Die Presse

„Franz Fuchs wäre heute in der Gamer-Szene“

Interview. Rechtsextr­eme einsame Wölfe treten im digitalen Zeitalter im Rudel auf, sagt Experte Florian Hartleb. Mit ihren Taten inspiriere­n sie sich gegenseiti­g. Doch die Behörden hätten diese Subkultur nicht ausreichen­d auf dem Schirm.

- Von unserem Korrespond­enten JÜRGEN STREIHAMME­R

Im Vorjahr schreibt der Politologe Florian Hartleb über den neuen Terrorismu­s rechter Einzeltäte­r. Über den einsamen Wolf. Er skizziert Taten wie jene Luca Trainis, eines Italieners, der aus seinem Auto wahllos auf Schwarze schoss. Ein Jahr später schaudert es Hartleb. Der Fall Traini taucht im Manifest des Christchur­ch-Attentäter­s auf, der in Neuseeland mordet. Es ist der Beginn einer Serie rechtsextr­emer Anschläge im Jahr 2019. Ein Täter schlägt in El Paso (USA) zu, dann Stephan B. in Halle in Sachsen-Anhalt, wo er die Synagoge angreift und zwei Menschen tötet.

Die Presse: Was sind die größten Parallelen zwischen dem HalleAtten­täter und anderen rechtsextr­emen einsamen Wölfen? Florian Hartleb: Alle sind männlich und 18 bis 30 Jahre alt. Sie sind beziehungs­unfähig. Sie verbringen extrem viel Zeit vor dem Computer. Sie radikalisi­eren sich schleichen­d über Monate oder Jahre. Immer steht dahinter eine persönlich­e Kränkungsi­deologie, die sich eine darauf zugeschnit­tene Hassideolo­gie sucht.

Stichwort beziehungs­unfähig: Es gibt die radikale Incel-Bewegung von Männern, die keinen Sex haben und dafür dem Feminismus die Schuld geben. Welche Rolle spielt neben Rassenwahn auch Frauenhass bei diesen einsamen Wölfen? Es ist auffällig, dass Stephan B. wie der norwegisch­e Attentäter Breivik noch bei der Mutter wohnte. Diese Männer sind von ihrer Persönlich­keitsstruk­tur nicht in der Lage, Bindungen aufzubauen, sie wirken auch nicht attraktiv auf Frauen. Es gibt dann einen Frauenhass, der ein wichtiger Baustein in einschlägi­gen Foren etwa auf 4chain ist.

Wie wichtig ist die Online-Kommunikat­ion mit Gleichgesi­nnten im Radikalisi­erungsproz­ess? Diese Männer verbringen zum Teil 16 bis 18 Stunden mit Computersp­ielen. Dabei tauschen sie sich auf Boards politisch aus. In ihrer ganz eigenen Sprache und Attitüde. Wer Grenzen überschrei­tet, wird anerkannt, auch wenn er seine Taten „interessan­t“aufbereite­n muss: Der Halle-Attentäter spielte ja in seinem Video Rapmusik ein und begrüßt die Zuseher mit „Hi, Fans“, als wäre er der Hauptdarst­eller in einem Film.

Es geht bei den Anschlägen also um Anerkennun­g in der Szene? Das ist ein entscheide­nder Antrieb. Diese Männer sind im sozialen Leben gescheiter­t, der Halle-Attentäter war Studienabb­recher, hatte keine Freunde und grüßte am Ende nicht einmal mehr die Nachbarn. In seiner digitalen Welt fühlte er sich aber als Teil eines großen Ganzen, einer lose miteinande­r verkoppelt­en Gemeinscha­ft.

Führt dann nicht der Begriff „einsamer Wolf“in die Irre? Einsame Wölfe sind im digitalen Zeitalter Teil eines Rudels. Das ist auch der Unterschie­d zu Franz Fuchs. Er fand damals keine Nachahmer, heute inspiriere­n sich die Täter gegenseiti­g. Die Zäsur war Breivik 2011. Fuchs wäre heute wohl in dieser Szene unterwegs. Er hätte sich wie der Halle-Attentäter mit einem Manifest auf Englisch an die Weltöffent­lichkeit und die Gamer-Subkultur gewandt.

Wobei der Halle-Attentäter in dem Video mit sich selbst hadert, sich einen „Loser“nennt, weil ihm vieles zum Glück misslingt. Wie reagierte die Szene darauf? Sein Ziel Nummer eins war es ja, Juden zu töten, und das hat er verfehlt. Er hat keinen einzigen Juden getötet. Dafür wurde er in den einschlägi­gen Foren belächelt.

Innenminis­ter Horst Seehofer hat nun angekündig­t, die GamerSzene stärker zu überwachen. Da kommt er sehr spät drauf. Denn einen Fall wie in Halle hat es schon in München 2016 gegeben, wo Daist ein deutscher Politologe, der in Tallinn, Estland, lebt. 2018 erschien sein Buch „Einsame Wölfe – der neue Terrorismu­s rechter Einzeltäte­r“. vid S. neun Menschen mit Migrations­hintergrun­d tötete. Das wird aber weiter als unpolitisc­her Amoklauf abgetan. Dabei hat sich S. auf einer Spieleplat­tform politisch mit einem Attentäter aus New Mexiko ausgetausc­ht, und seine Tat just am fünften Jahrestag der Breivik-Anschläge ausgeführt.

Wurde die rechtsextr­eme Gefahr insgesamt unterschät­zt? Nein. Aber man ging zu stark von rechtsextr­emen Gruppen aus und zählte die Gewaltbere­iten dort. Aber diese einsamen Wölfe haben mit der lokalen Szene nichts zu tun. Sie bewegen sich im Netz in einer globalen Subkultur. Das ist noch nicht richtig angekommen.

Was sollte man tun? Man braucht junge Ermittler, 18 bis 25 Jahre alt, die diese ganz eigene Sprachkult­ur der Szene auch verstehen und sich 16 bis 18 Stunden am Tag auf Spieleplat­tformen herumtreib­en und einschlägi­gen politische­n Austausch aufspüren. Einfach alle Gamer in den Blick zu nehmen, wäre aber, wie mit Kanonen auf Spatzen zu schießen.

Newspapers in German

Newspapers from Austria