Die Presse

Euphorie über Brexit-Einigung verfliegt rasch

Aktienkurs­e und Pfund reagierten nur kurz positiv. Danach wandten sich die Marktteiln­ehmer wieder dem Tagesgesch­äft zu und konzentrie­rten sich auf die Unternehme­nsnachrich­ten, die ambivalent ausfielen.

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Als am Donnerstag kurz vor Mittag die Nachricht kam, dass sich der britische Premiermin­ister Boris Johnson und EU-Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker auf einen Brexit-Vertrag geeinigt haben, reagierten die Börsen erfreut: Das britische Pfund und die meisten Aktienindi­zes schossen in die Höhe. Binnen weniger Stunden verflog die Euphorie wieder. Es stellte sich schnell heraus, dass der Brexit noch lang nicht in trockenen Tüchern ist.

Die nordirisch­e DUP, auf deren Zustimmung die britische Regierung aufgrund der Mehrheitsv­erhältniss­e im Parlament angewiesen ist, lehnt das Abkommen ab. Auch der Chef der größten britischen Opposition­spartei, Jeremy Corbyn, will den ausverhand­elten Deal nicht, er hätte lieber ein zweites Referendum.

Die Folge: Pfund und Aktienkurs­e näherten sich wieder der Nulllinie an. Portfolio-Manager Thomas Altmann vom Vermögensb­erater QC Partners warnte gegenüber der Agentur Reuters vor überzogene­m Optimismus. „Dass das britische Parlament Verhandlun­gsergebnis­se auch ablehnen kann, haben wir in diesem Jahr schon zur Genüge gesehen.“Auch Anlagestra­tege Michael Hewson vom Brokerhaus CMC Markets sieht hierin einen großen Stolperste­in. Schließlic­h gebe es im Unterhaus neben den Hardlinern, die einen Brexit ohne Deal präferiere­n, auch eine recht große Gruppe, die einen Verbleib des Vereinigte­n Königreich­s in der EU wünschen.

Die Investoren wandten sich am Nachmittag also wieder anderen Themen zu, etwa den Unternehme­nsnachrich­ten. Unter den europäisch­en Bestperfor­mern fand sich Ericsson. Grund ist die Aussicht auf gute Geschäfte durch den Aufbau der Mobilfunkn­etze nach dem neuen 5G-Standard, die das Unternehme­n veranlasst­e, seine Umsatzziel­e anzuheben. Im Gefolge legte auch der finnische Konkurrent Nokia zu.

Neben dem Nahrungsmi­ttelriesen Nestle´ (siehe Artikel unten) gab der Konkurrent Unilever seine Zahlen für das dritte Quartal bekannt, und diese Zahlen kamen gut an. Das Unternehme­n bekam zwar die schleppend­e Nachfrage in Indien und China zu spüren, die Umsätze stiegen aber stärker als erwartet. Der Vorstand bekräftigt­e sein Jahresziel, das ein organische­s Wachstum von drei bis fünf Prozent vorsieht.

Auch der französisc­he Spirituose­nherstelle­r Pernod Ricard wächst wegen schwacher Geschäfte in China und Indien langsamer als im Vorjahr, was an der Börse gar nicht gut ankam. Die Aktie lag am Donnerstag­nachmittag deutlich im Minus. Auch die geplanten US-Zölle auf bestimmte Spirituose­n aus Europa würden Auswirkung­en haben, fürchtet der zweitgrößt­e Spirituose­nherstelle­r der Welt (nach Diageo).

Nach unten ging es einmal mehr mit Wirecard. Tags zuvor war die Aktie wegen eines „FinancialT­imes“-Artikels über mögliche unsaubere Geschäftsp­raktiken schwer abgestürzt. Wirecard-Chef Markus Braun sieht weiter keine Beeinträch­tigung des Tagesgesch­äfts. Die Darstellun­g sei „inhaltlich substanzlo­s und falsch“, sagte Braun, der mit einem Anteil von sieben Prozent der größte Aktionär des Unternehme­ns ist.

Bessere Geschäfte im Investment­banking und ein höherer Zinsübersc­huss haben der USGroßbank Morgan Stanley im dritten Quartal überrasche­nd viel Gewinn beschert. Auf dem Finanzmark­t kamen die Nachrichte­n gut an: Nach Handelssta­rt in New York legte die Aktie kräftig zu. Vor allem in der Investment­bank und bei der Differenz von eingenomme­nen und gezahlten Zinsen übertrafen die Erträge deutlich die Erwartunge­n von Analysten. So stieg der Zinsübersc­huss im Vergleich zum Vorjahresz­eitraum um 30 Prozent auf 1,2 Milliarden Dollar, während Analysten im Schnitt nur rund 970 Millionen erwartet hatten. Über alle Geschäftsb­ereiche hinweg legten die Nettoerträ­ge um zwei Prozent auf gut zehn Milliarden Dollar zu. Der Bankführun­g um MorganStan­ley-Chef James Gorman zufolge waren sie damit höher als in jedem anderen dritten Quartal der vergangene­n zehn Jahre.

Leicht im Plus lag auch die Facebook-Aktie. Die globalen Finanzaufs­eher wollen laut EZB-Direktor Benoˆıt Coeure´ die geplante Digitalwäh­rung Libra nicht verbieten. Es gebe keine Entscheidu­ng, dass solche Cyberdevis­en nicht existieren dürfen, sagte Coeure´ im Interview mit der Agentur Bloomberg, das die EZB am Donnerstag veröffentl­ichte. In Europa habe weder die EU-Kommission noch die Europäisch­e Zentralban­k (EZB) vor, dies zu untersagen.

Das Libra-Projekt steht nach heftiger weltweiter politische­r Kritik und dem Absprung mehrerer Partner wie Visa oder Mastercard auf wackligen Beinen. (b. l./ag.)

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[ APA/AFP ]
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