„Signale mit verheerenden Folgen“
Fußball. Rassismus, Affenlaute, Hitlergruß und Militärsalut: Vorfälle in Bulgarien und der Türkei überschatten die EM-Qualifikation. Sportsoziologe Otmar Weiß warnt vor Verharmlosung.
Wäre Sport tatsächlich das Abbild unserer Gesellschaft, könnte vielen dieser Tage beim Anblick durchaus schlecht werden. Die laufende EM-Qualifikation wird von politisch motivierten Protesten unterlaufen, von Rassismus gestört und von militärischem Salut verfärbt. Ob Affenlaute und Hitlergruß in Sofia oder erneut provokante Sympathiebekundung für die umstrittene Militäraktion in Nordsyrien, beides hält der Sportsoziologe Otmar Weiß für gefährlich. „Die Signalwirkung ist fatal, sie kann verheerende Folgen haben.“
Wieder einmal ist Sport das Transportmittel für Propaganda. Es ist gleich, ob Albaner mit dem Doppeladler jubeln oder Türken salutieren, es habe stets martialischen Hintergrund, sagt Weiß, Wissenschaftler der Universität Wien. Es sei weder kreativ noch durchdacht, sondern plump der Masse folgend „und immer im Zusammenhang mit Krieg“. Die türkischen Spieler demonstrierten es in zwei Spielen vor, zuletzt am Montag beim 1:1 gegen Weltmeister Frankreich. Teamchef Senol Günes übte sich im Verharmlosen, er sagt: „Wir handeln in gutem Glauben. Es geht darum, unsere Soldaten zu unterstützen.“Für Europäer mag das schwere Kost sein, in den USA etwa wäre Sport ohne Chauvinismus samt Militär (Merchandising, Jet-Überflug etc.) vollkommen undenkbar.
Für Weiß ist das leicht erklärt. Sport ist eine der größten Plattformen, mit maximaler Reichweite. „Der Mensch ist ein symbolisiertes Wesen, kommuniziert damit. Die Türken zeigen Haltung, ihre Einstellung – das darf man nicht unterschätzen.“Der Nachahmungseffekt läuft viral durch alle Altersund Gesellschaftsschichten, befeuert auf Social Media – und landete bei deutschen Vereinen oder Teamspielern wie Ilkay Gündogan.
Dass Torschütze Kaan Ayhan nicht mitmachte, ist Verdienst seines Klubs. In Düsseldorf wurde prompt Aufklärungsarbeit betrieben durch Sportvorstand Lutz Pfannenstiel. In St. Pauli wurde Cenk Sahin hingegen nach wiederholten Instagram-Likes freigestellt. Er fand prompt einen neuen Klub. Er kehrte zu Basaksehir Istanbul, dem Präsident Recep Erdogan˘ zugeordneten Verein und WAC-Gegner in der Europa League zurück.
Strafe oder Entlassung allein sei jedoch kein langfristiges Mittel, „um gegen Nationalismen im Kopf oder autoritäre Systeme anzukämpfen“. Da bedarf es anderer Methoden und Erziehung. Vor allem müsste der „Zwangscharakter in Familien, Schulen und Politik verschwinden“, sagt Weiß. Nur, in dieser Situation, dieser politischen Führung, scheint es unmöglich.
Nicht nur Weiß nahm die Fußball-Union Uefa in die Pflicht, von der erwartet wird, dass sie Sanktionen verhängt. Politische Botschaften sind verboten und unerist Sportsoziologe, 66, leitet das Universitätssport-Zentrum in Wien. Nicht nur er verlangt Sanktionen der Uefa nach Rassismus-Vorfällen in Sofia.
Vincenzo Spadafora, forderte die Uefa auf, Istanbul das Champions-League-Finale 2020 zu entziehen. wünscht, weil sie dem Geschäft schaden. Punktabzug, Geisterspiele, Ausschluss oder gar nichts – alles ist möglich. Nicht ausgeschlossen ist, dass Istanbul aber das Champions-League-Finale 2020 verliert. Italiens Sportminister, Vincenzo Spadafora, hat diese Maßnahme von Uefa-Präsident Aleksander Ceferin gefordert.
Auch die Rassismus-Vorfälle in Sofia – beim 0:6 gegen England wurde zweimal unterbrochen – sorgten für Irritation. Vor allem, weil Teamchef Krassimir Balakow „nichts gehört“haben wollte und der Verbandspräsident, Borislaw Michailow, zuerst das Stilmittel der Verharmlosung bemühte. Am Dienstag trat er zurück. Lokalpolitiker kündigten dennoch an, Fördergelder einzufrieren.
Selbst Weiß hält hier Sanktionen für das probate Mittel: „Es ist eine finstere Ideologie aus der Vergangenheit, sie führt zur Barbarei.“In der Gegenwart dürfe das nicht geduldet sein, die Uefa müsse als Autorität durchgreifen. Sonst verspielt man jede Glaubwürdigkeit, wären „Say No to Racism“-Kampagnen doch bloß blanker Hohn.