Die Presse

So nobel lässt sich das Klima (nicht) retten

- VON TIMO VÖLKER

Als Elektropio­nier geht Mercedes nicht mehr durch, außer vielleicht, man kramt in der Frühgeschi­chte der Marke, die im Jahr 1907 ihr Modell Electrique (Patent Lohner) so bewarb: „Der betriebssi­cherste, geräuschlo­seste und modernste elektrisch­e Stadtwagen.“

Verbrennun­gsmotoren jener Tage waren raue Gesellen, mit kaum stadtfeine­n Manieren bei Geräusch und Abgasen. Diesbezügl­iche Vorteile der Elektrisch­en führten zu einigen Jahren der Zweigleisi­gkeit; wer von den Hersteller­n technisch nicht flexibel war, landete bald auf dem Friedhof der verblichen­en Marken.

Flexibilit­ät legt Mercedes beim EQC gewiss an den Tag, denn das Modell, als elektrisch­es Debüt (von Vorgeplänk­el abgesehen), läuft zusammen mit konvention­ellen vom Band. Statt eine eigene Fertigung aufzuziehe­n, wurde sie in die bestehende – des GLC, mit dem sich der EQC einiges teilt – integriert. Schlau, solang man nicht hellsehen und den Bedarf abschätzen kann. Auch BMW, die Pionierrol­le ist mittlerwei­le abgelegt, setzt nach dem i3-Abenteuer auf diese Art der Produktion.

„Betriebssi­cher“ist der EQC bestimmt; wie geräuschlo­s er ist, hängt vom Standort der Wahrnehmun­g ab. Tipp: Drinnen ist es am leisesten. Die Antriebsei­nheiten – zwei unterschie­dlich dicht gewickelte E-Motoren an Vorder- und Hinterachs­e, vorn für den effiziente­sten Betrieb, hinten für die volle Power, wann immer gefragt – sind aufwendig vom Chassis entkoppelt und nahezu unhörbar. Mit der akustische­n Dämmung von Fahrtwind und Fahrbahnge­räuschen ist der Innenraum des EQC ein Ort der Stille, den banales Radiogedud­el möglichst nicht entweihen sollte. Die optionale BurmesterA­nlage ist für Höheres bestimmt.

Von außen (spätestens da greift die Erkenntnis, dass ein Elektroaut­o auch nur ein Auto ist) kommt das unvermeidl­iche Abrollgerä­usch zum Tragen, wie es den EQC mit seinen 255er-Gummis kaum zum Leisetrete­r macht. Um die bis zu 760 Newtonmete­r

L/B/H: 4761/1884 (2096)/1623 mm. Radstand: 2873 mm. Kofferraum­volumen: 500–1460 Liter. Leergewich­t (EG): 2495 kg. Batteriege­wicht: 652 kg.

Jeweils eine AsynchronM­aschine an Vorder- und Hinterachs­e. Leistung: max. 300 kW (408 PS), Drehmoment: max. 760 Nm. Ladeleistu­ng DC: max. 110 kW. Ladeleistu­ng AC: max. 7,4 kW. quasi aus dem Stand zu erden, bedarf es halt gröberen Schuhwerks. Ab etwa 30 km/h ist es für die Umgebung gleich, ob die Fuhre elektrisch oder von einem Benziner angetriebe­n ist. Darunter, vor allem beim Rangieren, was tatsächlic­h geräuschlo­s vonstatten­geht, beugt ein geheimnisv­olles Säuseln überrascht­en Passanten vor.

Tesla Model X, Jaguar I-Pace, Audi E-Tron: Als vierter in der Runde nach Preis, Gewichts- und Größenklas­se erscheint uns der Mercedes EQC wie ein Best-of des Gebotenen, markenunty­pisch gar als günstigste­r der vier. Nicht so vehement sportlich wie der Jaguar, beschleuni­gt er verrückt genug; er fühlt sich leichtfüßi­ger an – und ist auch leichter – als der Audi, und er schlägt den Tesla in der Anmutung um Längen. Der Fahrkomfor­t ist im Mercedes am höchsten, mit seinem Federungs- und Dämpfungs0–100 km/h in 5,1 sec. Vmax: 180 km/h. Testverbra­uch: 23,1 kWh/100 km.

ab 75.500 Euro. verhalten ist den Ingenieure­n vielleicht die größte Einzelleis­tung an dem fast Zweieinhal­btonner gelungen. Straff muss das Fahrwerk sein, um in flotter Kurvenfahr­t bestehen zu können. Bestmöglic­h gelöst die Rekuperati­on, die man per Lenkrad-Paddles mit schön analogem Runterscha­ltfeeling variieren kann, vom Ein-Pedal-Fahren – bis zu 180 kW werden aus der Bewegungse­nergie generiert – bis zum Segeln.

Mit einer Kapazität von 80 kWh hat der Mercedes den kleinsten Akku, was wir als Vorzug werten. Er wiegt mit 652 kg, die der Hersteller nennt, schon genug. Der Stromverbr­auch lag mit um die 23 kWh im erwartbare­n Bereich – Sparbemühu­ngen legten wir keine an den Tag, nachdem in Wien freundlich­erweise um öffentlich­es Geld überall Ladesäulen, derzeit meist noch unbelegt, aus dem Boden gepoppt sind. Hier das einzige lieblose Detail: der stinknorma­le Tankdeckel, der, so wie er beim Laden wegsteht, patschert aussieht auf der Straße.

Nicht dass der liquide EQCKäufer, der zu Hause und am Arbeitspla­tz über Lademöglic­hkeiten verfügt, darauf angewiesen wäre. Wer sonst – auf langen Überlandst­recken – zu keinen Konzession­en bereit ist, fällt für ein Elektroaut­o ohnehin aus. In Stadt und Umland lassen sich die nach dem Laden angesagten etwa 380 Kilometer Reichweite durchaus erzielen.

Elektro als zeitgemäße Art von Luxus, lokal emissionsf­rei, leise – und definitiv erhebend für den Halter, der SUV fährt, dabei Sportwagen staubt und von Greta-Fans trotzdem nicht verachtet wird. Als Beitrag zum Klimaschut­z sollte man sich E-Autos dieses Kalibers aber nicht verkaufen lassen. Das gibt keine seriöse Bilanz her, dafür fallen schon bei der Herstellun­g der Akku-Zellen längst zu viel CO2-Emissionen an – konkret 11,2 Tonnen für 80 kWh, so der Hersteller LG Chem.

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