„Das Gespenst darf seine Würde nicht verlieren!“
Volksoper. Am Freitag hat „Das Gespenst von Canterville“Premiere. Ein Gespräch mit Komponist und Regisseur.
Man hört Ketten rasseln, das Stöhnen der Verfluchten hallt durch die Schlossmauern. In Marius Felix Langes Oper „Das Gespenst von Canterville“– österreichische Erstaufführung am Freitag an der Volksoper – steht anfangs das Gruseln im Vordergrund. 2013 wurde sie in Zürich uraufgeführt, 2014 kam in Berlin eine groß orchestrierte Fassung heraus, die nun in Wien unter der musikalischen Leitung von Gerrit Prießnitz gespielt wird.
„Behaglich Gänsehaut empfinden“sollen die Zuschauer, sagt Lange im Interview: „Auf jeden Fall muss viel Gruseliges drinnen sein, das ich durch bestimmte Harmoniken und Instrumentationen erzeuge – aber nie so schlimm, dass Kinder davon verschreckt werden.“Vor allem die Ouvertüre hat Lange als Geisterstunde komponiert, in der sich der Spuk immer mehr steigert. „Das Gespenst soll anfangs ja in voller Blüte gezeigt werden, dann ist die Fallhöhe umso größer.“
Denn dem Gespenst von Canterville aus dem Roman von Oscar Wilde geht es an den altmodischen Spitzenkragen. In der ins Heute versetzten Handlung macht ihm die Familie des Immobilienunternehmers Dr. König sein Schloss streitig, weil sie daraus ein Eventhotel machen will. Ein Blutfleck, der nach dem Wegwaschen immer wieder auftaucht, und eine Hellebarde, die ohne menschliches Zutun umfällt, passen ihr da gut ins Konzept. So fährt das Gespenst mit immer schwereren Geschützen respektive furchteinflößenderen Kostümen auf – und erntet nur respektlose Streiche von Dr. Königs Zwillingen und den Hinweis des neuen Hausherrn, es möge die Ketten ölen. Dabei will das Gespenst eigentlich nur seine ewige Ruhe finden und sterben dürfen, wobei ihm Dr. Königs Tochter helfen soll . . .
Marius Felix Lange ist seit Jahren auf Familienopern abonniert, zuletzt gab man „Der Gesang der Zauberinsel“bei den Salzburger Festspielen und „Momotaro, der Pfirsichjunge“an der Philharmonie Luxembourg, im November kommt „Schellen-Ursli“am Theater Basel. Ihm ist es wichtig, „für Kinder nicht anders zu komponieren als für Erwachsene. Außerdem ist ,Das Gespenst von Canterville‘ kein Kinderstoff – und ich verstehe den Unterschied ehrlich gesagt auch nicht. Das Einzige, was mich beeinflusst, ist die Handlung selbst, die eine bestimmte musikalische Sprache fordert. Diese ist gerade im ,Gespenst‘ besonders bunt und humorvoll und wird von Leitmotiven bestimmt.“
Langes Vergangenheit als Filmkomponist und Geiger hat ihn geprägt: „Ich habe gelernt, mich in verschiedenen Musikstilen zu bewegen, und würde mich als intuitiven Komponisten bezeichnen, der in sich hineinhört und dem Werk folgt. Ich denke dabei nie darüber nach, ob diese oder jene Harmonik von Kindern verstanden werden kann.“
In Regisseur Philipp M. Krenn, der an der Volksoper zuletzt mit „Pinocchio“erfolgreich war, hat Lange einen Gleichgesinnten: Auch er hält es für essenziell, Kinder als Zuseher für voll zu nehmen: „Man kann und soll ihnen etwas zutrauen – und ich habe beim Lesen der Partitur gleich gemerkt, dass Marius Felix Lange das tut.“
Auch Krenn will den jungen Zuschauern durchaus Gruseliges zumuten: „Wenn das Gespenst von Anfang an eine Witzfigur ist, versteht man die Demontage nicht. Es ist nicht verkehrt, wenn sich die Jüngsten an ihre Mama kuscheln müssen.“Als Herausforderung sah Krenn, dass das Gespenst und die von ihm verdammten Seelen zwar oft präsent sein, aber nicht ständig auf der Bühne stehen sollen. „Das haben wir, auch in Anlehnung an Oscar Wildes ,Picture of Dorian Gray‘, durch belebte Bilderrahmen respektive Videoprojektionen gelöst.“
Auch das Gespenst kehrt immer wieder in seinen Rahmen zurück, am Ende aber gebrochen, gebeugt. „Doch es war mir wichtig, dass das Gespenst nie seine Würde verliert“, sagt Lange. „Sonst kann man nicht vermitteln, dass es eigentlich eine sehr menschliche Geschichte hat, mit der alle mitfühlen sollen – und dass letztlich bei allem Gruseln die Todessehnsucht im Mittelpunkt steht.“