Die SPÖ hat aussondiert
ÖVP und SPÖ arbeiten eher an ihrer ExBeziehung.
Von der Himmelpfortgasse führt ein roter Teppich hinein ins Finanzministerium. Darüber spazieren am Donnerstag, zehn Minuten vor zehn Uhr, Sebastian Kurz und sein Verhandlungsteam in Sternformation: links und rechts von Kurz, einige Schritte dahinter, Ex-Ministerin Elisabeth Köstinger und Klubchef August Wöginger, danach Margarete Schramböck und Gernot Blümel, zwei andere ehemalige Minister. Und ganz hinten dann Stefan Steiner, der KurzBerater, auf Krücken. Eine Sportverletzung, heißt es. Fast alle haben blaue Mappen dabei, fast alle lächeln. Nur Gernot Blümel nicht.
Gleich wird die Gruppe weitermarschieren, die Stiegen hinauf zum Winterpalais des Prinzen Eugen, wo um zehn Uhr die vertiefenden Sondierungsgespräche mit der SPÖ beginnen sollen. Leere Kilometer, möchte man meinen, da doch ohnehin allen klar ist, dass sich die ÖVP zunächst um eine Koalitionspartnerschaft mit den Grünen bemühen möchte.
Am Ende des roten Teppichs stehen: ein Mikrofon, Kameraleute, Journalisten. Kurz hält an, der ÖVP-Stern auch, alle im richtigen Abstand, die Formation wirkt einstudiert. Und als hätte er geahnt, was alle hier im Raum denken, sagt Kurz: „Unsere Hand ist ausgestreckt, wir meinen es ernst.“
Von wegen Scheinverhandlungen oder gar Zeitverschwendung. Diese Sitzung hat ihren Zweck, wenn auch weniger einen koalitionären als einen gruppentherapeutischen. Kurz sagt, dass das Verhältnis zwischen ÖVP und SPÖ in der jüngeren Vergangenheit kein einfaches gewesen sei. Dazu gehörten immer zwei, Fehler seien gemacht worden, auch von ihm. Die Frage sei nun, ob ein Neustart gelingen könne. „Das Ziel ist, die Gräben zu überwinden.“
Und wenn Plan A scheitert?
Man muss ja nicht gleich eine Regierung bilden, ein besseres Verhältnis würde fürs Erste schon reichen. Vielleicht sorgt Kurz aber auch schon vor für den Fall, dass sein Plan A, nämlich Türkis-Grün, scheitert. Dann wäre wohl die FPÖ die nächste Ansprechpartnerin. Danach die SPÖ. Und erst dann käme eine Minderheitsregierung in Betracht – und dafür sollte man mit allen eine Gesprächsbasis haben. Insbesondere mit der zweitstärksten Fraktion im Parlament.
Kurz ist überrascht, dass es heute nur eine Journalistenfrage gibt, aber als dann doch noch eine zweite gestellt wird, hat sich der ÖVP-Stern schon in Bewegung gesetzt, die Stiegen hinauf zum Winterpalais, Kurz an der Spitze. Der Abstand zu den anderen hält.
Am Ende des roten Teppichs geht das Warten weiter. Das Gemurmel und Gelächter verliert sich im hohen, verzierten Gemäuer. Erst zehn nach zehn Uhr trifft die SPÖ-Delegation in der Himmelpfortgasse ein, laut Protokoll also zehn Minuten zu spät. Möglicherweise wurde mit der ÖVP ein späterer Zeitpunkt vereinbart. Möglicherweise aber auch nicht.
Hier kommt die nächste Formation, ebenfalls sternartig, ein bisschen schlampiger vielleicht – und mit roten Mappen. Vorneweg geht Parteichefin Pamela RendiWagner, links außen Doris Bures, die Zweite Nationalratspräsidentin. Landeshauptmann Peter Kaiser, Bürgermeister Michael Ludwig, Vizeklubobmann Jörg Leichtfried und der Gewerkschafter Rainer Wimmer bleiben offenbar bewusst im Hintergrund: vier Herren, mächtig, kompetent, in dunklen Anzügen und Krawatten, mehr oder weniger ergraut. Ein glatter Kontrast zu den bunten, jugendlichen Freitagsdemos in Wien.
Rendi-Wagner, die mit ihrem gelben Sakko den einzigen Farbton in dieses Bild bringt, spricht ihren Text ins Mikrofon, man kennt ihn schon aus den vergangenen Tagen: „Wir wollen über konkrete Inhalte, die die Zukunft Österreichs betreffen, sprechen.“Über Kinderarmut, leistbares Wohnen, Klimaschutz. Dann werde man sehen, ob es Gemeinsamkeiten gebe. Das wirkt nicht unauthentisch. Die SPÖ will sich nicht noch einmal – wie nach der Nationalratswahl 2017 – vorwerfen lassen, sie hätte es nicht wenigstens versucht.
Die SPÖ hat aussondiert
Drei Stunden später berichtet Pamela Rendi-Wagner über ein „atmosphärisch positives“Gespräch, das auch eine „selbstreflexive Analyse“beinhaltet habe. Was tatsächlich nach Gruppentherapie klingt. Auf weitere Sondierungen werde die SPÖ allerdings verzichten: Man sei nur bereit, „exklusiv“mit der ÖVP in Koalitionsverhandlungen zu treten. Für Scheinverhandlungen oder eine Verzögerungstaktik stehe man nicht zur Verfügung.
Da sind sie wieder, die Stichworte des Tages. Doch Sebastian Kurz lässt sich nicht darauf ein, er nimmt das SPÖ-Angebot „positiv“zur Kenntnis, will aber noch mit den Grünen und den Neos verhandeln (wobei Türkis-Pink keine Mehrheit hätte). Das werde vermutlich länger dauern als mit der SPÖ, weil man sich noch nicht so gut kenne, meint der ÖVP-Chef.
So wird auch am Freitag wieder der rote Teppich ins Finanzministerium ausgerollt, um zehn Uhr für die Grünen, um 14 Uhr für die Neos. Und für die Grünen wohl nicht nur im wörtlichen Sinn.