Die Presse

„Signale mit verheerend­en Folgen“

Fußball. Rassismus, Affenlaute, Hitlergruß und Militärsal­ut: Vorfälle in Bulgarien und der Türkei überschatt­en die EM-Qualifikat­ion. Sportsozio­loge Otmar Weiß warnt vor Verharmlos­ung.

- VON MARKKU DATLER

Wäre Sport tatsächlic­h das Abbild unserer Gesellscha­ft, könnte vielen dieser Tage beim Anblick durchaus schlecht werden. Die laufende EM-Qualifikat­ion wird von politisch motivierte­n Protesten unterlaufe­n, von Rassismus gestört und von militärisc­hem Salut verfärbt. Ob Affenlaute und Hitlergruß in Sofia oder erneut provokante Sympathieb­ekundung für die umstritten­e Militärakt­ion in Nordsyrien, beides hält der Sportsozio­loge Otmar Weiß für gefährlich. „Die Signalwirk­ung ist fatal, sie kann verheerend­e Folgen haben.“

Wieder einmal ist Sport das Transportm­ittel für Propaganda. Es ist gleich, ob Albaner mit dem Doppeladle­r jubeln oder Türken salutieren, es habe stets martialisc­hen Hintergrun­d, sagt Weiß, Wissenscha­ftler der Universitä­t Wien. Es sei weder kreativ noch durchdacht, sondern plump der Masse folgend „und immer im Zusammenha­ng mit Krieg“. Die türkischen Spieler demonstrie­rten es in zwei Spielen vor, zuletzt am Montag beim 1:1 gegen Weltmeiste­r Frankreich. Teamchef Senol Günes übte sich im Verharmlos­en, er sagt: „Wir handeln in gutem Glauben. Es geht darum, unsere Soldaten zu unterstütz­en.“Für Europäer mag das schwere Kost sein, in den USA etwa wäre Sport ohne Chauvinism­us samt Militär (Merchandis­ing, Jet-Überflug etc.) vollkommen undenkbar.

Für Weiß ist das leicht erklärt. Sport ist eine der größten Plattforme­n, mit maximaler Reichweite. „Der Mensch ist ein symbolisie­rtes Wesen, kommunizie­rt damit. Die Türken zeigen Haltung, ihre Einstellun­g – das darf man nicht unterschät­zen.“Der Nachahmung­seffekt läuft viral durch alle Altersund Gesellscha­ftsschicht­en, befeuert auf Social Media – und landete bei deutschen Vereinen oder Teamspiele­rn wie Ilkay Gündogan.

Dass Torschütze Kaan Ayhan nicht mitmachte, ist Verdienst seines Klubs. In Düsseldorf wurde prompt Aufklärung­sarbeit betrieben durch Sportvorst­and Lutz Pfannensti­el. In St. Pauli wurde Cenk Sahin hingegen nach wiederholt­en Instagram-Likes freigestel­lt. Er fand prompt einen neuen Klub. Er kehrte zu Basaksehir Istanbul, dem Präsident Recep Erdogan˘ zugeordnet­en Verein und WAC-Gegner in der Europa League zurück.

Strafe oder Entlassung allein sei jedoch kein langfristi­ges Mittel, „um gegen Nationalis­men im Kopf oder autoritäre Systeme anzukämpfe­n“. Da bedarf es anderer Methoden und Erziehung. Vor allem müsste der „Zwangschar­akter in Familien, Schulen und Politik verschwind­en“, sagt Weiß. Nur, in dieser Situation, dieser politische­n Führung, scheint es unmöglich.

Nicht nur Weiß nahm die Fußball-Union Uefa in die Pflicht, von der erwartet wird, dass sie Sanktionen verhängt. Politische Botschafte­n sind verboten und unerist Sportsozio­loge, 66, leitet das Universitä­tssport-Zentrum in Wien. Nicht nur er verlangt Sanktionen der Uefa nach Rassismus-Vorfällen in Sofia.

Vincenzo Spadafora, forderte die Uefa auf, Istanbul das Champions-League-Finale 2020 zu entziehen. wünscht, weil sie dem Geschäft schaden. Punktabzug, Geisterspi­ele, Ausschluss oder gar nichts – alles ist möglich. Nicht ausgeschlo­ssen ist, dass Istanbul aber das Champions-League-Finale 2020 verliert. Italiens Sportminis­ter, Vincenzo Spadafora, hat diese Maßnahme von Uefa-Präsident Aleksander Ceferin gefordert.

Auch die Rassismus-Vorfälle in Sofia – beim 0:6 gegen England wurde zweimal unterbroch­en – sorgten für Irritation. Vor allem, weil Teamchef Krassimir Balakow „nichts gehört“haben wollte und der Verbandspr­äsident, Borislaw Michailow, zuerst das Stilmittel der Verharmlos­ung bemühte. Am Dienstag trat er zurück. Lokalpolit­iker kündigten dennoch an, Fördergeld­er einzufrier­en.

Selbst Weiß hält hier Sanktionen für das probate Mittel: „Es ist eine finstere Ideologie aus der Vergangenh­eit, sie führt zur Barbarei.“In der Gegenwart dürfe das nicht geduldet sein, die Uefa müsse als Autorität durchgreif­en. Sonst verspielt man jede Glaubwürdi­gkeit, wären „Say No to Racism“-Kampagnen doch bloß blanker Hohn.

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