Alarm um IS-Ausbrecher
Die türkische Syrien-Invasion und ihre Ausläufer in Europa.
Als „Erdogans˘ Krieg“wird der türkische Einmarsch in Nordsyrien im Westen verkannt, doch tatsächlich steht die Öffentlichkeit in der Türkei größtenteils hinter dem Einsatz. Warum die Türken den Einmarsch unterstützen: Viele Türken fühlen sich durch die Machtbasis der Kurdengruppe PKK in Nordsyrien bedroht. Die Türkei befindet sich in einer Abwärtsspirale, seit im Sommer 2015 der Friedensprozess mit der PKK gescheitert ist. Aufgegeben wurden die Verhandlungen damals von beiden Seiten: sowohl von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan,˘ der die Unterstützung des nationalistischen Lagers suchte, als auch von der PKK, die eine Verhandlungslösung nicht mehr nötig zu haben glaubte. Auf ihre neue Machtbasis in Nordsyrien gestützt, glaubte die PKK-Führung, die Autonomie auch in der Südosttürkei mit Waffengewalt erzwingen zu können. Der resultierende Krieg in den Städten von Südostanatolien kostete 2015/16 Hunderte Menschen das Leben und vertrieb Hunderttausende aus ihrer Heimat. Als die PKK schließlich militärisch der türkischen Armee unterlag, griff sie wieder zum Terror: Fast 50 Menschen wurden am 10. Dezember 2016 bei einem Bombenanschlag mitten in Istanbul getötet, zu dem sich ein PKK-Terrorkommando bekannte. Keine drei Jahre ist das her. Dass die PKK und ihre syrische Unterorganisation YPG aus ihrer Machtbasis an der türkischen Grenze vertrieben werden sollen, finden daher viele Menschen richtig. Viele Türken sehen ihr Land von der Außenwelt missverstanden und angegriffen. Patriotismus wird in der Türkischen Republik seit jeher großgeschrieben und schon in der Schule gelehrt. Zeremonieller Umgang mit der Fahne und Ehrfurcht vor dem Militär gehören ähnlich wie in den USA zur Nationalkultur. Im Krieg müsse die Nation
zusammenhalten und dürfe ihren „Mehmetcik“(kleine Mehmets) genannten Soldaten im Feld nicht mit Kritik in den Rücken fallen, glauben viele. Verstärkt wird dieses Zusammenrücken derzeit durch die internationale Kritik, die auf die Türkei herabregnet. Das Ausland verstehe die Sorgen und Sicherheitsinteressen der Türkei nicht und wolle sie auch nicht verstehen, glauben viele Menschen, die dahinter auch antitürkische Ressentiments zu erkennen glauben.
Andersdenkende Türken dürfen ihre Meinung nicht äußern.
Natürlich gibt es in der Türkei auch viele Menschen, die die Invasion ablehnen, doch dürfen sie das nicht öffentlich sagen. Die Staatsanwaltschaft warnte gleich zu Beginn der Offensive, sie werde alle entsprechenden Veröffentlichungen strafrechtlich verfolgen. 186 Festnahmen und 24 Haftbefehle wegen missliebiger Äußerungen vermeldete die staatliche Agentur Anadolu bis Mittwoch. Strafrechtliche Ermittlungen wurden unter anderem gegen die beiden Vorsitzenden der Kurdenpartei HDP eingeleitet, denen Terrorpropaganda vorgeworfen wird, sowie gegen den CHP-Abgeordneten Sezgin Tanrikulu, der die Invasion als „Krieg gegen Kurden“bezeichnet hatte.