Die Presse

Auf der grünen Wahlkampf-Welle

Schweiz. Bei der Parlaments­wahl dürften die Grünen deutlich zulegen, rechtsbürg­erliche Parteien hingegen Stimmen einbüßen. Auf Regierungs­ebene wird sich trotzdem nichts ändern.

- Von unserer Mitarbeite­rin DOROTHEE NEURURER

Parlaments­wahlen sind in der Schweiz eine unaufgereg­te Sache. Das stabile Konkordanz­system lässt wenig Raum für Bewegung und Machtkonze­ntration. Die Parteien haben kleinere Budgets als in den Nachbarlän­dern. Vielleicht favorisier­en Medien auch deshalb exotische Wahlthemen wie etwa Kuhhörner – ob Kühen Hörner aus Sicherheit­sgründen abgesägt werden sollen. Solche Debatten sind spektakulä­rer als der politische Alltag. Doch heuer ist alles anders: Die Klimapolit­ik bewegt die Bevölkerun­g im Alpenland enorm. Sie könnte beim Urnengang am Sonntag einen historisch­en Linksrutsc­h auslösen.

Die Grünen (GP) und die Grünlibera­len (GLP) profitiere­n von der „Klimawelle“am stärksten. Sie überzeugen vor allem junge Wähler. Dass diese Parteien sich für die Geschlecht­ergleichst­ellung einsetzen, macht sie für Frauen attraktiv. Umfragen zufolge können die Grünen mit zehn Prozent (plus 3,5 Prozent) und die Grünlibera­len mit sieben Prozent (plus drei Prozent) rechnen.

Die Schweizeri­sche Volksparte­i (SVP), die mit 26 bis 27 Prozent immer noch stärkste Kraft bleiben, aber Sitze verlieren dürfte, versucht mit einer klaren Gegenposit­ion zu punkten: Sie spricht von „Klimahyste­rie“, die von den linken Kräften missbrauch­t werde, um einen Machtwechs­el zu forcieren. Klimapolit­ik war nie ein Thema für die wählerstär­kste Parlaments­partei. Doch ihre Dauerbrenn­er Zuwanderun­g, Ausverkauf der Souveränit­ät beim EU-Rahmenvert­rag und Sicherheit bringen kaum noch Stimmen.

Allerdings kann die Partei auf ihre Stammwähle­r zählen: SVPWähler geben zwar nicht immer ihre Stimme ab, bleiben aber der Partei treu und wechseln nicht zur Konkurrenz. Ob die SVP beim Klima bewusst auf die Gegenposit­ion setzt oder es einfach unterschät­zt hat, ist unklar. Die extreme Haltung hat ihr jedenfalls selbst vom konservati­ven Bauernverb­and Kritik eingebrach­t.

Die Sozialdemo­kraten, mit rund 18 Prozent in Umfragen die zweitstärk­ste Partei, versuchen indes auch mit dem Klimathema zu punkten und sprechen von der „größten Bedrohung der heutigen Zeit“. Sie verspreche­n, den ökologisch­en Umbau und eine aktive Klimapolit­ik mit zukunftstr­ächtigen Technologi­en und neuen Arbeitsplä­tzen zu verbinden.

Was es bedeutet, wenn man nur halbherzig auf den Klimazug aufspringt, konnte man bei den Liberalen sehen: Eine rechtslibe­rale FDP-Minderheit wollte sich nicht mit der neuen Klimaeupho­rie in den eigenen Reihen anfreunden. Dieser interne Streit hat die FDP (Umfragen: 15 Prozent) geschwächt, wovon nun die SVP profitiere­n könnte. Die christdemo­kratische Volksparte­i (CVP), die Demoskopen bei zehn Prozent sehen, versteht sich als große Zentrumspa­rtei. Gesundheit­skosten, Reform der Sozialwerk­e und eine nachhaltig­e Wirtschaft bleiben ihre Schlüsselt­hemen.

Das Gesundheit­swesen ist das zweite große Thema im Wahlkampf. Wahlentsch­eidend werden die Krankenkas­senprämien aber nicht sein, sagt der Politologe und Wahlforsch­er Michael Hermann. „Sie sind ein Dauerthema, das nicht automatisc­h zu einer politische­n Haltung führt. Hingegen ist das Klima ein neues Thema und in der Wahrnehmun­g der Bevölkerun­g so wichtig geworden, dass man bei der Wahl unmittelba­r ein Zeichen setzen kann.“

Das Schweizer Konkordanz­Prinzip sieht vor, dass alle wichtigen politische­n Richtungen in den Regierungs­organen vertreten sind. Im Nationalra­t, der großen Kammer, wird sich an der Führungsro­lle der SVP wohl wenig ändern. An zweiter Stelle werden vermutlich die Sozialdemo­kraten bleiben.

Die Gretchenfr­age ist aber, ob die grüne Welle stark genug ist, die CVP zum ersten Mal zu überholen. Das wäre für die Schweiz, wo die Zusammense­tzung des Nationalra­ts seit 100 Jahren großteils gleich geblieben ist, eine historisch­e Wende. In der kleinen Kammer, der traditione­ll bürgerlich geprägten Kantonsver­tretung, ist hinge

wird in der Schweiz ein neues Parlament gewählt. Wahlberech­tigt sind gut fünf Millionen Schweizer, doch nicht alle dürften von diesem Recht Gebrauch machen: Bei den vergangene­n Nationalra­tswahlen lag die Wahlbeteil­igung nur bei 48 Prozent. Wahllokale schließen bereits am Mittag. gen mit wenig Bewegung zu rechnen. Die CVP ist dort seit jeher stark etabliert. Aber die Chancen stehen gut, dass der Ständerat weiblicher wird. Denn die etablierte­n Parteien schicken vermehrt Kandidatin­nen ins Rennen – im Vergleich zu 2015 sind es heute doppelt so viele.

Die Frauenfrag­e ist in der Schweiz dieses Jahr besonders en vogue. Bisher ist nur knapp ein Drittel der Sitze im Schweizer Parlament mit Frauen besetzt. Am Sonntag wird sich weisen, wie nachhaltig sich der diesjährig­e Frauenstre­ik mit einer halben Million Beteiligte­n auf das Ergebnis auswirkt. Bewegungen wie „Helvetia ruft“engagieren sich denn auch dafür, ausschließ­lich Frauen zu wählen.

Ob es auf Regierungs­ebene im Bundesrat im Dezember 2019 auch zu einer Veränderun­g kommt, bleibt offen: Je nachdem, wie hoch die grüne Welle wird, könnte der Druck auf die politische Mitte so stark werden, dass einer der sieben Sitze im Bundesrat an die Grünen gehen müsste. So sähe es die sogenannte Zauberform­el, der Verteilsch­lüssel für die Sitze im Bundesrat, theoretisc­h vor. Wahlforsch­er Hermann hält dies „für unwahrsche­inlich, aber nicht ganz ausgeschlo­ssen“.

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