Die unbeugsamen Nordiren
Großbritannien. Premierminister Boris Johnson kann seinen EU-Austrittsdeal auch ohne die bisher verbündeten nordirische Unionisten durch das Parlament bringen. Allerdings braucht er dafür 32 Überläufer aus der Opposition.
Wenn der britische Premierminister Boris Johnson am Samstag seinen neuen Brexit-Deal durch das Parlament bringen will, steht ihm noch eine Menge Arbeit bevor. Kurz nach Verkündigung der Einigung zwischen London und Brüssel bekräftigten die mit den Tories verbündeten nordirischen Unionisten (DUP) ihre Ablehnung: „Diese Vorschläge sind nicht vorteilhaft für Nordirland und unterminieren die Integrität Großbritanniens“, erklärte die Parteiführung gestern, Donnerstag, in einer schriftlichen Stellungnahme. Mit Johnsons Deal werde „das Karfreitagsabkommen zunichte gemacht“.
Indem die Unionisten sogar den Friedensprozess in Nordirland in Frage stellten, zogen sie ihre stärkste Karte. Über alle Parteigrenzen hinweg gilt das Abkommen von 1998, das mehr als 30 Jahre blutigen Bürgerkriegs beendet hatte, als unantastbar. Ironischerweise war es ausgerechnet die DUP, die für die Volksabstimmung 1998 eine Empfehlung gegen das Karfreitagsabkommen abgab.
Die Democratic Unionist Party, 1971 gegründet vom protestantischen Prediger Ian Paisley, tat sich lange als radikalste Vertretung der Unionisten im Norden Irlands hervor. Der Papst war für ihn „der Antichrist“, der Legalisierung der Homosexualität trat Paisley mit der Parole „Kampf gegen die Sodomie“ entgegen, und einen Friedensschluss mit der Untergrundorganisation IRA lehnt er mit den Worten ab: „Niemals, niemals, niemals, niemals!“
Acht Jahre später saß Paisley mit dem ehemaligen IRA-Kommandanten und Führer der republikanischen Partei Sinn Fein,´ Martin McGuiness, in Belfast in einer Regierung. Die bemerkenswerte Flexibilität der DUP, von radikalen Außenseiterpositionen auf eine pragmatische Sicht der Dinge wechseln zu können, hat die Partei im Londoner Unterhaus immer schon zu einem begehrten Partner in der Not gemacht. Die DUP kennt ihren Preis. Die Zustimmung zur Unterstützung der Minderheitsregierung von Theresa May kostete eine Milliarde Pfund an Zusagen für Nordirland.
Labour will Volksabstimmung
Ähnlich wie im Friedensprozess ist die Position der DUP zum Brexit härter als die der Hardliner. An dem nun vorliegenden Abkommen stört die Partei offenbar am meisten, dass sie ihr alleiniges Veto über die Angelegenheiten der Provinz verlieren würde. Denn bisher spricht ausgerechnet nur die knallharte Brexit-Partei DUP für einen britischen Landesteil, der mehrheitlich für den Verbleib in der EU gestimmt hatte. Das hat die EU erkannt und ausgespielt.
Johnson wird bis zur Abstimmung nichts unversucht lassen, die Unionisten umzustimmen. Aber klar ist auch, dass sich der Premier nicht wie seine Vorgängerin May von der DUP erpressen lassen will: Er führt seit dem Parteiausschluss von 21 konservativen Rebellen ohnehin schon eine Minderheitsregierung und kann die Abstimmung nur mir Überläufern aus der Opposition gewinnen. Sein Ziel sind Neuwahlen, der Brexit ist dafür die Plattform.
Für eine Mehrheit braucht der Premier am Samstag 320 Stimmen. Derzeit hat er 288 konservative Abgeordnete, von ihnen stimmten bei den drei Abstimmungen über Mays Brexit-Deal aber 28 gegen das Abkommen. Der ehemalige Brexit-Minister David Davis warnte die sogenannten „Spartaner“: „Vergesst nicht, wer den Kampf zwischen Athen und Sparta verloren hat.“Fünf gaben gestern bereits zu erkennen, dass sie Johnsons Deal mittragen werden. Andere aber wie der ehemalige Parteichef Iain Duncan Smith gaben sich reserviert: „Ich nehme die Position der DUP sehr ernst.“
Boris Johnson benötigt zumindest 32 Überläufer aus der Opposition, um die Abstimmung zu gewinnen. Die Ablehnung seines Deals von dieser Seite ist aber bisher deutlich: Labour-Chef Jeremy Corbyn bezeichnet Johnsons Deal als „noch schlechter“als jenen von May, für Nigel Farage von der Brexit-Party geht die Vereinbarung dagegen nicht weit genug: „Das ist kein Brexit“, sagte er. Von seiten der Labour Party wurde die Idee lanciert, man könnte dem Deal unter der Bedingung zustimmen, dass er durch eine neue Volksabstimmung bestätigt werden muss.
Die Regierung will von alledem nichts hören. „Es gibt nur diesen Deal oder keinen Deal“, um bis zum Stichtag 31. Oktober auszutreten, erklärte Parlamentsminister Jacob Rees-Mogg.