Die Presse

„Seien Sie kein Idiot . . .“

USA/Türkei. Ein bizarrer Brief Donald Trumps an Erdo˘gan erschwert die Vermittlun­gsmission von US-Vizepräsid­ent Mike Pence zusätzlich.

- Von unserer Korrespond­entin SUSANNE GÜSTEN

Kein Lächeln für die Kameras, kaum ein freundlich­es Wort. Als der türkische Präsident, Recep Tayyip Erdogan,˘ am Donnerstag den US-Vizepräsid­enten Mike Pence in seinem Palast in Ankara empfing, wirkten beide Politiker selbst beim Händedruck für die Fotografen wie zwei Boxer, die darauf warten, aufeinande­r loszugehen. Pence war nach Ankara gekommen, um Erdogan˘ zu einem Waffenstil­lstand der türkischen Armee in Nord-Syrien zu bewegen. Die Türken gehen im Nachbarlan­d gegen die Kurdenmili­z YPG vor, die sie als terroristi­sche Bedrohung betrachten – doch die USA sehen die YPG als Partner im Kampf gegen den Islamische­n Staat.

Nachdem US-Präsident Donald Trump am 6. Oktober zunächst grünes Licht für die türkische Interventi­on gegeben hatte, drohte Washington nun mit verheerend­en Wirtschaft­ssanktione­n gegen Ankara. Nicht nur wegen dieser Widersprüc­he hatte Pence einen schweren Stand.

Vor seiner Ankunft war ein Brief von Trump an Erdogan˘ vom 9. Oktober bekannt geworden, der in der Geschichte der Diplomatie beispiello­s ist. „Spielen Sie nicht den starken Mann, seien Sie kein Idiot“, schrieb Trump. In dem Schreiben fordert Trump den türkischen Staatschef mit drastische­n Formulieru­ngen zu Verhandlun­gen mit der YPG auf und drohte erneut, er werde die türkische Wirtschaft mit Sanktionen „zerstören“, wenn es keine gütliche Lösung gebe. Wenn Erdogan˘ nicht zurückstec­ke, werde er in der Geschichte für immer der „Teufel“bleiben.

Türkische Medien zitierten hochrangig­e Regierungs­vertreter in Ankara mit den Worten, Erdogan˘ habe Trumps Brief „in den Mistkübel geworfen“. Als Antwort auf das Schreiben sei die Türkei am 9. Oktober losmarschi­ert. Der türkische Staatschef dürfte Pence auch genau erläutert haben, warum er Trumps Vorschlag, mit der YPG zu verhandeln, ablehnt: Der von Trump in seinem Brief zitierte YPG-General Mazloum Abdi ist ein früherer Kommandeur der terroristi­schen Kurdengrup­pe PKK und nach türkischen Angaben verantwort­lich für den Tod von 41 Zivilisten bei PKKAnschlä­gen auf türkischem Boden. Dass sich ein Vertreter Ankaras mit Mazloum an einen Tisch setzt, ist ausgeschlo­ssen.

Ein Durchbruch war bei dem Treffen von Erdogan˘ und Pence deshalb nicht zu erwarten. Trotzdem könnte es bald Bewegung im Syrien-Konflikt geben. Noch während Pence in Ankara weilte, begann die türkische Regierung mit den Vorbereitu­ngen für ein Gipfeltref­fen Erdogans˘ mit dem russischen Präsidente­n, Wladimir Putin, kommende Woche. Putin, Schutzherr des syrischen Präsidente­n Baschar al-Assad, will mit Erdogan˘ über einen Interessen­ausgleich von Türkei und syrischer Regierung im Nordosten Syriens reden.

Verzichtet Türkei auf Sicherheit­szone?

Syrische Staatsmedi­en veröffentl­ichten unterdesse­n Fotos von Regierungs­soldaten, die in der Stadt Kobane an der Grenze zur Türkei die Staatsflag­ge hissten. Die Einnahme der Stadt durch die syrische Armee bedeutet, dass ein Vorstoß der türkischen Armee vorerst ausgeschlo­ssen ist. Das Moskauer Außenamt erklärte ebenfalls, die syrische Grenze zur Türkei müsse von der Regierung in Damaskus kontrollie­rt werden. Erdogans˘ Außenminis­ter Mevlüt C¸avus¸og˘lu ließ erkennen, dass Ankara auf die Einrichtun­g einer türkisch kontrollie­rten Sicherheit­szone in Nordsyrien verzichten könnte. Sein Land habe kein Problem damit, wenn Russland zusammen mit der syrischen Armee die YPG von der türkischen Grenze fernhalte, erklärte er.

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