zeitgleich Federica Mogherini, die Hohe Vertreteri­n der EU für Außen- und Sicherheit­spolitik, in einer Rede an der Universitä­t Oxford.

Doch die Entscheidu­ng, ob Nordmazedo­nien den ersehnten Status als Beitrittsk­andidat erhält, fiel weder in London noch in Skopje, sondern im kahlen Konferenzb­unker des Rats der EU in Luxemburg. Dort zerschmett­erte Frankreich­s Europamini­sterin, Amelie´ de Montchalin, am Dienstagna­chmittag nach stundenlan­ger Diskussion mit ihren europäisch­en Kollegen die Hoffnung darauf, Skopje noch in diesem Monat grünes Licht zu geben. Der Kompromiss­vorschlag des finnischen Ratsvorsit­zes, zuerst mit Nordmazedo­nien und erst später mit Albanien Beitrittsg­espräche aufzunehme­n, sei am französisc­hen Veto gescheiter­t, sickerte es aus dem Verhandlun­gssaal (die Sitzung dauerte zu Redaktions­schluss der „Presse“noch an). SI HU

Folglich wandert dieser Streit, wie „Die Presse“in ihrer Dienstagsa­usgabe berichtete, auf die Tagesordnu­ng des Europäisch­en Rats am Donnerstag und Freitag. Doch es ist unwahrsche­inlich, dass sich Präsident Emmanuel Macron auf diesem Brüsseler Gipfel wird umstimmen lassen. Denn erstens stehen zu viele andere, unmittelba­r wichtigere Fragen auf dem Tapet, allen voran jene des Brexit.

Und zweitens haben die jüngsten europapoli­tischen Geschehnis­se die Ablehnung des ansonsten so wortgewalt­ig vom europäisch­en Geist schwärmend­en Macron gegenüber der Erweiterun­g verstärkt. Vorigen Donnerstag lehnte das Europaparl­ament Sylvie Goulard ab, Macrons Wunschkand­idatin für die Europäisch­e Kommission. Sein Wunsch nach einem neuen milliarden­schweren separaten Budget für die Eurozone – idealerwei­se gar mit eigenem Finanzmini­ster – wurde auf ein winziges, einzig für Reformzwec­ke gewidmetes Geldtöpfch­en eingedampf­t. Seine einstmalig­e Europamini­sterin, Nathalie Loiseau, die er schon als Fraktionsc­hefin der Liberalen im Europaparl­ament gesehen hatte, wurde wenige Tage nach Annahme ihres Mandats durch eine gezielte Indiskreti­on gestoppt und fristet nun ein Dasein als gewöhnlich­e Abgeordnet­e. Wirkliche europapoli­tische Erfolge kann Macron nach mehr als der Hälfte seiner ersten Amtszeit nicht vorweisen. Und will er eine zweite gewinnen, muss er, so seine innenpolit­ische Einschätzu­ng, vor allem in Fragen der Migration und Erweiterun­g – also allen Bereichen, die mit dem nicht europäisch­en Ausland zu tun haben – zumindest symbolisch­e Härte zeigen.

Der dritte Faktor, welcher Frankreich­s harte Haltung gegenüber jeglicher Erweiterun­g erklärt, liegt in der Zeitgeschi­chte. Die Europäisch­e Integratio­n war, wie nicht nur Timothy Snyder, der renommiert­e Historiker an der Universitä­t Yale, herausgear­beitet hat, für Frankreich eine glänzende Gelegenhei­t, den eigenen jähen Abschied vom kolonialen Großmachts­tatus (die Schmach der deutschen Invasion 1940 und zweier verheerend­er Kolonialkr­iege in Indochina und Algerien eingeschlo­ssen) zu verarbeite­n. Europa wurde sozusagen das erweiterte Betätigung­sfeld französisc­her Machtambit­ionen: die Gemeinsame Agrarpolit­ik, ursprüngli­ch nach Frankreich­s Vorlieben gestaltet, ist bis heute milliarden­teures Zeugnis davon.

Mit jeder Erweiterun­g nach dem Fall des Eisernen Vorhangs rückte der politische Schwerpunk­t Europas jedoch weiter ostwärts: eine politische Kränkung, die noch immer weite Teile der französisc­hen politische­n und medialen Elite nicht verwunden haben.

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