Die Presse

EU wartet auf konkrete Lösungsvor­schläge der Briten

Brexit. Die Ideen von Premier Boris Johnson zur Lösung des nordirisch­en Backstop-Problems sind den Europäern zu unpräzise.

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Was wollen die Briten? Wie konsequent bleibt die EU? Und kann es überhaupt einen gemeinsame­n Nenner geben? Die bald dreieinhal­bjährige BrexitSaga war von Anfang an durch diese und andere Ungewisshe­iten gekennzeic­hnet. Und so ist es auch alles andere als überrasche­nd, dass die Gefechtsla­ge unübersich­tlicher wird, je näher der 31. Oktober rückt, das – mittlerwei­le dritte – Austrittsd­atum nach 29. März und 12. April dieses Jahres. Klar scheint momentan nur Folgendes zu sein: Die Vorschläge der britischen Verhandler zur Umgestaltu­ng des Austrittsv­ertrags stellen aus EU-Sicht eine Basis für Nachverhan­dlungen dar. Doch die britische Position hat sich (noch?) nicht den Bedingunge­n der Europäer angenähert.

Es sei „höchste Zeit, gute Absichten zu Paragrafen zu formen“, sagte Michel Barnier, der Brexit-Chefverhan­dler der EU, bei einem Treffen mit Vertretern der EU-27 am gestrigen Dienstag. Nach Ansicht der EU-Kommission, die die Verhandlun­gen mit London führt, sind die bisherigen Vorstellun­gen der Briten nicht präzise genug, um daraus einen Vertragste­xt zu stricken und den Staats- und Regierungs­chefs der EU bei ihrem Treffen am Donnerstag und Freitag vorzulegen. Sollte bis zur Sitzung der Brüsseler Behörde am Mittwoch kein juristisch wasserdich­ter Entwurf vorliegen, dürfte es beim EU-Gipfel keine Einigung geben. Er sei „skeptisch, dass man eine vollständi­ge Einigung bis morgen auf einen Rechtstext haben kann“, sagte ein deutscher Regierungs­vertreter am Dienstag.

Premier Boris Johnson müsste in Folge spätestens am Samstag um einen weiteren Brexit-Aufschub ansuchen. Was danach kommt, ist unklar. Dem Vernehmen nach sind die EU-27 jedenfalls zu einem Sondergipf­el kommende Woche bereit, falls es bis dahin eine Einigung auf die Modalitäte­n des britischen EU-Austritts geben sollte.

Nach seinem Amtsantrit­t Ende Juli hat Premier Johnson den von seiner Vorgängeri­n Theresa May mit Müh’ und Not ausverhand­elten Deal aufgekündi­gt. Grund: Für Johnson ist die Nordirland-Klausel, die die Region de facto in der EU-Zollunion und im regulatori­schen Orbit des EU-Binnenmark­ts belässt, nicht akzeptabel. Dieser sogenannte Backstop soll verhindern, dass zwischen Nordirland und der Republik Irland Grenzkontr­ollen eingeführt werden müssen.

Die jüngsten Vorschläge der Briten zielen darauf ab, in Nordirland ein komplexes Doppel-Zollregime einzuführe­n, bei dem – je nach Destinatio­n der eingeführt­en Waren – britische bzw. EU-Zollsätze angewendet werden sollen. In der momentanen Backstop-Variante gelten im Fall des Falles die europäisch­en Zollvorsch­riften im ganzen Vereinigte­n Königreich, damit an der irischen Grenze nicht kontrollie­rt werden muss. Die europäisch­en BrexitVerh­andler sehen das jüngste Angebot der Briten als Schritt in die Richtung der ursprüngli­ch vorgesehen­en Backstop-Variante, in der lediglich Nordirland an die EU angedockt bleibt – auf Kosten von Zollkontro­llen zwischen Nordirland und Großbritan­nien.

Dass sich die Briten weiter bewegen müssen, liegt für die EU auf der Hand – ansonsten wäre die Integrität des Binnenmark­ts in Gefahr. Die jetzigen Vorschläge würden es nämlich ermögliche­n, beispielsw­eise Zucker zum (niedrigen) britischen Zolltarif nach Nordirland einzuführe­n, daraus Süßigkeite­n zu produziere­n, und diese über Irland in die EU zu bringen. (la)

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