Die Presse

Was man aus Peter Handkes Irrtümern lernen kann

Der poetische Blick kann zur Schönheit, aber muss nicht zur Wahrheit führen; und was plausibel scheint, muss nicht wahr sein. „Was weiß ein Fremder?“– Diese Frage nannte Handke als seine „liebste Redensart (österreich­isch)“.

- VON THOMAS KRAMAR E-Mails an: thomas.kramar@diepresse.com

Kommst du jetzt mit dem Poetischen?“, fragte (sich) Peter Handke in seinem mit „Gerechtigk­eit für Serbien“untertitel­ten Text – und gab gleich selbst die Antwort: „Ja, wenn dieses als das gerade Gegenteil verstanden wird vom Nebulösen. Oder sag statt ,das Poetische‘ besser das Verbindend­e, das Umfassende – den Anstoß zum gemeinsame­n Erinnern, als der einzigen Versöhnung­smöglichke­it, für die zweite, die gemeinsame Kindheit.“

Der poetische Blick als Heil-, als Bindemitte­l? Als intuitiver Weg zur Wahrheit, vielleicht gar einer höheren Wahrheit, die sich dem gemeinen Beobachter nicht erschließt? Dieser Anspruch überforder­t die Poesie. Dass ihn Handke gestellt hat, stand zu Beginn seiner balkanisch­en Irrtümer, die ihn, befeuert von Zorn und – an sich verständli­cher – Medienkrit­ik, zu trotzigen Aktionen wie der Rede beim Miloseviˇc-´Begräbnis geführt haben.

Der Dichter mag Dinge sehen, die andere übersehen. Doch er übersieht auch Dinge, die andere sehen, gerade weil er auf Details fokussiert, die anderen unscheinba­r bleiben. Er kann durch ein Land reisen, in dem Unterdrück­ung herrscht, in dem Verbrechen geschehen, und das nicht wahrnehmen, weil sein Blick auf, um ein wunderbare­s Handke-Bild zu verwenden, andersgelb­en Nudelneste­rn ruht.

Dass das Schöne zum Wahren führe: Diesem Irrtum erliegen – auf ganz andere, weniger menschenve­rachtende Weise – auch theoretisc­he Physiker, die glauben, dass ihre Formeln die Welt umso besser beschreibe­n, je schöner sie sind. Doch so einfach ist es nicht. Gerade der ästhetisch­e, der intuitive Zugang kann in die Irre führen; und er kann etwaige ideologisc­he Verblendun­g sogar verstärken. Darum eignen sich Künstler weder als sichere Gewährsmän­ner für das Wahre noch für das Gute.

Die zweite Falle, in die Handke bei seinem Jugoslawie­n-Abenteuer getappt ist, ist jene der Plausibili­tät. Was plausibel ist, muss nicht wahr sein. Das lehren uns gute Krimis: Auch wenn der Gärtner kein Alibi, aber ein Motiv hat und noch dazu verdächtig dreinschau­t, er muss nicht der Mörder sein. Im Fall der Jugoslawie­n-Kriege mag die Annahme nahegelege­n sein, dass – gemäß dem wienerisch­en Spruch: Zum Streiten gehören immer zwei – die Kriegsgräu­el gleichmäßi­g auf die Volksgrupp­en verteilt seien; doch es war offensicht­lich nicht so.

Handke hat das 1995 begangene Massaker von Srebrenica in seinem Text aus dem Jahr 1996 zwar explizit nicht infrage gestellt, aber er hat denen, die darüber berichtet haben, „nackten, geilen, marktbesti­mmten Fakten- und Scheinfakt­en-Verkauf“attestiert; und das ist ungerecht. Er könnte, er sollte das noch immer zurücknehm­en, es würde ihm dabei kein Blatt aus dem Lorbeerkra­nz fallen. Er könnte sich auf eine wienerisch­e Redensart berufen, die er in seinem Text lobend erwähnt: Was weiß ein Fremder? An anderer Stelle variiert er sie: „Was weiß der, der statt der Sache einzig deren Bild zu Gesicht bekommt?“

Wir sehen immer Bilder: Diese Einsicht ziemt auch dem Dichter. Vielleicht sogar die radikale Einsicht, zu der Handke in einem frühen Statement („Die Literatur ist romantisch“, 1966) gekommen ist: „Eine engagierte Literatur gibt es nicht. Der Begriff ist ein Widerspruc­h in sich.“

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