Die Sprache der Motoren
Wenn der müde Diesel ruht – Heidrun Klinger ist Teamleiterin bei der Motorenentwicklung eines Nutzfahrzeugherstellers. Als erste Frau hat sie das Mechatronik-Studium in Linz absolviert. Aus der Serie Die Technikerinnen.
Noch strahlt er drückende Hitze ab, auch wenn der mächtige Dieselmotor jetzt müde ruht. Überall führen aus ihm Leitungen und Kabel heraus wie aus einem Patienten auf der Intensivstation. Sie übertragen Daten an den schallgekapselten Kontrollraum des MotorenPrüfstands mit seinen Monitoren, wo die Testingenieure ihre Schlüsse aus den stundenlangen lauten Probeläufen ziehen.
„Es gibt nie die ideale Lösung. Man muss den bestmöglichen Kompromiss finden zwischen Leistung, Kraftstoffverbrauch und Emissionen“, erzählt Heidrun Klinger. Die Diplomingenieurin arbeitet als Teamleiterin in der Motorenentwicklung von MAN Truck & Bus im oberösterreichischen Steyr. „Die Motorenfertigung und die größte Motoren-Entwicklungsabteilung sind in Nürnberg. Der Standort in Österreich ist aus der einstigen Steyr Daimler Puch AG hervorgegangen.“Das Werk Steyr mit den großen Hallen der Lkw-Montage arbeitet im Werksverbund mit allen Produktionsstandorten von MAN zusammen, die Motorenentwicklung arbeitet Nürnberg zu. „Natürlich finden sich Motoren, an denen wir mitentwickelt haben, auch in den hier erzeugten Lkw der leichten und mittleren Baureihe“, so Klinger. Leicht und mittel ist relativ: Die Gewichtsklasse der Transportfahrzeuge aus Steyr reicht von 7,5 bis 16 Tonnen.
Zusätzlich tüftelt sie seit langen Jahren an einem Spezialgebiet, der sogenannten Motorbremse. Bei schwer beladenen Lkw könnten die Radbremsen schnell heiß laufen und ihre Wirkung verlieren, wenn man sie ausschließlich verwenden würde. Deshalb nutzen Fahrer, bevor sie diese aktivieren, eine Motorbremse. Diese wird laufend weiterentwickelt, in ihrer Leistung erhöht, ins Gesamtsystem elektronisch eingepasst, damit man die Übergänge von einem Bremssystem zum anderen kaum merkt.
Mit der Motorbremse begann die berufliche Bindung von Frau Klinger an MAN. Das Thema betraf schon ihre Diplomarbeit an der Linzer Johannes-Kepler-Universität, ihre Studienrichtung Mechatronik gehört dort zur Technisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät. „Ich wollte eine Diplomarbeit für eine Firma schreiben, nicht unbedingt, damit das gut bezahlt wird, sondern, damit ich eine Eintrittskarte zu einem Beruf be
Geboren 1957 in Bruck/Mur. Dr. phil. Wirtschaftsjournalist und Autor. Zuletzt bei Leykam: „So funktioniert Digitalisierung“. Demnächst erscheint bei Kremayr & Scheriau „Frauen können Technik – Portraits und Reportagen aus Österreich“. Das Buch wird am 24 Oktober um 19 Uhr in komme.“Als Heidrun Klinger, geboren 1971, in der 600-Seelen-Gemeinde Steyrling im oberösterreichischen Bezirk Kirchdorf an der Krems aufwuchs, war keinesfalls klar gewesen, dass sie einmal für einen internationalen Fahrzeugkonzern arbeiten würde – MAN ist Teil der Volkswagen-Gruppe. Sie wurde in der örtlichen zweiklassigen Volksschule von ihrer eigenen Mutter unterrichtet, „und die war zu mir definitiv extra streng“. Ihr Vater hatte zwar einen technischen Lehrberuf absolviert, arbeitete aber seit vielen Jahren für eine Versicherung.
„Ich bin sehr traditionell aufgewachsen, habe eher der Mutter in der Küche geholfen als dem Vater in der Garage.“Die Schulwahl war der Geografie geschuldet, für das nahe gelegene Realgymnasium Kirchdorf war kein Internat notwendig wie für speziellere Schulen, etwa HTLs. Klinger war eine gute Schülerin, interessierte sich für Naturwissenschaften und Mathematik, in der Oberstufe besonders für darstellende Geometrie. „Da ist bei mir der Funke übergesprungen. Wir haben noch nicht am PC gearbeitet, sondern mit Bleistift und Lineal gezeichnet ches Studieninteresse entstand daraus noch nicht: „Das Einzige, was ich gewusst habe, war, dass ich keine Lehrerin werden wollte wie meine Mutter.“
Der entscheidende Tipp kam kurz vor der Matura. Ihr Vater hatte in der Zeitung von der bevorstehenden Einrichtung einer gänzlich neuen Studienrichtung in Linz gelesen, Mechatronik. „Das könnte doch etwas sein für dich“, schlug er ihr vor. Tatsächlich schien ihr die Fächerkombination aus Maschinenbau, Elektrotechnik und Informatik verlockend. Da der Vollbetrieb erst ein Studienjahr später beginnen sollte, inskribierte sie einstweilen Informatik.
Sie war nur eine von vier jungen Frauen unter ein paar Hundert Burschen und lernte ganz neue Herausforderungen kennen, die ihr als Schülerin gänzlich unbekannt gewesen waren. „Das war ein Aha-Erlebnis: Ich bin in einer Vorlesung gesessen und habe keine Ahnung gehabt, wovon der Professor geredet hat.“Maschinenbau, Konstruktionslehre oder Mechanik waren bis dahin unbekannte Begriffe für sie, aber sie lernte rasch. „Die Burschen haben mir schon auch geholfen, wir haben in einem größeren Kreis von Kollegen gelernt.“
Sie wurde auch mit anderen Haltungen konfrontiert. In ihrem Spezialgebiet Regelungstechnik arbeitete sie als Tutorin, bot einmal in der Woche in einem Kammerl Hilfe bei Problemen an. „Ich erinnere mich, dass ein junger Kollege die Tür aufgemacht hat, und als er mich als Frau dort sitzen gesehen hat, hat er sie gleich wieder von außen geschlossen.“Im Ort wurde ihr mehrmals vorgeschlagen, doch „etwas Gescheites für ein Mädel“zu studieren. Wenn sie gefragt wurde, was sie studiere und darauf Mechatronik antwortete, hieß es mehr als einmal: „Schaust aber gar nicht so aus.“
Inzwischen hatte sie einen Plan: „Ich wollte draußen arbeiten, in der Industrie, nicht nur in einem Büro sitzen.“Sie suchte sich ihre Ferialpraktika nicht nach dem höchsten Verdienst aus – „am Montageband hätte ich mehr bekommen“–, sondern mit der Zielrichtung für einen späteren Job. Das war zunächst die EDV-Abteilung der Voestalpine, dann ein Mittelständler mit Schwerpunkt industrielle Automatisierungstechnik, später ein anderer, der sich mit Sensorik und Regelungstechnik für Glashäuser befasste. Ihren ersten Sommerjob absolvierte sie bei MAN. Hier wurde sie dazu eingesetzt, rund um eine bereits im Raum stehende Erfindung andere, ähnliche Patente zu recherchieren, erklärende Zeichnungen zu erstellen, die Patenteinreichung vorzubereiten. Der Erfinder ist inzwischen zum Leiter der gesamten Motorentwicklung in Steyr aufgestiegen und Frau Klingers heutiger Chef. Als sie nach einem Diplomarbeitsthema gesucht hatte, war MAN für sie wieder auf den Schirm gekommen. „Ich habe damals eine Alternative gehabt, mich gefühlsmäßig für MAN entschieden.“Zwei Wochen nach ihrer Diplomprüfung konnte sie als Entwick